Meine Damen, eine Doppelspitze nur mit Frauen, das gibt es nicht einmal bei den Grünen. Wie haben denn die Männer das verkraftet?
Carmela Aprea: Ich glaube, ganz gut. Bisher gab es keine Anfeindungen.
Tabea Bucher-Koenen: Es hat sich jedenfalls noch keiner beschwert.
Frau Aprea, Sie sind Wirtschaftspädagogin, Frau Bucher-Koenen, Sie forschen über die Internatio-nalen Finanzmärkte. Wie läuft da die Zusammenarbeit ab?
Aprea: Wir ergänzen uns sehr gut. Meine Kollegin befasst sich mehr mit dem ökonomischen Verhalten der Menschen. Ich untersuche als Wirtschaftspädagogin die Art und Weise, wie man das Wissen und Können aufbauen kann, um gute finanzielle Entscheidungen zu treffen.
Bucher-Koenen: Nehmen Sie das Thema Altersversorgung. Da geht es darum, welche Auswirkungen die Entscheidungen haben und wie diese vom Wissen beeinflusst werden. Wichtig ist auch: Wo kommt dieses her? Solche Fragen können wir durch unsere verschiedenen Perspektiven perfekt kombinieren.
Warum hat Ihr Institut keinen deutschen Titel gewählt?
Aprea: Wir forschen in einem internationalen Feld. Die Digitalisierung der Finanzmärkte ist ein Thema, das wir auch global denken müssen. Wir können uns nicht nur mit dem Börsenstandort Frankfurt beschäftigen.
Bucher-Koenen: Außerdem haben wir beide ein internationales Netzwerk an Kooperationspartnern und arbeiten mit Wissenschaftlern aus anderen Ländern zusammen, die wir natürlich auch in dieses Institut einbinden wollen.
Finanzielle Bildung, was verstehen Sie da genau darunter?
Bucher-Koenen: Das Wissen und die Fähigkeiten, die Menschen brauchen, um Finanzentscheidungen treffen zu können. Faktenwissen allein ist aber nicht ausreichend, wir erforschen deshalb, welche zusätzlichen Fähigkeiten die Entscheidungen beeinflussen. Interessant ist, wie Menschen Wissensfragen zu Zinsen oder zur Inflation beantworten. Diese Fragen enthalten oft eine „Weiß-nicht“-Option. Bei internationalen Vergleichen dieser Studien hat man einen Gender-Gap festgestellt.
Vorsicht, gefährliches Terrain!
Bucher-Koenen: Die Frauen geben signifikant seltener eine richtige Antwort. Sie beantworten aber die Fragen im Vergleich zu den Männern nicht häufiger falsch. Sie nutzen nur öfter die „Weiß-nicht“-Antwort.
Sie sind also ehrlicher als Männer?
Bucher-Koenen: Das ist die Frage. Wissen es die Frauen wirklich nicht, oder trauen sie sich nicht, eine Antwort zu geben, wenn sie sich ein bisschen unsicher sind?
Verraten Sie es mir.
Bucher-Koenen: Wir haben in unserer Studie herausgefunden, dass zwei Drittel der Frauen wirklich Wissenslücken hatten, ein Drittel war aber nicht bereit, die Frage mit Ja oder Nein zu beantworten.
Aprea: Eine wichtige Rolle bei der finanziellen Bildung spielt auch die Fähigkeit zum Bedürfnisaufschub. Man muss Geduld haben. Gerade bei langfristigen Geldanlagen muss der Arbeitnehmer einen Teil seines Konsums aufschieben, damit er im Alter keinen leeren Kühlschrank hat. Das ist oft schwierig. Wer diese Fähigkeit oder diese Haltung besitzt, ist in der Regel gut gerüstet für kluge Finanzentscheidungen. Das belegen viele Studien. Aber auch Werthaltungen spielen eine Rolle.
Wie zum Beispiel die Angst der Deutschen vor Aktien.
Aprea: Ja. Ich hatte gerade ein Seminar, da sollten die Studierenden digitale Lernmedien entwickeln zum Thema Finanzbildung. Da meinten die Frauen: Nein, nichts zu Investitionen, das können wir nicht. Das ist natürlich Quatsch. Die Männer haben das dann ordentlich gemacht, aber es gibt keinen plausiblen Grund dafür, dass Frauen das nicht können. Die Frauen haben sich für das Thema Geld und Liebe entschieden. Das ist natürlich auch ein super interessantes Thema. Denn Geld ist in Beziehungen ein Tabu.
Nicht nur dort.
Aprea: Das stimmt. Gerade Menschen, die jetzt in der Corona-Krise ihre Existenz verloren haben, haben da oft ein Schamgefühl. Man muss sie aus der Schmuddelecke herausholen und wenn nötig, eben auch niedrigschwellige Angebote machen.
Bucher-Koenen: Geldfragen begleiten uns ja ständig. Wir sprechen deshalb von Finanzbildung im Lebenslauf und konzentrieren uns nicht nur auf die Schule. Wir untersuchen, an welchen Stationen die Menschen für diese Themen offen sind. Wie kann man die Menschen zum Beispiel dazu bewegen, sich frühzeitig mit der Altersvorsorge zu beschäftigen?
Wollen Sie nur forschen oder hat Ihre Arbeit einen Praxisbezug?
Aprea: Sie haben ja vorher an dem englischen Titel des Instituts herumgemeckert. Jetzt komme ich schon wieder auf Englisch daher und zitiere den alten Spruch „Think global, act local“. Wir haben schon den Anspruch, neben unserer internationalen Forschung eine praxisorientierte Politikberatung zu betreiben, die die Bereiche Bildung, Wirtschaft und Sozialpolitik umfassen soll.
Bucher-Koenen: Wir wollen uns mit dem neuen Institut auch als Ansprechpartner für die Politik- und Praxisberatung sichtbar machen.
Wollen Sie auch in die Schulen gehen, oder sind nur die Lehrer Ihre Ansprechpartner?
Aprea: Die Pädagogik ist ja in meiner DNA schon von Hause aus drin. Besonders wichtig sind natürlich die Berufsschulen, denn diese Leute sind ja in der Ausbildung und verdienen schon ihr erstes Gehalt.
Müsste es dann nicht auch ein Schulfach Wirtschaft geben?
Bucher-Koenen: Das ist ein Reizthema. Ich weiß nicht, ob man ein eigenes Schulfach braucht. Es ist aber wichtig, dass das Thema in den Lehrplänen eine Rolle spielt, denn die Schüler kommen ja schon früh mit Geld in Berührung, kaufen im Internet ein, schließen Handyverträge ab oder eröffnen ihr eigenes Bankkonto. Außerdem sollten sie doch lernen, wie unser Wirtschaftssystem funktioniert.
Aprea: Ich finde schon, dass wir ein Schulfach Wirtschaft brauchen. Nämlich nur so können auch die Lehrer dafür ausgebildet werden. Selbst in Mischfächern wie Politik und Wirtschaft, die es in bestimmten Bundesländern gibt, werden meistens die politischen und nicht die ökonomischen Themen behandelt. Auch weil sich viele Lehrer nicht genügend auskennen. Dann gibt es teilweise einen haarsträubenden Unterricht, in dem den Schülern der Aufbau des Internationalen Währungsfonds erklärt wird, aber nicht die Funktion eines Bausparvertrags.
Die Kids haben ja auch Internet. Mein Sohn ist Ende und der Neffe meiner Partnerin Anfang 20. Sie reden jetzt ständig über Aktien-Sparfonds. Ist die junge Generation in Geldfragen informierter?
Aprea: Da tut sich gegenwärtig viel. Das liegt ja auch an Apps wie Trade Republic, die der Jugend das Dealen mit Aktien oder Fonds, wie es so schön heißt, billiger und leichter machen. Nur: Solche Apps bauen zwar die Hemmschwelle ab, solche Geschäfte zu machen. Aber diese Transaktionen sind ja nicht risikolos. Gerade deshalb braucht es dafür das notwendige Wissen.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Wir brauchen ein Schulfach Wirtschaft