Berlin. Zugausfälle und Verspätungen sind in Deutschland zur Normalität geworden. Anfang des Jahres gab die Deutsche Bahn bekannt, dass jeder dritte Fernzug 2022 zu spät kam. Jede Menge Gründe also für Fahrgäste, sich von der Bahn Geld zurückzuholen. Doch genau hier könnten Bahnfahrer bald in die Röhre gucken, denn die Fahrgastrechte werden in den nächsten Monaten massiv beschnitten. Das liegt an einer neuen Verordnung. Die wollen die Verkehrsminister der Länder am 12. Mai auf den Weg bringen.
„Kunden zweiter Klasse“
Dann wird im Bundesrat über eine Änderung der Eisenbahn-Verkehrsordnung (EVO) abgestimmt. Der Haken liegt in Paragraf zwei. Darin sind all die Tickets gelistet, für die Reisende keine Fahrgastrechte einklagen können. Wer eine normale Fernreise oder Nahverkehrsverbindung bucht und auf der Reise feststellt, dass ein Nahverkehrszug absehbar mit wenigstens 20 Minuten Verspätung am Ziel ankommen wird, kann für diese Strecke einen schnelleren Zug des Fernverkehrs nutzen. Im Notfall müssen die Verkehrsunternehmen auch ein Taxi oder Ähnliches zahlen. Auch die Kosten für das Ticket bekommt man in Teilen oder ganz erstattet.
Doch für Inhaber des Deutschlandtickets ist das nicht möglich. Verbraucherschützerin Marion Jungbluth warnt: „Mit der Novelle der EVO wird das Niveau der Fahrgastrechte deutlich abgesenkt.“ Die Mobilitätsexpertin ist der Meinung, dass Nutzer des Deutschlandtickets zu „Kunden zweiter Klasse werden“, wenn die neue Fahrkarte in die Reihe der Fahrausweise mit „erheblich ermäßigtem Beförderungsentgelt“ aufgenommen werden. Dann können Reisende entweder ihre Fahrkarten nach Abschnitten (Fern- und Nahverkehrszug) zusammenstückeln und tragen dafür das Risiko, bei einem verpassten Anschlusszug ohne Entschädigung dazustehen. Oder sie kaufen ein durchgängiges Ticket für die gesamte Reisekette und zahlen doppelt, da sie für den Nahverkehrsteil der Reise bereits das Deutschlandticket gelöst haben, erklärt Jungbluth.
Abgemachte Sache
Die Bahn rechnet wohl mit höheren Einnahmen durch Doppelzahler. Stückeln die Fahrgäste ihre Reise auf, verliert das Unternehmen den Überblick darüber, wer wann zu welcher Zeit auf welcher Strecke unterwegs ist. Die Folge wären übervolle Wagen, wenn Inhaber des Deutschlandtickets auf höherwertige Züge ausweichen dürften.
Die Landesminister haben es in der Hand, ob der Bundesrat das Deutschlandticket kurz nach dem Start am 1. Mai derart abwertet. Allerdings heißt es auf Nachfrage dieser Redaktion aus den Ländern, dass die Schlechterstellung des Deutschlandtickets von vorneherein abgemachte Sache war. „Die Verhandlungen für dieses Ticket waren so schwierig. Es ging nur durch, weil es an diese Konditionen geknüpft war“, heißt es aus einem Landesverkehrsministerium.
Das bayerische Verkehrsministerium sieht „keine Beschneidung der Fahrgastrechte durch die Änderung der EVO“. Das Deutschlandticket sei ein Abo-Ticket, für das keine Zugbindung besteht, sagt ein Ministeriumssprecher dieser Redaktion. „Es obliegt dem Fahrgast, eine Verbindung zu wählen, die sicherstellt, dass er seinen geplanten Fernverkehrszug erreicht“, heißt es im Freistaat weiter.
Schon jetzt tut die Bahn vieles, um keine Ticketpreise zurückerstatten zu müssen. Verbraucherschützerin Jungbluth sagt: „Die Deutsche Bahn schützt sich mit Tricks vor Entschädigung.“ Zum Beispiel gibt es in Deutschland das „59-Minuten-Phänomen“. Erst ab einer Stunde Verspätung haben die Kunden Regressanspruch. Häufig drücken die Fernzüge, wenn es knapp wird, aufs Gas – Nahverkehrszüge der Deutschen Bahn müssen dafür warten. Zudem gilt ein Zug erst bei über fünf Minuten Verzögerung als verspätet.
Auch EU-Verordnung hat Folgen
Zum 7. Juni 2023 tritt dann noch die neue EU-Bahngastrechteverordnung in Kraft. Die EU-Verordnung geht in nationales Recht über, wenn der Bund keine Änderungen vornimmt. Eisenbahnunternehmen müssen dann keine Entschädigung zahlen, wenn die Verspätung durch höhere Gewalt entstanden ist. Bei Fluggesellschaften ist das heute schon so, seitdem müssen Reisende noch mühsamer um Erstattungen ihrer Flugtickets kämpfen. Bei den Bahnen zählen dann auch extreme Wetterbedingungen oder das Verhalten Dritter, wenn jemand die Gleise unerlaubt betritt oder Sabotage geschieht, als Ausrede. Ein Chaostag im Bahnnetz wie beim Sabotageakt Anfang Oktober 2022, als unbekannte Täter Kabel durchtrennten, sorgt dann für doppelten Frust bei den Reisenden.
Der Bundesverband der Verbraucherzentralen fordert daher, dass die Fahrgäste ab Verspätung von 30 Minuten einen Gutschein im Wert von zehn Euro erhalten, der beim Anbieter in ein neues Ticket umgewandelt werden kann. So entstünden der Bahn keine Unkosten, denn das Geld fließt ins Unternehmen zurück. Schließlich gehen die Überlegungen dahin, das Deutschlandticket in die Reihe der Fahrausweise mit ermäßigtem Beförderungsentgelt aufzunehmen, auf Bedenken der Branche zurück. Die Transportunternehmen sagen, Reisenden Geld für das Deutschlandticket zu erstatten, sei wirtschaftlich nicht verhältnismäßig – die Bearbeitungskosten überstiegen den Fahrpreis.
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