Mannheim. Freigestellte Betriebsräte sollen keinen Karriereknick hinnehmen müssen, weil an ihnen Beförderungen vorbeilaufen. Jedenfalls legt das Betriebsverfassungsgesetz fest, dass ein solches Amt weder benachteiligen noch begünstigen darf. Jedoch erweist es sich oft als schwierig, schlüssig darzulegen, ob eine weitere Hierarchiestufe im Einzelfall betriebsüblich gewesen wäre. Vor diesem Hintergrund klagte ein Betriebsratsmitglied der Mannheimer Klinikum GmbH vor dem Arbeitsgericht wie der Berufungsinstanz - und verlor beide Prozesse.
In dem am Mannheimer Landesarbeitsgericht (LAG) bei der 19. Kammer verhandelten Rechtsstreit geht es um die höhere Eingruppierung eines seit zwei Jahrzehnten im Klinikum-Betriebsrat aktiven Physiotherapeuten, der vor seiner Freistellung bei einem von damals vier Fachbereichen als stellvertretender Leiter tätig war. Der Mittfünfziger trägt vor, dass ihm bei einer üblichen Berufslaufbahn aufgrund seiner Ausbildung samt Zusatzqualifikationen und mit Blick auf lange Betriebszugehörigkeit die ausgeschriebene Leitung eines übergeordneten Dienstleistungscenters für Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie übertragen worden wäre. Dementsprechend solle seine Vergütung angepasst werden.
Der Vorsitzende Richter Thomas Meyer gibt zu bedenken, dass es bei mehreren Fachabteilungen nicht jede stellvertretende Leitungskraft automatisch in die Spitze schafft: „Hierarchien haben einen Pyramiden-Aufbau, und oben wird‘s eng.“ Das LAG weist die Klage ab. Bei der Urteilsverkündung führt der Kammervorsitzende aus: Der Betriebsrat habe nicht überzeugend darlegen können, dass er bei einer Konkurrenz-Bewerbung zwingend die singuläre Position bekommen hätte beziehungsweise der tatsächlich ausgewählten Fachkraft mit mehr Erfahrung vorgezogen worden wäre.
„Es braucht eine Konkretisierung“
Vergütungen freigestellter Betriebsratsmitglieder beruhen auf dem Lohnausfallprinzip - weil der Gesetzgeber von einem Ehrenamt ausgeht. Will heißen: Es gilt jenes Gehalt zu ermitteln, das gezahlt worden wäre, wenn es keine Unterbrechung aufgrund eines Engagements in der Personalvertretung gegeben hätte. Und dies verpflichtet Unternehmen, andere Beschäftigte mit gleichwertiger Tätigkeit sowie Qualifikation - jeweils bezogen auf die Zeit vor der Wahl ins Gremium - als Maßstab zu nehmen und deren Gehaltssprünge zu berücksichtigen. So sprach das LAG Köln einem für Betriebsratsarbeit frei gestellten Techniker monatlich 300 Euro mehr zu, weil ein Kollege mit nahezu identischer Stelle eine solche Bruttozulage erhielt.
Das Gesetz
- Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) , das die Interessen und Mitbestimmung der Beschäftigten regelt, trat 1952 in Kraft.
- Grundsätzlich sieht das Gesetz vor: „Die Mitglieder des Betriebsrats führen ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt.“
- Das Lohnausfallprinzip wird so definiert: „Mitglieder des Betriebsrats sind von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist.“
Komplizierter verhält es sich bei schwer vergleichbaren Positionen, die Führungserfahrung voraussetzen - die aber während einer Betriebsratszeit nicht erworben werden kann. Der BR-Vorsitzende des Mannheimer Uni-Klinikums, Ralf Heller, sieht die gescheiterte Klage seines Kollegen als Beispiel für diese Crux. Der Fall belege, dass das Betriebsverfassungsgesetz „an dieser Stelle die lange geforderte Konkretisierung braucht“.
Dass Betriebsratsmitglieder wegen adäquater Vergütung vor Gericht ziehen, ist zwar kein Einzelfall, „kommt aber nicht allzu häufig vor“, erklärt Jurist Markus Schneider vom DGB-Rechtsschutz Mannheim. Er weiß, dass die Gründe für Konflikte vielfältig sind. Manchmal wird auch nur um eine Auskunft gestritten: Eine frei gestellte Betriebsrätin, die 18 Jahre lang die gleichen Bezüge ohne Erhöhung bekommen hatte, wollte wissen, was jene zwei Beschäftigten verdienen, die sie noch in ihrer Zeit als ausschließliche Bürokraft eingearbeitet hatte. Weil die Geschäftsleitung Angaben verweigerte, zog die Betriebsrätin vors Arbeitsgericht Mainz. Und dies bestätigte ihr das Recht auf Auskunft. Ohne weiteren Prozess erhielt die Klägerin die Differenz zu den inzwischen angehobenen Gehältern der ursprünglich finanziell gleich gestellten Kollegen.
Zu juristischen Auseinandersetzungen kann es auch kommen, wenn Betriebsräte weit über das übliche Maß entlohnt werden - was der Gesetzgeber als unerlaubte Begünstigung wertet. Bekanntlich sorgten in Zusammenhang mit dem Untreue-Prozess gegen Volkswagen-Manager ebenfalls fürstliche Gehälter sowie Boni einiger VW-Betriebsräte für Furore. Der damalige Betriebsratschef, ein gelernter Industriekaufmann, soll in Spitzenzeiten mit jährlich bis zu 750 000 Euro entlohnt worden sein. Allerdings sind solcherart Vergütungen die absolute Ausnahme.
Gekürzte Gehälter
Seit einigen Jahren lösen Verfahren um gekürzte Betriebsratsgehälter kontroverse Debatten aus. Beispielsweise hat das LAG Düsseldorf 2019 zugestimmt, dass die Rheinruhrbahn die überdurchschnittlich hohe Eingruppierung ihres BR-Vorsitzenden eindampfte.
In die Schlagzeilen brachte es ein noch laufender Prozess, bei dem es um die Halbierung der Vergütung des Konzernbetriebsratsvorsitzenden bei dem Energieversorger Vattenfall geht. Nun wird arbeitsrechtlich darum gerungen, ob es der ausgebildete Maschinenschlosser, der vor 2002 in einem Kernkraftwerk als Anlagetechniker arbeitete, ohne Betriebsratstätigkeit bis zum Anlageleiter gebracht hätte. Sein tatsächlicher Lohnausgleich soll aber der Position eines Kernkraftwerkdirektors entsprochen haben.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/wirtschaft_artikel,-wirtschaft-komplizierte-eingruppierung-bei-betriebsraeten-_arid,1959546.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html