"Bei uns hat die Ablehnung der Atomenergie ja fast schon religiöse Züge": Was Friedrich Heinemann zum Klimaschutz, der Inflation und zur Rolle der Europäischen Zentralbank sagt. Der EZB wirft der Mannheimer ZEW-Experte eine Unterschätzung des Inflationsrisikos vor.
Herr Heinemann, die Inflation ist in den USA auf sieben Prozent gestiegen. Glauben Sie, dass die Notenbank Fed dieser Entwicklung tatenlos zusehen wird?
Friedrich Heinemann: Nein, die Inflation ist in den USA viel zu hoch. Die Fed muss entschlossen gegensteuern, sonst verliert sie ihre Glaubwürdigkeit. Bei den Staatsanleihen nehmen die US-Märkte schon vorweg, was die Fed tun wird. Die Zinsen steigen wieder.
Die EZB hält aber die Füße still.
Heinemann: Die Inflation in den USA ist deutlich höher als in Europa. Das liegt am gigantischen Konjunkturprogramm, das US-Präsident Joe Biden auflegte. Es löste einen großen Nachfrageschub aus, der wiederum die Inflation zusätzlich anheizte. In Europa ist der Inflationsdruck schwächer, auch in Deutschland wird der Januar-Wert wieder ein Stück fallen.
Warum?
Heinemann: Der Anstieg der Energiepreise und die Rückkehr zu den alten höheren Mehrwertsteuersätzen haben 2021 zu einem Anstieg der Inflationsrate auf 5,3 Prozent im Dezember geführt. Diese Einmaleffekte fallen jetzt weg.
Die Inflationsrate wird dennoch in diesem Jahr hoch bleiben.
Heinemann: Das ist richtig. Sie dürfte in diesem Jahr in der Eurozone bei mehr als drei Prozent liegen. Ab einem Wert von zwei Prozent müsste die EZB nach ihrer eigenen Zielvorgabe aktiv werden. Inzwischen rudern im EZB-Direktorium die ersten Mitglieder wie Isabel Schnabel zurück. Sie hat eingeräumt, dass die Energiewende und die Klimapolitik die Inflation anheizen könnten, und zwar auf Dauer.
ZEW-Fachmann Friedrich Heinemann
- Friedrich Heinemann (geboren 1964 in Düsseldorf) ist Konjunktur- und Steuerexperte beim Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).
- Der Volkswirt studierte in Münster, London und Mannheim.
Das hat sie bisher bestritten.
Heinemann: Genau. Da ist ein Umschwenken in der Argumentation erkennbar. Bisher hat die EZB die hohe Inflation als rein temporär eingestuft, obwohl sie seit Monaten ihre eigenen Inflationsprognosen immer wieder nach oben korrigieren muss. Ich glaube dennoch, dass die EZB langsamer reagieren wird als die Fed. Die Fed hat es aber auch leichter. Sie muss nicht die Zahlungsfähigkeit einzelner US-Bundesstaaten sicherstellen. Das kann sich die EZB nicht leisten, sie sorgt mit ihren Anleihekaufprogrammen dafür, dass Länder wie Italien und Spanien flüssig bleiben. Sie muss also neben dem Inflationsproblem auch die Finanzierungsfähigkeit hoch verschuldeter Euro-Staaten berücksichtigen.
Was erwarten Sie von der EZB?
Heinemann: Der erste Schritt ist das bereits beschlossene Herunterfahren der Anleihekäufe. Das Krisenankaufsprogramm PEPP wird Ende März auslaufen. Sofortige Zinserhöhungen hat die EZB bisher ausgeschlossen, sie sollte jetzt aber endlich eine erste Zinserhöhung innerhalb eines Jahres in Aussicht stellen. Auch in Deutschland ist der Zins für zehnjährige Bundesanleihen gestiegen, nämlich von minus 0,5 auf minus 0,1. Die Zinswende hat also eigentlich schon begonnen, sie ist aber noch sehr verhalten. In den USA gibt es 1,7 Prozent auf Anleihen.
Die Preise werden weiter steigen, weil die Lieferengpässe vor allem bei den Halbleitern und Rohstoffen anhalten werden.
Heinemann: Ja, aber das könnte sich wieder einpendeln. Aber auch die geplanten hohen Investitionen wirken inflationär. Die Ampel-Regierung will viel Geld in die Energiewende stecken. Das ist ja auch richtig so. Dieses Investitionsprogramm wird natürlich auch die Preise nach oben treiben und neue Arbeitsplätze schaffen, denn die Sonnenkollektoren legen sich ja nicht von selbst auf die Dächer. Da braucht man viele Handwerker. Das ist eine gute Nachricht für die Fachkräfte, ihre Arbeit wird so gefragt sein wie nie zuvor. Die logische Konsequenz . . .
. . . sind steigende Löhne . . .
Heinemann: . . . wegen der Übernachfrage, die nur mit zusätzlichem Personal befriedigt werden kann. Da wir schon einen Fachkräftemangel haben, wird damit die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften in den Lohnverhandlungen steigen.
Wie groß ist die Gefahr einer Preis-Lohn-Spirale?
Heinemann: Nicht gering. Und das könnte die Inflation dauerhaft antreiben. Auch das ist ein Argument dafür, dass die EZB mit ihrer Behauptung falsch liegt, dass die Preissteigerung nur ein zeitlich befristetet sei. Sie hat sich vermutlich geirrt.
Wie schlimm ist das für das Ansehen der EZB?
Heinemann: Sagen wir mal so: Die EZB muss aufpassen, wenn sie mit ihren Prognosen überhaupt noch ernstgenommen werden will. Es gibt Analysen von Heidelberger Kollegen, die zeigen, dass die EZB systematisch die Inflationsdynamik unterschätzt und bei den Prognosen der Wunsch Vater des Gedankens ist.
Betreibt die EZB auch Politik?
Heinemann: Ja. Die EZB hat eine föderale Struktur, deshalb gibt es nationale Interessen in den Köpfen der Zentralbanker. Die nationale Interessen der Südeuropäer sind niedrige Zinsen und EZB-Anleihekäufe. Davon können sich deren Vertreter im EZB-Rat nicht freimachen.
Die Menschen haben nicht nur vor der Inflation Angst. Auch die Verschuldung der Staatshaushalte bringt viele ins Grübeln. Machen Sie sich da auch Sorgen?
Heinemann: Für Deutschland mache ich mir derzeit keine Sorgen.
Überraschende Töne für einen Ökonomen.
Heinemann: Warum denn? Die Staatsverschuldung liegt gegenwärtig bei etwas über 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist im internationalen Vergleich ein hervorragender Wert. Nur zur Einordnung: Vor Corona waren es 60 Prozent, nach der Finanzkrise in den Nullerjahren 80. Deutschland hat seine Schulden bislang gut im Griff. Ich mache mir eher Gedanken über die zukünftigen Schulden wegen der Überalterung. Mit dem aktuellen Rentenregeln lässt sich das nicht mehr finanzieren. Die Corona-Schulden sind da im Vergleich unser kleinstes Problem.
Stichwort Corona-Schulden. Die Bundesregierung will rund 60 Milliarden Euro, die sozusagen übrig geblieben sind, für den Klimaschutz ausgeben. Die Opposition zieht deshalb vor das Bundesverfassungsgericht. Wie sehen Sie das?
Heinemann: Mir gefällt der Kurs der Ampel in Sachen Haushaltskosmetik überhaupt nicht. Bei den Klimaschutz-Ausgaben werden Regeln der Schuldenbremse bis an ihre Grenzen ausgereizt. Das kritisieren wir übrigens immer bei den anderen Ländern in Europa. Die Bundesregierung sollte sich ehrlich machen und dann lieber die Schuldenbremse reformieren. Dann wären diese nachhaltigen Investitionen wenigstens transparent finanziert.
Was halten Sie von den Plänen der EU-Kommission zur Taxonomie?
Heinemann: Ich halte den Ansatz für hochgradig problematisch. Betrachten Sie einmal Unternehmen wie HeidelbergCement oder den Ludwigshafener Chemiekonzern BASF mit einem derzeit hohen CO2-Ausstoß. Wenn diese jetzt ihren Produktionsprozess umstellen und damit den CO2-Ausstoß halbieren, dann wäre das für mich ein immenser Beitrag zur Nachhaltigkeit. Das sehen die Beamten in Brüssel anders. Sie würde diese Ausgaben als Investitionen in fossile Verbrennungsanlagen einstufen und ihnen den grünen Stempel der Nachhaltigkeit verweigern. Die EU-Taxonomie widerspricht damit dem ganzen System der CO2-Bepreisung. In meinen Augen sind die CO2-Preise der Königsweg. Die Politik legt den Preis pro Tonne CO2 fest. Dann weiß die BASF: Für jede Tonne, die ich einspare, bekomme ich in Zukunft 80 Euro. Die Taxonomie steht für mich als ein Mittel der Planwirtschaft, die CO2-Bepreisung ist ein marktwirtschaftliches Instrument, das ich eindeutig bevorzuge.
Und wie stehen Sie zur Atomkraft, die laut EU-Taxonomie einen grünen Anstrich bekommen soll?
Heinemann: Wir sollten hier die deutsche Brille mal für einen Moment ablegen. Bei uns hat die Ablehnung der Atomenergie ja fast schon religiöse Züge. Die Skandinavier und die Franzosen sehen das ganz anders. Die Strompreise in Frankreich sind dank der Atommeiler niedrig. Unsere sind hoch. Wir schalten ein Atomkraftwerk nach dem anderen ab, obwohl wir gar nicht wissen, woher die regenerative Energie so schnell herkommen soll. Deshalb bauen wir neue Gaskraftwerke oder importieren Atomstrom aus Frankreich. Ich sage nicht, dass der deutsche Weg falsch ist. Wir sollten aber mehr Respekt vor den Entscheidungen unserer Partner in der EU haben. Auch für deren Weg gibt es verantwortungsvolle Argumente.
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