Industrie

Saint Gobain schließt Mannheimer Glasfabrik zum Jahresende

Von 
Bettina Eschbacher
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Die Gebäude der Firma Saint Gobain aus der Vogelperspektive. © Zinke

Mannheim. Seit 1853 wird in Mannheim Glas hergestellt, doch Ende Dezember ist Schluss. Dann wird auch der letzte Produktionszweig des Saint-Gobain-Glaswerkes eingestellt – die Solarsparte mit rund 50 Mitarbeitern. Das teilte ein Sprecher von Saint-Gobain Deutschland auf Anfrage mit. Seit September ist bereits die Gussglasfertigung gestoppt. Betroffen sind hier rund 80 Beschäftigte.

Gekündigt wurde diesen aber noch nicht, weil die Verhandlungen über einen Sozialplan mit dem Betriebsrat weiterlaufen. Die Kollegen von der Solarsparte hätten das Unternehmen dagegen schon verlassen: „Ihnen wurden Trennungspakete inklusive Abfindungen angeboten“, so der Sprecher. Alle hätten ausnahmslos angenommen. Rund einem Dutzend der Beschäftigten sei eine neue Stelle innerhalb der Saint-Gobain-Gruppe vermittelt worden, und zwar überwiegend in der Region.

Zu geringe Auslastung

In Mannheim wurde sogenanntes Gussglas produziert, das als Dekorglas zum Beispiel in Türen eingesetzt wird. Außerdem dient es als Ausgangsmaterial für Glas, das bei Photovoltaikanlagen oder in Gewächshäusern verwendet wird. Die Nachfrage nach diesem Glas ist laut dem französischen Saint-Gobain-Konzern, zu dem der Mannheimer Standort gehört, seit einigen Jahren immer weiter zurückgegangen – und das europaweit.

Ein Grund war demnach die zunehmende Abwanderung der Produktion von Photovoltaik-Anlagen nach Asien. Dadurch sei das Mannheimer Glaswerk schon längere Zeit nur teilweise ausgelastet gewesen, „und dann laufen die Kosten davon“, hatte ein Unternehmenssprecher im Juni erklärt, als die Werkschließung bis spätestens Mitte 2021 angekündigt wurde.

Damals kündigt Saint-Gobain auch an, dass die Verhandlungen für Interessenausgleich und Sozialplan in zwei bis drei Monaten stehen sollten. Doch die laufen noch und führten zudem zu Verfahren vor dem Mannheimer Arbeitsgericht, wie Patrick Schütze von der Mannheimer Geschäftsstelle der Gewerkschaft IG BCE erklärt. „Die Arbeitnehmervertreter wurden in die Entscheidungen in keinster Weise eingebunden.“ Auch einen Alternativ-Vorschlag der Arbeitnehmer für den Weiterbetrieb mit Hilfe von öffentlichen Fördermitteln habe man sich gar nicht angehört. Es sei schwierig gewesen, überhaupt Information vom Arbeitgeber zu bekommen. Daher hätten sich die Verhandlungen für die 80 Mitarbeiter der Gussglasfertigung verzögert, so Schütze.

Saint-Gobain habe schließlich versucht, einen Interessenausgleich vor Gericht durchzusetzen. Nach einer Beschwerde des Betriebsrates habe man sich auf einen Termin Mitte Januar bei der Einigungsstelle des Arbeitsgerichts geeinigt.

IG BCE bemängelt Abfindungen

Ein Interessenausgleich stellt die Basis für den Sozialplan dar, bei dem über Abfindungen und Weiterbildungsangebote für die Betroffenen entschieden wird. „Wir erwarten, dass ein milliardenschwerer Arbeitgeber wie Saint-Gobain seinen sozialen Verpflichtungen nachkommt“, sagt Schütze. Für viele langjährige Beschäftigte sei das Werk doch eine Heimat. Gerade in der Corana-Zeit werde es schwierig, einen neuen Job zu finden. Schütze bemängelt auch die Abfindungen für die Beschäftigten der Solarsparte, die keinen Betriebsrat hatte: „Das ist kein gutes Angebot für einen Konzern, der so viel Geld verdient.“

Der Bau und die Inbetriebnahme der sogenannten Spiegelmanufaktur im Jahr 1853 markierten den Beginn der Industrialisierung Mannheims. Für die Produktion waren zunächst französische Arbeiter zuständig. Saint-Gobain brachte sie von der anderen Seite des Rheins mit und errichtete ihnen eine Wohnstätte direkt beim Arbeitsplatz: die älteste Werkssiedlung Mannheims, die sogenannte Spiegelkolonie.

Die hochwertigen Produkte waren europaweit begehrt, auch in Deutschland: Der bayerische König Ludwig II. ließ seine Schlösser Herrenchiemsee und Linderhof mit ihnen ausstatten. (mit baum/fas)

Redaktion Bettina Eschbacher ist Teamleiterin Wirtschaft.

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