Umfrage

Personalmangel: Mit diesen Folgen kämpfen Betriebe in Mannheim und der Region

Das Lokal bleibt mittags zu, in der Arztpraxis läuft der Anrufbeantworter, und das Schwimmbad schließt früher: Weil es an Personal fehlt, müssen Betriebe ihr Angebot einschränken – oder schließen sogar ganz

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Bettina Eschbacher , Tatjana Junker , Christian Schall und Walter Serif
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Der Fachkräftemangel reißt in der Wirtschaft immer größere Lücken - und trifft auch in der Region ganz unterschiedliche Branchen. © istock

Rhein-Neckar. Fehlendes Personal wird für die deutsche Wirtschaft zu einem immer größeren Problem: Das zeigt eine Umfrage des Münchner ifo Instituts. Demnach war im Juli rund jeder zweite Betrieb vom Fachkräftemangel beeinträchtigt – ein neuer Höchststand. „Immer mehr Unternehmen müssen ihre Geschäfte einschränken, weil sie einfach nicht genug Personal finden“, sagt Stefan Sauer, Arbeitsmarktexperte am ifo Institut.

Auch bei einer aktuellen bundesweiten Umfrage des Instituts Civey und dieser Redaktion unter Erwerbstätigen gaben knapp 60 Prozent an, dass ihr Arbeitgeber unter Personalmangel leidet.

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26 Prozent der Befragten glaubten sogar, dass der Betrieb durch den Fachkräftemangel in seiner Existenz bedroht ist.

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Das Lokal bleibt mittags zu, in der Arztpraxis läuft immer öfter der Anrufbeantworter, und das Schwimmbad schließt abends eine Stunde früher: Weil es an Personal fehlt, müssen auch Betriebe in der Region ihr Angebot einschränken – oder schließen mancherorts sogar ganz. Das zeigt unsere Umfrage:

Katrin Schimscha, Schimscha GmbH in Ravenstein:

Wir sind ein mittelständisches Familienunternehmen, das nun schon bald in der fünften Generation fortgeführt wird. Am Firmenstandort in Ravenstein verarbeiten wir Edelstahl, Stahlblech und Aluminium unter anderem zu Schaltschränken, Maschinenverkleidungen und Produktionszellen. Unsere Kunden haben meistens nur eine erste Produkt- und Umsetzungsidee. Wir helfen ihnen dann bei der Realisierung. Wir verstehen uns also als „Schaffer“ und Problemlöser. Dazu brauchen wir ausgezeichnetes Personal und ausgebildete Fachkräfte. Viele unserer 130 Mitarbeitenden sind sehr lange bei uns. In den nächsten Jahren steht ein großer Generationenwechsel an, viele Mitarbeiter werden in den Ruhestand gehen. Deshalb ist es jetzt besonders wichtig, dass wir neue Fachkräfte ausbilden und einlernen.

Gegenwärtig beschäftigen wir drei Auszubildende. Heutzutage ist es aber gar nicht mehr so leicht, die junge Generation für eine handwerkliche Ausbildung zu begeistern. Wir suchen auch nach motivierten Fachkräften, insbesondere nach Maschinenbedienern und Lackierern. Um uns facettenreich zu präsentieren, haben wir Anfang des Jahres einen Account bei Instagram ins Leben gerufen. Dort haben wir mittlerweile rund 1000 Follower. Offene Stellen konnten wir mit Hilfe des Kanals auch schon neu besetzen. Wir bemühen uns, die Wünsche unserer Mitarbeiter durch neue, innovative Gestaltungsideen bestmöglich zu erfüllen, auch wenn wir einem Maschinenbediener oder einem Monteur natürlich kein Homeoffice anbieten können.

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Alexander Jungert
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Christian Dittert, Apotheker aus Birkenau:

Ich habe zwei Apotheken, eine in Birkenau und eine in Viernheim. Für beide suche ich Fachkräfte, sowohl Apotheker als auch pharmazeutisch-technische Assistenten. Seit 1. März habe ich drei Personalvermittler eingeschaltet und eine Social-Media-Kampagne gestartet – bisher ohne Erfolg. Es kommen keine qualifizierten Bewerbungen.

Für uns ist das besonders schwierig, weil nur pharmazeutisches Personal vorne im Handverkauf Medikamente ausgeben darf. In unserer Apotheke in Viernheim hatte ich über mehrere Monate nur noch eine approbierte Kraft, die Filialleiterin. Sie hat von März bis Juni 60 Stunden die Woche gearbeitet. Wenn sie krank geworden wäre, hätte ich die Apotheke ganz schließen müssen, so hatten wir wenigstens nur an einzelnen Tagen zu.

Inzwischen ist zum Glück eine Kollegin in Teilzeit aus der Elternzeit zurück. Trotzdem können wir manche Leistungen, wie beispielsweise individuelle Rezepturen, nicht mehr anbieten, weil wir zu wenige sind. Dabei gehört das eigentlich zu unseren Kernkompetenzen.

Ich frage mich wirklich, wie das weitergehen soll: Ich kenne aktuell keinen Kollegen aus der Branche, der nicht am Limit arbeitet. Erschwert wird das Ganze durch bürokratische Hürden: Ich versuche gerade, eine Südkoreanerin einzustellen, die noch das dritte Staatsexamen machen muss. Das ist alles wahnsinnig kompliziert und aufwendig.

Carsten Müller, Pressesprecher der Stadt Bad Mergentheim:

„Weil es Engpässe beim Personal gibt, schließt eines von unseren drei Freibädern in dieser Saison abends eine Stunde früher als in den Vorjahren – also um 19 Uhr statt um 20 Uhr. Das ist zwar eine Einschränkung, aber verglichen mit dem, was man aus anderen Regionen hört, ist sie noch sehr moderat. In vielen Kommunen fehlt es ja im Moment an Personal für die Schwimmbäder. In den beiden anderen Freibädern und in unserer Therme haben wir zum Glück genügend Mitarbeiter, dort haben wir die Öffnungszeiten nicht anpassen müssen.

Als Konsequenz aus der aktuellen Situationen bilden wir in dem Bereich jetzt wieder aus und haben eine Lehrstelle für Fachangestellte für Bäderbetriebe geschaffen. Aber auch dafür muss man erst einmal passende Kandidaten finden – die Lage auf dem Ausbildungsmarkt ist schließlich auch schwieriger geworden. Bis jetzt ist die Stelle jedenfalls noch nicht besetzt.

Christian Riedel, Hautarzt in Mannheim:

„Wir suchen seit einem Jahr händeringend medizinische Fachangestellte für unsere moderne Praxis und haben vieles probiert: Inserate, Aushänge, Instagram, Agentur für Arbeit. Aber es kommen keine oder keine vernünftigen Bewerbungen. Die Mitarbeiter, die wir haben, arbeiten am Anschlag, der Krankenstand ist sehr hoch, was auch an der daraus resultierenden Überlastung liegt.

Seit drei Monaten haben wir etwa ein Drittel der Praxisfläche geschlossen, weil uns das Personal dafür fehlt. Wir können auch keine neuen Patienten mehr aufnehmen. Außerdem gibt es zuletzt immer öfter Zeiten, in denen niemand das Telefon beantworten kann. Das versuchen wir aufzufangen, indem wir mit viel Aufwand die Digitalisierung hochjagen, zum Beispiel durch ein automatisches Auswahlverfahren am Telefon und in Zukunft Online-Terminvereinbarung. Wir haben teils 50 bis 70 Anrufe pro Stunde, da bräuchten wir ein Call-Center, um alle persönlich zu beantworten. Um mehr Personal zu bekommen, bilden wir massiv aus. Seit Kurzem haben wir einen Studenten als Ersatz für medizinische Fachangestellte eingestellt. Das klappt super. Deshalb suchen wir mit Aushängen an der SRH und Uni Studierende und hoffen, dass wir mehr Erfolg haben als bei medizinischem Fachpersonal. Letzteres wird stark von den Kliniken vom Markt gezogen.

Luisa Occhionero, Restaurant Luisella in Mannheim:

„Uns fehlt vor allem Personal in der Küche, ein Koch oder ein Hilfskoch und Spüler. Im Moment sind wir nur zu zweit: mein Pizzabäcker und ich. Wir machen in der Küche alles alleine. Im Service könnte ich zwar mehr Leute einstellen, aber das bringt nichts, wenn wir in der Küche nicht hinterherkommen. Bevor wir ganz ausgepowert sind und krank werden, haben wir jetzt seit einiger Zeit mittags geschlossen und öffnen das Lokal nur noch abends.
Es gibt zwar schon immer wieder Menschen, die sich bewerben, aber die sind alle nicht ausgebildet. Ich brauche qualifiziertes Personal. Schon allein, weil ich nicht die Zeit habe, jemanden einzuarbeiten, der gar keine Gastronomie-Erfahrung hat. Deshalb kann ich auch nicht ausbilden.

Qualifiziertes Personal zu finden, war schon vor der Pandemie schwierig. Nachdem sich mein früherer Koch vor ein paar Jahren selbstständig gemacht und gekündigt hat, habe ich etwa ein Jahr lang mit wechselnden Aushilfen gearbeitet, dann kam Corona. Seither ist es viel schlimmer geworden mit dem Personalmangel. Ich frage mich: Wo sind die ganzen Menschen geblieben? Ich vermute, dass viele junge Leute keine Lust haben auf Arbeit in der Gastronomie, weil sie am Wochenende frei haben wollen – oder wenn, dann gehen sie lieber in die Systemgastronomie, zu McDonalds oder BurgerKing.

Reiner Sippel, Bäckerei Sippel in Bad Dürkheim:

„Wir hatten wegen Personalmangels eine Filiale vorübergehend geschlossen. Jetzt haben wir entschieden, dass wir sie nicht mehr öffnen werden. Wir hatten gerade wieder einen Personalwechsel und haben mit aller Gewalt noch jemanden gefunden, um wenigstens eine Lücke schließen zu können, aber es reicht hinten und vorne nicht, um eine kleine Filiale, die ja meist nur von einer Kraft geführt wird, weiter zu betreiben.

Das wird immer schwieriger. Wir haben alles mobilisiert, was irgendwie geht, auch aus dem familiären Umfeld. In anderen Filialen haben wir die Öffnungszeiten verkürzt, in einer Verkaufsstelle ist das allerdings auch den Ferien geschuldet, weil es außerhalb der Schulzeit dort sehr ruhig ist. Allgemein merken wir eine Kaufzurückhaltung, das Geld wird knapper und wird gespart. Die Deutschen haben die Angewohnheit, zuerst bei den Lebensmitteln zu sparen.

In der Backstube sind wir noch gut aufgestellt und konnten zuletzt auch einen Nachfolger finden, nachdem ein Mitarbeiter aufgehört hatte. Aber altersbedingt stehen dort demnächst wieder Wechsel an, und dann wird die Luft wieder dünn. Auf dem Ausbildungsmarkt ist es ebenfalls schwierig. Wir hatten einen Auszubildenden, der eine gute Ausbildung gemacht hat, fachlich sehr gut ist und bei uns bleibt. Darüber sind wir sehr froh.“

Catharina Cichon, Friseursalon Schnittraum36 in Neustadt/Weinstraße:

Wir haben zurzeit anderthalb Mitarbeiterinnen weniger als nötig. In zwölf Jahren haben wir eine große Stammkundschaft aufgebaut und finden einfach kein Personal. Nach monatelanger Suche haben wir zwei Teilzeitmitarbeiterinnen gefunden, die im Oktober anfangen – aber das reicht natürlich noch nicht. Wir nehmen seit März schon keine Neukundinnen mehr auf. Seit Januar arbeiten meine Geschäftspartnerin und ich deutlich länger, es kann auch mal bis 21 Uhr gehen. Und zum allerersten Mal in zwölf Jahren schließen wir für eine Woche in den Herbstferien, weil es nicht anders geht.

Unser Arbeitsalltag ist jetzt ein ganz anderer: Wir haben eine sehr lange Warteliste von zwei Seiten, wir sind bis September voll. Immer, wenn jemand kurzfristig absagt, sind wir am Telefonieren und versuchen, Termine umzuswitchen. Um dann überhaupt Ersatztermine anbieten zu können, arbeiten wir halt länger. Ich hoffe, dass sich die Personallage bessert, wenn sich die Unsicherheit in unserer Branche durch die Pandemie gelegt hat. Schließlich profitieren die Beschäftigten durch den Mangel. Bezahlung, Zusatzleistungen, Arbeitszeiten – das alles wird besser.

Viktoria Blüm, Metzgerei Blüm in Lampertheim:

„Wegen Personalmangels haben wir entschieden, montags einen Ruhetag zu machen und die Metzgerei nicht mehr zu öffnen. Auch das Angebot des Mittagstischs haben wir von zwei Gerichten auf eins reduziert, weil wir keine Köche mehr gefunden haben.

Man muss einfach sagen: Es gibt nichts auf dem Markt. Zum ersten Mal seit 15 Jahren haben wir wieder einen Auszubildenden. Aber nicht, weil wir nicht ausbilden konnten oder wollten, sondern weil einfach keine Nachfrage da war. Wir haben immer bei der Arbeitsagentur Stellen ausgeschrieben und waren dort und beim Fleischerverband als Ausbildungsbetrieb registriert. Aber es gab nie eine Bewerbung. Man kann nur vermuten, warum das so ist. Sicher liegt es am Image des Berufs, aber auch daran, dass wir viele Groß-Unternehmen in der Region haben, die für Azubis attraktiver sind und mit deren Bezahlung ein Familienbetrieb nicht mithalten kann. Soweit ich weiß, gab es im Kreis Bergstraße zuletzt Jahrgänge ohne Metzger-Azubi.

Wir haben den Anspruch, dass wir Fachkräfte brauchen und wollen. Wir müssen unsere Kunden beraten und wissen, was man aus welchem Muskelstück machen kann, wie man es zubereitet und wie das Fleisch zugeschnitten wird. Dafür ist Fachwissen nötig, Studenten oder Aushilfen sind da keine Lösung. Auf der anderen Seite würde uns ein zweiter Azubi nicht weiterhelfen, ich könnte ihn nicht so ausbilden, wie ich müsste. Er würde mit dem anderen Azubi um die Arbeit konkurrieren.

Sollte ich den Betrieb von meinen Eltern übernehmen, wird der Fachkräftemangel in den nächsten Jahren mein Problem. Unsere Angestellten gehen nach und nach in Rente. Kommt kein Nachwuchs, stehe ich in fünf bis zehn Jahren alleine da.“

Redaktion Bettina Eschbacher ist Teamleiterin Wirtschaft.

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