Mannheim. Der Mannheimer Ökonom Tom Krebs warnt vor einem Boykott von russischem Erdgas. Ein solcher Schritt würde eine tiefe Rezession in Deutschland auslösen, die die Wirtschaft schädigen und Arbeitsplätze kosten würde.
Herr Krebs, ich habe in einem Kommentar gefordert, dass Deutschland kein russisches Erdgas mehr importieren soll. Bin ich in Ihren Augen ein Träumer?
Tom Krebs: Nein, das Thema hat ja nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine politische und moralische Dimension. Im Interview würde ich aber lieber darüber reden, wie sich ein solches Embargo auf die Wirtschaft in Deutschland auswirken würde.
Bitteschön!
Krebs: Und auch da müssen wir klar unterscheiden: Deutschland bezieht auch Kohle und Öl aus Russland, am größten ist aber die Abhängigkeit vom Erdgas. Deshalb habe ich mich vor allem mit diesem Energieträger beschäftigt. Rund die Hälfte unseres Erdgasverbrauchs importieren wir aus Russland. Ein Boykott würde zuerst zu einem drastischen Anstieg der Erdgaspreise führen. Natürlich könnten wir einen kleinen Teil des Gases aus anderen Ländern wie Norwegen oder den Niederlanden beziehen. Außerdem können wir ein bisschen mehr selbst produzieren. 30 bis 40 Prozent des bisherigen Verbrauchs würden aber dann unterm Strich noch immer fehlen.
Tom Krebs
- Tom Krebs (geboren in Hamburg) ist Professor für Makroökonomik an der Uni Mannheim.
- Davor forschte er in den USA. Er hat Physik an der Universität Hamburg studiert und in Volkswirtschaft an der Columbia Universität promoviert.
- Von 2019 bis 2020 war er der erste Gastprofessor im Bundesfinanzministerium.
Und was ist mit dem Flüssiggas aus Katar?
Krebs: Auch das kommt nicht vor 2023. Die Bundesregierung geht jedenfalls davon aus, dass sie drei Jahre braucht, um Ersatz für das russische Erdgas zu finden. Deshalb war mir die Zeitschiene so wichtig, als ich die Auswirkungen eines Embargos auf die Wirtschaft untersucht habe. Ich habe ein Jahr angenommen.
Wir können aber doch auch am Verbrauch sparen.
Krebs: Das ist richtig. Die Frage ist aber, in welchem Bereich. Die Bundesnetzagentur darf den Bürgern jedenfalls nicht einfach den Gashahn abdrehen. Wenn wir für die Ukraine frieren wollen, können wir die Heizung runter stellen. Damit würden wir - optimistisch gerechnet - rund ein Drittel des russischen Erdgases einsparen. Das ändert wenig an den drastischen Konsequenzen für die Industrie: Sie müsste mit der Hälfte der bisherigen Menge auskommen.

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Wer sind denn die größten Energieverbraucher?
Krebs: Die Grundstoffindustrie . . .
. . . dazu gehört auch die BASF . . .
Krebs: . . . die Metallindustrie, Glas- und Keramik sowie Papiergewerbe. In diesen Branchen geht so gut wie nichts ohne Erdgas. Ein Ersatz würde bestimmt zwei bis drei Jahre dauern. Bis dahin müssen die Unternehmen weniger produzieren, Kurzarbeit anmelden oder sogar Jobs abbauen. So lässt sich natürlich auch Erdgas einsparen, aber die Konsequenzen für die Wirtschaft werden natürlich schlimm sein.
Wie sehen diese Konsequenzen denn dann aus? Die von Ihnen genannten Branchen tragen ja insgesamt nur zu einem Bruchteil der Gesamtproduktion bei.
Krebs: Das stimmt, es sind rund drei Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung. Und vielleicht fällt in diesen Branchen nur ein Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung weg. Da könnte man sagen: Na und, das ist doch fast nichts.
Aber?
Krebs: Das pflanzt sich ja fort. Von der Grundstoffindustrie zur Auto- und Elektrobranche. Jeder, der sich mit der industriellen Struktur der deutschen Wirtschaft beschäftigt hat, kann sich ausmalen, wo das endet. In einer schweren Rezession, die mit der Finanzkrise 2008/2009 oder Corona 2020 zu vergleichen ist. Also ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um rund fünf Prozent. Wir hätten eine neue Wirtschaftskrise - und das erst kurz nach der Pandemie.

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Vielleicht müssen wir dieses Opfer für die Menschen in der Ukraine bringen, die ja auch für unsere Freiheit kämpfen?
Krebs: Ich hätte kein Problem damit, wenn sich die Politik für einen solchen Weg aus Überzeugung entscheiden würde. Als problematisch empfinde ich es jedoch, wenn einige Ökonomen die wirtschaftlichen Konsequenzen eines Erdgasboykotts mit sehr abstrakten Modellen berechnen, in denen die Grundstoffchemie nicht wirklich vorkommt. Dann ist es nicht überraschend, dass diese Ökonomen zum Schluss kommen: Das passt alles schon.
Wie die Experten der Leopoldina?
Krebs: Die haben keine Zahlen genannt, sondern nur gesagt, das Problem sei „handhabbar“. Doch was heißt denn das? Natürlich ist alles im Prinzip „handhabbar“. Wir könnten auch ein Minus von zehn Prozent überleben, aber man sollte schon erwähnen, dass ein Boykott sehr wahrscheinlich eine tiefe Rezession auslösen würde. Das sollte die Öffentlichkeit auch wissen.
Es wird also teuer, wenn wir Putin die Stirn bieten wollen?
Krebs: Ja, das ist nicht von der Hand zu weisen. Dabei muss uns klar sein, dass die wirtschaftlichen Folgen gleich wären, wenn Putin die Gaslieferungen stoppt. So oder so würde ein sofortiger und vollständiger Lieferstopp die Wirtschaft schädigen und Arbeitsplätze kosten.
Die Bundesregierung hat sich aber auch von Putin an der Nase herumführen lassen. Die Gasspeicher sind ja nur zu rund einem Viertel gefüllt.
Krebs: Das ist richtig, in den letzten Jahren sind gravierende Fehler gemacht worden. Aber die Vorstellung, dass wir unabhängig wären, wenn wir die Gasspeicher bis Herbst voll hätten, ist etwas irreführend. Wir brauchen ja Putins Erdgas, um die Speicher zu füllen.
Das habe ich auch gar nicht behauptet. Trotzdem war es falsch, dass Deutschland Gazprom auch noch die Gasspeicher überlassen hat. Das war doch fahrlässig.
Krebs: Das stimmt. Dennoch würde es uns auch nichts bringen, wenn wir Gazprom enteignen beziehungsweise die Gasspeicher wegnehmen würden, aber Gazprom kein russisches Gas mehr liefert. Russland sitzt leider am längeren Hebel. Die Abhängigkeit ist derzeit noch zu groß, und es gibt da kaum Spielräume. Bei einem vollständigen Embargo würde Deutschland sogar schlechter dastehen als in der globalen Finanzkrise 2008/2009. Damals ging das Bruttoinlandsprodukt wegen unserer Exportlastigkeit schnell runter, dann aber auch wieder schnell hoch. Und jetzt würden wir das Wirtschaftssystem kurz nach Corona zum zweiten Mal in einen Schockzustand versetzen. Wir würden in eine solche Wirtschaftskrise außerdem mit einer jetzt schon hohen Inflation hineingehen. Die Preise würden weiter steigen, vielleicht kämen wir auf eine Inflationsrate von zehn Prozent.
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