Russland setzt seinen brutalen Angriffskrieg auf die Ukraine fort, die Lage der Menschen dort wird von Tag zu Tag verzweifelter. Mit immer neuen wirtschaftlichen Sanktionen will der Westen den russischen Präsidenten Wladimir Putin unter Druck setzen - und auch über diese Einschränkungen hinaus haben viele Unternehmen ihre Geschäfte in Russland nach Ausbruch der Kämpfe eingestellt: Apple, McDonald’s oder H&M schlossen - teils nach öffentlichem Druck - ihre russischen Filialen, Autokonzerne wie der Lkw-Bauer Daimler stoppten ihre Produktion vor Ort.
Der Walldorfer Softwarekonzern SAP kündigte vor wenigen Tagen ebenfalls an, sich noch stärker aus Russland zurückziehen zu wollen. In den vergangenen Wochen war das Unternehmen von der ukrainischen Regierung kritisiert worden, weil es seine Aktivitäten zunächst nur teilweise eingestellt hatte. Auch andere Firmen aus der Region, wie der fränkische Ventilatorenhersteller ebm-papst oder der Kindergetränke-Produzent Capri Sun mit seinem großen Werk in Eppelheim, haben ihr Russlandgeschäft bis auf Weiteres ausgesetzt und verkaufen ihre Produkte dort nach eigenen Angaben nicht mehr.
Die schnelle und klare Reaktion aus der Wirtschaft hat Experten wie Florian Stahl, Marketingprofessor an der Universität Mannheim, anfangs überrascht. „Wobei man im Einzelfall genau hinschauen muss, ob sich ein Unternehmen wirklich ganz zurückgezogen oder nur einen Teil des Geschäfts eingestellt hat“, sagt er. Der öffentliche Druck für Firmen, nicht am „business as usual“ festzuhalten, sei jedenfalls groß. „Die russische Aggression hat eine Dimension erreicht, bei der die Stimmungslage in der breiten Öffentlichkeit der westlichen Länder eindeutig war. Viele Firmen haben gesehen, dass ihnen ein Imageschaden droht, wenn sie darauf nicht reagieren.“
Bekannte Marken im Fokus
Zu spüren bekam das unter anderem der Schokoladenhersteller Ritter Sport: Weil er seine Produkte weiter in Russland verkaufte, erntete er einen Shitstorm, im Internet wurde zum Boykott aufgerufen. Das Unternehmen argumentierte wiederum, ein Rückzug gefährde Arbeitsplätze und die Lebensgrundlage vieler Kakaobauern. Nach Einschätzung von Marketingexperte Stahl muss potenziell jedes Unternehmen, das an seinem Russland-Geschäft festhält, momentan mit einem Shitstorm rechnen. Vor allem Marken, die bei Endverbraucherinnen und -verbrauchern sehr bekannt seien, stünden im Fokus: „Wen es am Ende trifft, ist teilweise auch ein Stück weit Zufall - aber das Risiko ist grundsätzlich hoch.“
Auch in der Region gibt es Unternehmen, die ihr Russland-Geschäft trotz des Krieges weiter betreiben, wie HeidelbergCement. „Wir sind seit über 20 Jahren in Russland aktiv und haben dort viel aufgebaut: Bei unserer Tochtergesellschaft vor Ort arbeiten rund 1300 Menschen, übrigens aus vielen verschiedenen Nationen. Auch ihnen gegenüber haben wir eine Verantwortung“, sagt ein Sprecher. Mit drei Zementwerken habe man zudem große Vermögenswerte in Russland. „Wenn wir uns aus dem Geschäft zurückziehen, ist anzunehmen, dass unsere Werke in Staatshand fallen werden. Die Zementproduktion dort würde sicher trotzdem weiterlaufen - dann aber kontrolliert von Russland und nicht mehr durch einen globalen Konzern, der unter anderem eine klare Menschenrechts-Policy hat.“ Gleichzeitig bekräftigt das Unternehmen, dass es alle geplanten Investitionen in Russland eingefroren hat. „Wir sprechen hier von einem signifikanten dreistelligen Millionenbetrag“, so der Sprecher.
Auch das Mannheimer Unternehmen Pepperl+Fuchs liefert, nach einem vorübergehenden Stopp zu Beginn des Krieges, seit April wieder nach Russland - „in deutlich reduziertem Umfang“ und unter Einhaltung aller Sanktionsvorgaben, wie es in einer Mitteilung heißt. Im Fokus stünden aber nicht Umsatz- und Gewinnmaximierung. Vielmehr wolle man dazu beitragen, die „Sanktionsauswirkungen auf die russische Zivilbevölkerung“ einzugrenzen. Pepperl+Fuchs-Produkte würden u.a. in der Lebensmittelbranche, der Pharmazie oder als sicherheitstechnische Ausstattung gebraucht.
Verweis auf russische Belegschaft
Vorstandschef Gunther Kegel hatte Anfang April gegenüber dieser Redaktion auch auf die Verantwortung des Unternehmens für seine Beschäftigten in Russland verwiesen. Pepperl+Fuchs ist mit zwei Vertriebsgesellschaften vor Ort, dort arbeiten laut Unternehmen 28 Menschen. „Wir halten nur noch an den geringen Geschäften fest, weil wir unsere Mitarbeiter in Russland wirtschaftlich, aber auch vor staatlichen Repressalien schützen wollen“, so Kegel. „In diesem Umfang ist das Russland-Geschäft für uns hoch defizitär.“ Das Darmstädter Pharmaunternehmen Merck, das in Russland mehr als 400 Mitarbeitende beschäftigt, argumentiert mit der Verantwortung für die russische Zivilbevölkerung. „Die Gesundheit und das Wohlergehen von Menschen werden immer im Mittelpunkt unseres Handelns stehen“, heißt es in einer Stellungnahme des Dax-Konzerns. „Im Sinne des Purpose von Merck versorgen wir die Patienten in der betroffenen Region weiterhin mit dringend benötigten Medikamenten.“ Auch Kunden in den Bereichen Pharma, Biotechnologie und klinische Diagnostik würden weiter beliefert, um die Herstellung von medizinischen Produkten zu ermöglichen. Alle Sanktionen würden strikt eingehalten.
Für Marketingexperte Stahl zählen Argumente wie die Sicherung von Arbeitsplätzen oder die Versorgung der russischen Bevölkerung für eine Fortsetzung der Aktivitäten unterdessen nur bedingt: „Einzeln betrachtet mögen diese Argumente valide sein. Trotzdem unterlaufen sie am Ende die Idee und den Versuch, den Aggressor mit einem gemeinsamen, entschlossenen Auftritt zu stoppen.“
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