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Heidelberg. Wussten Sie, dass der Start von Bauarbeiten quasi bis zur letzten Minute nicht vollkommen feststeht? Ein Problem, findet Olga Mordvinova, 42 Jahre alt und Tech-Unternehmerin aus Heidelberg. Vorhersagemodelle auf der Basis von künstlicher Intelligenz (KI) könnten helfen, Abnormitäten im Straßenverkehr zu erkennen, sagt die Gründerin der incontext.Technology (INCTEC) aus Heidelberg. Die realistische Planung von Verkehrsströmen hält die ehemalige SAP-Technologin, die heute zu Deutschlands Top-Gründerinnen gezählt wird, für eines der vielversprechendsten KI-Anwendungsgebiete.
Bauarbeiten am ersten Schultag
Der beste Moment für den Beginn einer Baumaßnahme hänge von vielen äußeren Faktoren ab, erklärt Mordvinova: Temperatur, Niederschlag, die Verfügbarkeit von Mitarbeitern und Material: So kann es dann passierten, dass die für Bauarbeiten notwendige Verjüngung von zwei auf eine Fahrspur an einer Hauptverkehrsader ausgerechnet auf den Beginn einer regionalen Messe fällt, oder auf den ersten Schultag. Suboptimal - und künftig vermutlich vermeidbar, sagt die IT-Spezialistin.
Smarte IT schaffe die Voraussetzung für bessere Vorhersagen. Sie helfe Tendenzen zu erkennen, zum Beispiel, wenn Maschinen nicht richtig arbeiten. Wer Probleme ausmacht, möglichst bevor ihre Folgen auftreten, kann gegensteuern. Dieser Vorsprung, sagt die gebürtige Ukrainerin, mache den Wert von KI in der industriellen Fertigung aus: antizipieren, nicht reagieren.
Kern von zehn Mitarbeitern
Noch haben Industrie und Verwaltungen auf diesem Gebiet mächtig Luft nach oben: Weniger als zehn Prozent aller deutschen Unternehmen nutzen laut Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bislang KI-Technologie. IT solle Prozesse resilienter machen, erklärt Olga Mordvinova: „Wir modellieren, was vorhanden ist, entdecken Optimierungspotenzial und entwickeln Möglichkeiten, Fehler aufzudecken und vorherzusagen. Wir schaffen Transparenz“.
Zu dritt hätten sie die Firma vor acht Jahren gegründet, erzählt sie. Alle drei hatten sich bei SAP kennengelernt und ein ähnliches Verständnis davon, wie sie die Zusammenarbeit gestalten wollen: „Wir wollten ein Ökosystem schaffen für intelligente Technologie-Entwicklung“, sagt sie. Das Team solle Zeit bekommen, sich zu entfalten, ohne übertriebenen Druck. Der Kern besteht aus zehn Mitarbeitern, alle haben an der Uni Heidelberg studiert. Projektweise werden externe Experten hinzugezogen. Ein Netzwerk sei wichtig, sagt Mordvinova: „Manchmal ist externes Expert-Know-how notwendig“.
Der Start gelang ohne Risiko-Capital: „Wir hatten sofort Aufträge“, sagt die Wahl-Heidelbergerin. Das erste große KI-Projekt zog die junge Tech-Firma in Frankreich an Land. Orange, der größte französische Telekommunikationskonzern, hatte einen Wettbewerb ausgeschrieben, zusammen mit der staatlichen Eisenbahngesellschaft SNCF. INCTEC setzte sich gegen 150 Wettbewerber durch und erreichte aus dem Stand den dritten Platz. SNCF wurde der erste Kunde.
Die Aufgabe der jungen Firma bestand in der Entwicklung einer Anwendung zur autonomen Überwachung der Beleuchtung in Eisenbahntunneln, um die Strecke sicherer zu machen. Später ging es um die Überwachung der Schienen. Entlang der ganzen Strecke erfassen Sensoren am Kugellager des Zuges Schläge und Erschütterungen. Mit Hilfe dieser Daten können drohende Mängel erkannt werden, bevor sie zu Störungen führen. Das erleichtert die Planung der Instandhaltung. Mittelfristig könne diese Technologie auch dazu beitragen, Verspätungen oder Ausfälle im Bahnverkehr zu verhindern, sagt Mordvinova.
„Leben und Arbeiten erleichtern“
Profitieren können von dieser Technologie nicht nur Bahnunternehmen - davon ist sie überzeugt - sondern insbesondere auch Maschinen der Industrie 4.0. Mögliche Einsatzfelder: Produktion, Kreislaufwirtschaft, Smart-City, Liegenschaftspflege.
„Ich will Software bauen, die das Leben und Arbeiten erleichtert“, beschreibt die Gründerin ihre Motivation. INCTEC entwickelt deswegen auch spezialisierte User-Interfaces, also Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine: Menschen-zentrierte Technik wolle sie entwickeln, sagt Mordvinova. Denn oftmals liegt es nicht an der Technik, wenn es nicht klappt mit der Anwendung, sondern an der Verständigung. Deshalb habe sie auch erst Linguistik und Compurterlinguistik studiert. Sie habe verstehen wollen, wie Menschen lernen und kommunizieren, um dieses Wissen den Maschinen näher zu bringen.
Den eigenen Weg gesucht
Von heute aus betrachtet sei der Ansatz, dem IT-Studium eine sprachwissenschaftliche Ausbildung vorauszuschicken, richtig, findet sie. Auch wenn ihre Familie zunächst skeptisch war. Alle rieten ihr zu einem rein naturwissenschaftlichen Studium, ließen sie am Ende aber ihren eigenen Kurs steuern. Ihren beiden Töchtern werde sie ebenfalls Raum geben, den eigenen Weg zu suchen, sagt sie.
Menschliches Lernen und digitale Technik zusammenbringen, das sei damals wie heute ihr Antrieb, sagt sie. Sie möchte etwas bewegen für die Unternehmen, die sie beauftragen. „Für mich“, sagte sie, „lautet die wichtigste Frage, bevor wir ein neues Projekt angehen: Wo erreichen wir den größten Impact“?
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