Mannheim. Schon seit zwei Jahren klopft die Mannheimerin Alison Schultz der Zusatzversorgungskasse VBL kräftig auf die Finger. Beim ersten Treffen im November 2021 spielte die persönliche Betroffenheit eine große Rolle. Vor ihrem Jobwechsel war Schultz als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Mannheim angestellt und damit zwangsversichert bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder - kurz VBL - mit Sitz in Karlsruhe. Warum das für sie kein guter Deal war, musste sie damals erklären. Denn über die zusätzliche Altersversorgung müssten sich die knapp fünf Millionen Versicherten des öffentlichen Dienstes normalerweise freuen. Schultz’ Arbeitgeber zahlte immerhin 197 Euro monatlich ein, der Eigenanteil betrug nur 55 Euro. Doch Schultz hatte damit ein Problem: „Ich investiere in Kohle, weil ich das muss“, ärgerte sich die 32-Jährige darüber, dass die Richtlinien der VBL Investments erlauben, die nach ihrer Ansicht klimaschädlich sind.
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Inzwischen ist sie zwar raus aus der Sache, weil die Finanzwissenschaftlerin jetzt beim internationalen Tax Justice Network arbeitet. Doch die VBL muss sich weiter ihre kritischen Fragen anhören, denn die Aktivistin ist Mitbegründerin der Initiative SustainVBL, die anprangert, dass die Altersversorgung der Zusatzversorgungskasse auf der „Zerstörung des Planeten“ aufgebaut sei.
Die VBL hat anfangs die Initiative unterschätzt - und versucht, Schultz & Co. mit Besänftigungsmails einzulullen. Erfolglos. Auch im Rückblick ist es noch immer ein Rätsel, dass die Versorgungsanstalt früher machen konnte, was sie wollte, obwohl beim Thema Altersversorgung die öffentliche Sensibilität in der Regel doch sehr groß ist. Während aber die Deutsche Rentenversicherung unter ständiger Beobachtung der Politik steht, bewegte sich die VBL sehr langer unter dem Radar - mit Ausnahme der Attacken der notorischen Störenfriede von SustainVBL und der Bürgerbewegung Finanzwende, die vom ehemaligen Mannheimer Bundestagsabgeordneten Gerhard Schick (Grüne) gegründet wurde.
Dabei geht es alles andere als um Peanuts. VBL-Vorstand Michael Leinwand taxiert den Marktwert des Anlagekapitals auf mehr als 55 Milliarden Euro. Im Interview mit den „Deutschen Pensions & Investmentnachrichten“ sind seine Aussagen zur Art der Kapitalanlagen („Mir persönlich ist Nachhaltigkeit eine Herzensangelegenheit“) recht allgemein gehalten.
Spielt Nachhaltigkeit bei der Zusatzversorgung wirklich eine Rolle?
Leinwand verspricht zwar, dass die VBL in Zukunft das operative Geschäft auf Basis einer nachhaltigen Finanzierung ausrichten und ins Portfolio vor allem Green Bonds aufnehmen will. Er verschweigt aber, dass die VBL von den Kritikern praktisch zum Jagen getragen werden musste und nur widerwillig ihre Anlagestrategie anpasste.
Zum Jahresanfang beschloss der Vorstand die neuen Grundsätze der VBL. Nachhaltigkeit spielt jetzt in der Kapitalanlage offiziell als „Teil der treuhändischen Verantwortung im Sinne der Versicherten und Arbeitgeber” eine Rolle. Künftig sollen auch „Firmen mit einem überwiegend kohlebasierten Geschäftsmodell” aus dem Portfolio ausgeschlossen werden.
„Das ist ein guter Ansatz“, sagt Schultz, und verweist auf weitere Erfolge. Inzwischen will die VBL bereits Ende 2022 (vorher 2025) bei Unternehmen aussteigen, die „nur“ noch 25 Prozent (40 Prozent) ihres Umsatzes mit Kohle machen. Das reicht SustainVBL aber noch nicht. „Um Kohle effektiv auszuschließen, dürfte der Schwellenwert höchstens bei zehn Prozent liegen“, sagt Schultz und verweist darauf, dass die VBL selbst nach ihren neuen Richtlinien weiter in deutsche Energieunternehmen wie RWE investieren kann. „RWE ist der größte CO2-Emittent in Europa und liegt mit seinem Kohle-Umsatz von 23 Prozent knapp unter der neuen Grenze. Womöglich muss die VBL mit diesem Schwellenwert gar nicht so viel an ihrem Portfolio ändern“, spekuliert Schultz und moniert, dass Investments in Erdöl und Erdgas auch nach den neuen Grundsätzen erlaubt bleiben. Die Anklage lautet also auf „Greenwashing“.
Spekulieren muss Schultz, weil die Zusatzversorgungskasse ihre Investments nicht offenlegt. „Die VBL erwartet von ihren Versicherten blindes Vertrauen“, sagt sie. Die Finanzbehörden nehmen daran offensichtlich keinen Anstoß. „Die Aufsicht des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) erstreckt sich nach der VBL-Satzung insbesondere darauf, dass die Tätigkeit der Anstaltsorgane nicht gegen Gesetz oder Satzung oder die Belange der VBL verstößt“, heißt es auf Anfrage. Dass die VBL auskunftsfaul ist, findet das Ministerium in Ordnung. Es verweist dabei auf „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“ und schlussfolgert: „Aufsichtsrechtlich ist es daher nicht zu beanstanden, wenn die VBL diesbezügliche Anfragen nicht beantwortet.“ Deshalb seien auch dem Ministerium selbst die Hände gebunden: „Wir bitten um Verständnis dafür, dass es der BMF-Aufsicht ebenso verwehrt ist, unbeteiligten Dritten gewünschte Auskünfte in diesen Themen zu erteilen noch mit Dritten in eine Diskussion solcher Themen einzutreten.“
Schultz sorgt sich aber auch um das Geld der Versicherten und verweist darauf, dass Vorstand Leinwand mehr in Private Equity (Beteiligungskapital) und Private Debt (Private Kreditfonds) investieren will. Diese Anlagen sind in der Regel hochverzinst - und damit auch riskanter als zum Beispiel Staatsanleihen. Die VBL hält das Risiko für überschaubar: „Es handelt es sich hier um gebräuchliche Anlageformen im Rahmen einer langfristig ausgerichteten Anlagepolitik eines großen institutionellen Investors“, heißt es auf Anfrage. Von einer „isolierten Erhöhung des Risikos“ könne „nicht gesprochen werden“, im Gegenteil: „Der geplante Aufbau einer bislang noch nicht vorhandenen Quote wird die Diversifikation der Kapitalanlagen der VBL verbessern und das Risikoprofil optimieren.“
Zocken mit der Rendite von Staatsangestellten?
Daran hat Alison Schultz Zweifel und verweist auf einen Artikel im „Manager Magazin“. Der reißerische Titel lautet: „Zocken mit der Rendite von Staatsangestellten“. Demnach hat die VBL mehr als 130 Millionen Euro in eine - so Schultz - „Hochrisikoanlage“ investiert. Bei einer versprochenen Rendite von 15 Prozent - Laufzeit ein Jahr - klingt das nicht abwegig. Fällig geworden ist die Anlage am 1. September. Ob sie ausgezahlt wurde - darüber schweigt sich die VBL aber aus. Mit dem Geld wurde der Kauf des Grundstücks Ringbahnhöfe in Berlin-Neukölln finanziert. Die Investoren wollen Wohnungen, Büros und Tiefgaragen bauen. „Die Projektentwicklung durchläuft den üblichen Genehmigungsprozess und befindet sich dabei im fortgeschrittenen Stadium“, teilt die VBL mit.
Emittent der Anleihe ist die German Invest, eine Tochter des Immobilienentwicklers Aggregate. Dieser war Großaktionär des schlingernden Immobilienkonzerns Adler und wird vom umstrittenen Investor Cevdet Caner geführt. „Caner hat schon zwei Insolvenzen hinter sich, die Wiener Staatsanwaltschaft ermittelte gegen ihn wegen gewerbsmäßigen Betrugs und Geldwäsche“, sagt Alison Schultz.
Über all diese Themen würde sie gerne mit den Verantwortlichen bei der VBL sprechen. In einer Mail vom 4. Juni 2021 heißt es: „Seitens der VBL besteht gerne die Bereitschaft, an einer von Ihnen geplanten Panel-Diskussion zum Thema Nachhaltigkeit im Rahmen der Altersversorgung bei der VBL teilzunehmen“, allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt. Inzwischen sind 17 Monate vergangen. Gesprächsbereit ist die VBL, wie weiteren Mails zu entnehmen ist, noch immer. Leinwand lehnt aber inzwischen die Teilnahme an einer Paneldiskussion oder einer öffentlichen Veranstaltung ab. In einer Mail vom 26. September 2022 behauptet die VBL, ein solches Versprechen habe es nie gegeben. „Wir hatten eine Diskussion in kleiner Runde vorgeschlagen.“ SustainVBL will aber „nicht hinter geschlossenen Türen beziehungsweise in einem kleinen Kreis diskutieren“, lautet die Antwort vom 28. Oktober 2022 an die VBL. Warum? „Die VBL will ihre Probleme unter den Teppich kehren, weil es dann ja keine Öffentlichkeit gegeben hätte“, kritisiert Schultz.
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