Mannheim. 2021 feiert das Grosskraftwerk Mannheim (GKM) 100-jähriges Bestehen. Und das Jubiläumsjahr ist zugleich ein Schicksalsjahr, erklären die GKM-Vorstände.
Herr Becker, Herr Uytdewilligen, nach langem Hin und Her ist der Kohleausstieg endgültig besiegelt. Wann wird im GKM nun die letzte Steinkohle verbrannt?
Holger Becker: Aus heutiger Sicht spätestens 2034, vielleicht auch 2033. Genau können wir es nicht sagen, weil es davon abhängt, wann welche anderen Steinkohleanlagen vom Netz gehen und wie die vorgesehenen Evaluierungen ausfallen. Und das wird sich erst in den nächsten Jahren herausstellen.
Sind Sie mit der Endfassung des Gesetzes zufrieden?
Becker: Nein. Es gab zwar auf den letzten Metern noch Verbesserungen, aber bei der grundsätzlichen Benachteiligung der Steinkohlekraftwerke, insbesondere der in Süddeutschland, ist es leider geblieben.
Wo fühlen Sie sich benachteiligt?
Gerard Uytdewilligen: Zum Beispiel bei den Laufzeiten. Während auch alte Braunkohleanlagen, die deutlich mehr CO2 ausstoßen, bis 2038 laufen dürfen, ist für deutlich effizientere, jüngere Steinkohleanlagen bereits 2034 Schluss.
Becker: Und bei den jährlichen Ausschreibungen, mit denen ermittelt wird, wann und für welche Entschädigung die Steinkohlekraftwerke vom Netz gehen, werden wir auch benachteiligt. An der ersten Runde dürfen sich Anlagen in Süddeutschland gar nicht beteiligen, weil sie als systemrelevant eingestuft werden. Und ab der zweiten Runde werden sie mit einem negativen Aufschlag versehen, der dafür sorgt, dass wir de facto chancenlos sind. Nur bei der neu eingeführten achten Runde 2027 herrscht Chancengleichheit, dann allerdings mit deutlich niedrigen Entschädigungen als zu Beginn.
Womit wir bei den Verbesserungen wären, die es in letzter Minute noch ins Gesetz geschafft haben.
Becker: Ja, die gibt es. Aber leider haben sie nicht den Umfang und die Qualität, die wir uns erhofft hatten. Auch sind weiter viele Fragen offen.
Welche?
Becker: Zum Beispiel die Wertberichtigung. Im Gesetz ist zwar der politische Wille festgeschrieben, dass es bei den Steinkohleanlagen, die ab 2010 in Betrieb genommen worden sind, nicht zu Wertberichtigungen kommen soll. Sprich: Es soll keine entschädigungslose Enteignung geben, sondern in irgendeiner Form eine Kompensation. Aber wie das geschehen wird, steht nicht drin. Das heißt, ich als Betreiber habe nichts Verbindliches in der Hand – muss aber Ende des Jahres einen Abschluss vorlegen, der allen gesetzlichen Vorschriften entspricht. Darin steckt für uns ein substanzielles Risiko, das nicht akzeptabel ist. Da muss die Politik in den nächsten Monaten dringend nachliefern. Sonst drohen Klagen, die manche Betreiber schon öffentlich angekündigt haben.
Von welcher Wertberichtigung sprechen wir beim GKM?
Becker: Unser Block 9 ist, übrigens politisch gewollt, 2015 in Betrieb gegangen. Das war eine Investition von mehr als einer Milliarde Euro, die auf 40 Jahre angelegt war. Nun müssen wir ihn nach noch nicht mal der Hälfte der Laufzeit aus politischen Gründen abschalten. Der Verlauf ist zwar nicht ganz linear, trotzdem ist klar: Hier geht es um einen Betrag im dreistelligen Millionenbereich.
Uytdewilligen: Bei den restlichen Blöcken rechnen wir schon gar nicht mehr damit, eine Entschädigung für die Stilllegung zu bekommen.
Dafür könnten Sie beachtliche Förderungen erhalten, wenn Sie einen davon ersetzen. Der Kohleersatzbonus wurde von 180 Euro pro Kilowatt auf 390 erhöht.
Becker: Das ist richtig, aber auch da muss man genau hinschauen. Den Höchstsatz etwa wird niemand bekommen, weil er nur für Anlagen gilt, die vor 2024 in Betrieb gehen – was aber in der praktischen Umsetzung unmöglich ist, weil das Gesetz ja gerade erst verabschiedet worden ist.
Lohnt sich der Betrieb eines Steinkohlekraftwerks eigentlich noch? Gefühlt rauchen die Schornsteine des GKM inzwischen seltener als früher.
Becker: Der Eindruck täuscht nicht. Corona und die Konkurrenz durch andere Energieträger haben zu einem massiven Einbruch unserer Stromproduktion geführt. Im ersten Halbjahr 2020 lagen wir 30 Prozent unter dem Niveau des Vorjahres.
Uytdewilligen: Und die generellen Tendenzen sind klar: Je mehr erneuerbare Energie hinzukommt, desto niedriger wird der Strompreis an der Börse. Gleichzeitig müssen wir mehr für CO2-Zertifikate bezahlen – es wird für uns also immer schwieriger.
Becker: Trotzdem erwarten wir wie praktisch alle Experten, dass die Strompreise und die Deckungsbeiträge für Steinkohleanlagen Mitte bis Ende der 2020er Jahre noch mal ansteigen werden, so dass wir wieder wirtschaftlich arbeiten können.
Was heißt das alles nun für das GKM? Werden Sie angesichts dieser Fördersätze hier ein neues Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerk für die Zeit nach der Kohle bauen?
Uytdewilligen: Solch eine Anlage ist der nächste notwendige, vernünftige und wichtige große Schritt, um in die neue Welt zu kommen. Sie passt sehr gut zu unserem Standort und zur Energiewende in Deutschland. Darum versuchen wir alles, um sie hier zu errichten. Aber leider sind aktuell die Rahmenbedingungen dafür noch nicht so, wie sie sein müssten.
Was heißt das?
Becker: In Baden-Württemberg ist zurzeit die Gas-Infrastruktur nicht so gut ausgebaut, wie es nötig wäre, um hier ein Gas-Kraftwerk zu betreiben. Um das möglich zu machen, müssen erst mal viele Millionen ins Gasnetz investiert werden. Und das wird Jahre dauern. Gleichzeitig sinkt aber mit jedem Jahr, das vergeht, die Förderung, die wir bekommen können. Damit steigt das wirtschaftliche Risiko erheblich – was letztlich das ganze Projekt infrage stellt. Wenn diese Unsicherheit nicht beseitigt ist, werden wir nicht investieren.
Und was machen Sie nun?
Becker: Wir haben die Pläne für die neue Anlage praktisch in der Schublade. Wir werden sie weiter vorantreiben und parallel Gespräche führen, um herauszufinden, wie schnell das Gasnetz in Baden-Württemberg ausgebaut werden kann. Und nächstes Jahr, wahrscheinlich gegen Ende hin, werden wir dann eine Entscheidung treffen müssen, ob das Risiko vertretbar ist – oder nicht.
Und wenn ja?
Becker: Dann haben wir gute Chancen, hier ein Gas-Kraftwerk zu bauen, das etwa 2025 oder 2026 in Betrieb gehen könnte. Möglicherweise kann es dann sinnvoll sein, Ende der 2020er Jahre eine zweite Anlage zu errichten, das muss man abwarten.
Und wenn nein?
Uytdewilligen: Dann wird es sehr schwer. Dieser Weg muss gelingen, weil wir diesen tollen Standort auf jeden Fall erhalten und unseren hoch qualifizierten Beschäftigten weiterhin einen Arbeitsplatz anbieten wollen – auch wenn es deutlich weniger sein werden als die rund 570 zurzeit.
Becker: Gleichzeitig arbeiten wir aber auch an anderen Ideen, etwa dem Einsatz von Großwärmepumpen, die wir höchstwahrscheinlich hier ausprobieren werden. Darum sind wir nach wie vor davon überzeugt: Das Ende der Kohle wird nicht das Ende des GKM sein.
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