Juristische Dienstleistungen aus dem Internet

Was Anwälte aus der Region zu Legal Tech sagen

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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Eine Statue der Justitia. Auch das Rechtswesen wird immer mehr digitalisiert. © dpa

Rhein-Neckar. Beim Stichwort Inkassounternehmen fällt einem üblicherweise das Eintreiben nicht bezahlter Rechnungen oder anderer Schulden ein. Erstaunlicherweise werden auf der Basis von Inkassolizenzen auch juristische Dienstleistungen angeboten - beispielsweise Fluggastentschädigungen. Legal Tech nennt sich automatisierter Rechtsservice via Onlineportalen oder Apps. Noch handelt es sich um Nischen - aber mit stürmischer Entwicklung. Nicht von ungefähr debattieren Anwälte und Anwältinnen so heftig wie kontrovers, was Legal Tech für ihren Berufsstand bedeutet - zumal die Politik dazu ein Gesetz verabschiedet hat.

Natürlich sind IT-Programme längst in Kanzleien selbstverständlich - ob zur Büroorganisation, zum Führen digitaler Akten oder fürs Recherchieren in Datenbanken. Parallel tauchen Start-ups mit besonderer Software auf, die Verbrauchern bei juristischen Auseinandersetzungen das Abwickeln von Forderungen abnehmen - ohne Gang zum Anwalt. „Flightright“, „Flugrecht.de“ oder „Fairplane“ haben sich beispielsweise darauf spezialisiert, bei Ausfall oder Verspätung von Flügen Rückerstattung der Ticketkosten oder Entschädigung durchzusetzen. Auch und gerade in Zeiten von Corona. Der Siegeszug solcher Online-Rechtsdienstleistungen beruht vor allem darauf, dass Legal-Tech-Anbieter nur bei Erfolg Honorar verlangen - üblicherweise 25 Prozent plus Mehrwertsteuer.

Streitereien bis vor den Bundesgerichtshof

  • Legal Tech(nology) steht für Informationstechnik, die sich mit der Digitalisierung juristischer Tätigkeiten befasst, und meint spezielle Software wie auch Online-Angebote.
  • Eine Inkassodienstleistung liegt vor, wenn ein solches Unternehmen beauftragt wird, Forderungen einzutreiben, die auch abgetreten sein können. Rechtlicher Service per Legal Tech ist in bestimmten Grenzen erlaubt.
  • 2019 hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass der standardisierte Onlinerechner „wenigermiete.de“ zulässig ist. Zu dem Angebot gehört, dass Rechte zum Durchsetzen von Mietminderung an die Inkassodienstleisterin mit Provision im Erfolgsfall übertragen werden können.
  • Außerdem befand der BGH 2021, dass der Vertragsgenerator„Smart Law“, der mittels eines Frage-Antwort-Katalogs Dokumente erstellt, keine unzulässige Rechtsdienstleistung darstellt. Die Hanseatische Rechtsanwaltskammer Hamburg hatte insbesondere gegen die Werbung mit der Botschaft einer kostengünstigen „Print-at-home-Alternative“ zum Anwalt geklagt.

Auf einem anderen Prinzip beruht die Mängelüberprüfung von Bußgeldbescheiden für zu hohes Tempo, überfahrenes Ampel-Rot oder Telefonieren am Steuer - verknüpft mit der Frage, ob es Sinn macht, den Bescheid anzufechten. „Geblitzt.de“ vermag seinen Service gebührenfrei zu offerieren, weil Partneranwälte für genutzte Spezialsoftware Lizenzgebühren entrichten, und außerdem die behördliche Bußgeldstelle für Anwaltskosten aufkommt, wenn sie eine fehlerhafte Forderung zurücknehmen muss. Auch Festpreis-Portale gibt es: Beispielsweise checkt „Mineko“ Abrechnungen von Mieter-Nebenkosten gegen einen Pauschalbetrag.

Hohe Standardisierung

Während die einen Legal Tech als Trojanisches Pferd im Markt juristischer Dienstleistungen ablehnen, rühmen andere den verbesserten Zugang zum Recht, jedenfalls in gewissen Bereichen. Die Attraktivität digitaler Angebote beim Durchsetzen von Ansprüchen beschreibt Peter Depré, Präsident des Mannheimer Anwaltsvereins: „Der Verbraucher braucht dafür kein Geld.“ Und Klaus Hornung vom Vorstand der Rechtsanwaltskammer Karlsruhe weiß: „Bei kleineren Forderungen bleiben etwa 70 Prozent vom Recht ausgeschlossen“ - weil eine Anwaltskanzlei erst gar nicht aufgesucht wird, häufig aus Kostengründen. Allerdings bieten Onlineportale und Apps ihre Dienste nur an, wenn Konflikte massenhaft auftreten und sich standardisiert bearbeiten lassen. „Legal Tech betreibt Rosinenpickerei“, kritisiert Fabian Widder, der sich als Vorsitzender des Ausschusses für Rechtsdienstleistungsrecht innerhalb des Deutschen Anwaltsvereins intensiv mit dem Thema beschäftigt. Der Berufsstand, so mahnt der Mannheimer Anwalt, dürfe nicht zur „Resterampe“ für Fälle werden, die digitale Rechtsdienstleister als „zu kompliziert und wenig aussichtsreich rauskegeln“.

Anwälte und Anwältinnen - über 165 000 sind in deutschlandweit zugelassen - beklagen ungleiche Bedingungen: Schließlich ist ihnen nicht erlaubt, Honorare auf Erfolgsbasis beziehungsweise Übernahme von Prozesskosten zu vereinbaren. Deshalb soll das am 1. Oktober in Kraft getretene Gesetz zur „Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt“ , auch „Legal-Tech-Gesetz“ genannt, etwas mehr Spielraum gewähren. Künftig darf auch die klassische Anwaltschaft gegen Erfolgshonorar tätig werden - und zwar zur Geltendmachung von Forderungen bis 2000 Euro. Die seinerzeitige Bundesjustizministerin Christine Lambrecht kommentierte: „Wir wollen die Entwicklung im Bereich Legal Tech weiter voranbringen und zugleich vergleichbare Wettbewerbsbedingungen schaffen.“

Ansprüche per Mausklick

So unterschiedlich innerhalb der Anwaltschaft rechtliche Dienstleistungen via Online-Plattformen auch interpretiert werden, Juristen wie Peter Depré und Klaus Hornung gehen davon aus: Das von Inkassounternehmen betriebene Geschäftsmodell wird wohl am Markt bleiben - zumal sich Verbraucher daran gewöhnt haben, zuhause per Mausklick und ohne Kostenrisiko Ansprüche anzumelden. Fabian Widder gibt zu bedenken: „Wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, dass Recht zur Grundversorgung gehört.“ Und dies gelte für alle Facetten - auch für Rechtsdienstleistungen, die sich nicht mit Software standardisiert bearbeiten lassen.

In der Kanzlei des Präsidenten des Mannheimer Anwaltsvereins prangt ein Poster, das berühmte Häupter zeigt - beispielsweise von dem Maler Matisse, dem Komponisten Tschaikowski und dem Dichter Goethe, die allesamt Rechtswissenschaften studiert haben. Der Text lautet: „Juristerei ist Kopfarbeit“. Bleibt abzuwarten, ob es irgendwann ein solches Plakat mit Algorithmen neben klugen Köpfen gibt.

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