Berlin. Humor ist, wenn man trotzdem lacht, denkt man sich bei Bahn neuerdings womöglich. In der hinlänglich besprochenen Web-Serie mit dem Titel „Boah, Bahn!“ nimmt Anke Engelke das Staatsunternehmen aufs Korn. „Ein Witz ist wie ein Zug – muss ankommen“, lernt der Zuschauer dabei zum Beispiel. Na ja. Angesichts der zahlreichen Herausforderungen – man könnte auch sagen, Probleme – hilft bei der Bahn offenbar nur noch Selbstironie. Was natürlich nicht bei der Präsentation des neuen Hochgeschwindigkeitszugs ICE L gilt.
Ostbahnhof Berlin, an diesem Freitag, kurz nach 11 Uhr. An Gleis sieben öffnet sich die Tür von Wagen 16 des ICE 1548. Heraus treten die neue Bahn-Chefin Evelyn Palla und Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU). Im warmen Herbstlicht glitzert die weiße Außenhülle des neuen Zugs ein wenig, aber bei der Bahn kommt es natürlich vor allem auf die neuen, inneren Werte an.
Und die neue Sanftmütigkeit des ICE L zeigt sich schon bei Ein- und Ausstieg. Palla und Schnieder steigen nicht mehr, sie spazieren. Statt mehrerer Treppenstufen reicht ein größerer Schritt, um aus dem Zug und auf den Bahnsteig zu treten. Eine Erleichterung für Rollstuhlfahrer, Fahrgäste mit schweren Koffern, aber auch Familien mit Kinderwagen. „Wow, Bahn!“, denkt sich der Beobachter.
Tatsächlich hat die Bahn mal wieder Positivnachrichten nötig. Chronisch unzufriedene Fahrgäste, Pünktlichkeitsziele, die in gewohnter Regelmäßigkeit verpasst werden, ein marodes Schienennetz. Neu-Chefin Palla versucht in ihren ersten Wochen, dazu ein Gegengewicht zu schaffen. Im Angesicht des neuen ICE, von dem ab Mitte Dezember vier Züge in den Dienst gestellt werden sollen, spricht sie von „einer neuen Ära“ und vom ICE als Symbol für die Bahn und für Verlässlichkeit. „Mittelmaß ist nicht genug“, sagt Palla weiter und man muss sich über die Lobeshymne fast ein wenig wundern.
Kurz darauf verspricht der Verkehrsminister, dass der neue ICE „spürbar besser“ sei und man eine Ära einleite, „in der die Bahn nicht nur fährt, sondern begeistert“. Er selbst sei schon begeistert und auch überzeugt. Minister und Bahn-Chefin hatten sich zuvor schon in einem Wagen der 1. Klasse ausgetauscht und Probe gesessen. Dort ist es heller und einladender, als man es als Fahrgast von den derzeit eingesetzten ICE gewohnt ist.
Sitzbezüge im neuen ICE auf ihre Belastbarkeit getestet
Die Sitze kommen in braun-grauer Optik daher. Man habe in der Entwicklungsphase allerhand auf den Sitzbezug geschüttet, um zu schauen, dass sie auch wirklich wieder gut sauber werden, erzählt ein Zugbegleiter während der Begehung. In die Entwicklung der neuen Sitze hat die Bahn aber auch ihre Fahrgäste mit einbezogen: 1600 Testpersonen sollen involviert gewesen sein. Fazit vom ersten Probesitzen: etwas hart, aber bequem.
Wie auch schon derzeit sind die Sitze in der teureren Kategorie etwas breiter als in der 2. Klasse. Es gibt ein Leselicht, Getränkehalter und – neu – einen Halter für das Smartphone oder das Tablet. Der Tisch fällt insgesamt breiter aus. Optisch: Eiche hell, mit Maserung, fühlt sich hochwertig an. Gepäckaufbewahrungsflächen gibt es im neuen ICE L in beiden Klassen jetzt bei Ein- und Ausstieg, nicht mehr in der Mitte. Die Gepäckablage über den Sitzen fällt ebenfalls größer aus und scheint auch für kleinere Menschen etwas besser erreichbar zu sein.
Spanischer Anbieter Talgo baut die neuen Züge
In einer Fabrik des spanischen Anbieters Talgo werden die neuen Züge gebaut, genau genommen steht das Werk im Baskenland. Die ersten 23 kosten gut eine halbe Milliarde Euro. Wer sich von dem Geld nun spanisches Feuer erwartet, wird aber auch in der 2. Klasse enttäuscht sein. Gediegen kommt der neue ICE daher, eher warm und heimelig fühlt man sich als Fahrgast. Das liegt womöglich auch daran, dass die einzelnen Wagen um gut die Hälfte kürzer sind als die bisherigen der ICE. Jeder Sitz in der 2. Klasse – übrigens in blau gehalten – hat jetzt eine eigene Steckdose. Man muss also nicht mehr teilen.
Ein Versprechen macht der ICE L Mobilfunk-Nutzern: Neue Fensterscheiben sollen dafür sorgen, dass Signale direkt und ohne Umwege über Repeater ins Wageninnere gelangen. Personenverkehr-Vorstand Michael Peterson verspricht da gleich mal eine „deutliche Verbesserung“ mit Blick auf den Empfang. Na ja, Bahn! Wirklich beweisen lassen dürfte sich das erst, wenn es mal wirklich knapp wird mit dem Empfang, bei einer Fahrt durch Mecklenburg-Vorpommern etwa.
Wenig Neues gibt es in den Toiletten und im Bord-Bistro. Dort fällt beim ersten Rundgang durch den ICE L eine neue Sitzgarnitur ins Auge und auch optisch setzt die Bahn hier auf Eiche hell. Wirkt wohnlich. Da schmeckt das Käse-Schinken-Baguette gleich nochmal besser. Größer und schöner ist auch der Familienbereich – jetzt mit grau-weißen Tiermotiven an den Zug-Innenwänden – und auch das Kleinkindabteil fällt weniger spartanisch aus als bei alten ICE. Hier gibt es bald neun statt fünf Plätze, für gleich zwei Kinderwagen ist nun Platz.
„Wir sitzen alle im selben Zug“, lautet übrigens der Untertitel der neuen „Boah, Bahn!“-Serie. Immerhin: Wenn schon nicht pünktlich, dann wenigstens schöner unterwegs, könnte man mit Blick auf den neuen ICE L sagen. Der ist chic, man fühlt sich wohl, es gibt viele praktische Neuerungen. Aber, da man bei der Bahn ja neuerdings auch gut lachen kann, kann man schlussendlich sicher auch festhalten: „Wieder kein Spa-Bereich im neuen ICE. Chance verpasst, liebe Bahn!“ Zwinkersmiley.
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