Konjunktur - IHK-Präsident Manfred Schnabel über Frust bei den Corona-Hilfen, politische Versäumnisse und die Folgen des Teilemangels für die Wirtschaft der Region

IHK Rhein-Neckar: Scharfe Kritik an Umgang mit Corona-Hilfen

Von 
Bettina Eschbacher
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Für die 2G-Regel im ohnehin schon stark gebeutelten Einzelhandel hat Kammerpräsident Manfred Schnabel wenig Verständnis. © dpa

Mannheim. Pandemie, Lieferengpässe, steigende Preise: Die Wirtschaft steht derzeit von mehreren Seiten unter Druck, auch in der Region. Manfred Schnabel, Präsident der Industrie- und Handelskammer Rhein-Neckar, erklärt, was die Unternehmen vor Ort derzeit am meisten bewegt.

Herr Schnabel, wie sehr leidet die Wirtschaft der Region unter den globalen Lieferengpässen?

Manfred Schnabel: So etwas hat es in dieser Form noch nie gegeben. Die Industrie in der Region leidet besonders darunter. Wir haben einen Exportanteil in unserem IHK-Gebiet von 61 Prozent - im Bundesdurchschnitt sind es nur 41 Prozent. Wir gehen aber davon aus, dass sich die Lage bis Herbst 2022 entspannt. Sorgen macht uns die hohe Inflation, die durch die Verknappung von Waren noch verstärkt wird. Der Auftragsbestand kann nicht abgearbeitet werden, das macht alles noch schlimmer.

Wie ist die Stimmung bei den Unternehmen hier?

Schnabel: Wir haben seit Anfang der Pandemie eine Zweiteilung. Die einen leiden unter den Störungen der Lieferketten, die anderen unter den Corona-bedingten Einschränkungen. Bei den erstgenannten gibt es immerhin einige, die besser mit der Lage zurechtkommen, weil sie ihre Preise am Markt besser durchsetzen können. Aber die von den Corona-Maßnahmen betroffenen Branchen leiden seit März 2020 zunehmend, also beispielsweise Handel, Gastronomie, Hotels, Messen oder Veranstalter.

Ist eine Normalisierung in Sicht? Gastronomie oder Handel haben ja schon länger wieder offen.

Schnabel: Nein, es zeigen sich gravierende Folgeschäden. Es bleiben Kunden, Mitarbeiter und Lieferanten dauerhaft weg. Es ist zu befürchten, dass insbesondere viele Familienbetriebe aufgeben müssen, weil sich keine Nachfolge findet.

Wie kommt generell das Corona-Management in der Wirtschaft an?

Schnabel: Was weiterhin sehr viel Frust erzeugt, ist der Umgang mit den Corona-Hilfen. Bei den Unternehmen, die von den Schließungen betroffen waren und sind, ist der Schaden ja offensichtlich. Sie erbringen ein Sonderopfer zugunsten der Allgemeinheit. Hier müssten die entstandenen Schäden eigentlich erstattet werden. Gerade jetzt rächt sich auch die unausgegorene Konstruktion der Corona-Hilfen. Abhängig vom Geschäftsmodell fallen viele Unternehmen durchs Raster. Dass die L-Bank gerade jetzt 250 000 Anfragen zur Soforthilfe verschickt hat, ob die Kriterien erfüllt wurden, kommt natürlich zur Unzeit.

Sie beziehen sich auf mögliche Rückforderungen von gezahlten Corona-Hilfen des Landes.

Schnabel: Sehr viele Unternehmen, die ordentlich gearbeitet haben, scheitern jetzt an den Regeln. Das ganze System ist viel zu kompliziert und fehlerhaft. Zuerst wurde einfach ausgezahlt, dann wurden mehrfach die Regularien geändert. Das könnte im Nachhinein zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten vieler Betriebe führen. Die Soforthilfe wurde schließlich vor allem an kleine Unternehmen gezahlt, die schließen mussten und sonst keinerlei Hilfen bekommen hätten. Wir appellieren an das Land und die L-Bank, die Rückforderungen zu überdenken, bevor große Schäden entstehen.

Also schlechte Noten für die Politik. . .

Schnabel: Wir sehen große Versäumnisse. Im zweiten Jahr der Pandemie hätte die Politik mit hochwirksamen Impfstoffen und digitalen Instrumenten alle Möglichkeiten in der Hand gehabt, die sie aber nicht ausgeschöpft hat. Gut ist, dass wir als Arbeitgeber jetzt endlich den Impfstatus abfragen und so die Gefährdungslage besser beurteilen können. Nebenbei lassen sich seitdem viele Arbeitnehmer motivieren, sich doch noch impfen zu lassen. Wir kritisieren aber, dass sich die Politik durch die 2G- oder 3G-Regelungen vor der Verantwortung drückt und die Lasten auf Unternehmen und Arbeitgeber verschiebt. Das ist eine Impfpflicht durch die Hintertür.

Manfred Schnabel - verwurzelt in der Region



  • Manfred Schnabel ist seit 2018 Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Rhein-Neckar.
  • Er wurde 2020 für weitere fünf Jahre wiedergewählt.
  • Nach einer Lehre zum Bankkaufmann studierte Schnabel Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim.
  • Bis Ende 2017 war er Präsident des Handelsverbands Nordbaden und Vizepräsident des Handelsverbands Baden-Württemberg

Plädieren Sie für eine allgemeine Impfpflicht?

Schnabel: Dafür haben wir als IHK kein Mandat. Wir sind aber dafür, dass die Regierung - wenn sie eine allgemeine Impfpflicht will - schnell eine Entscheidung trifft. Die Mehrheit unserer Unternehmen befürwortet eine Impfpflicht.

Mit den 2G-Regelungen waren Sie nicht glücklich.

Schnabel: Da hat sich zum Glück einiges in unsere Richtung bewegt. Wir sind froh, dass jetzt bundesweit Erleichterungen für Geboosterte beschlossen wurden. Eine einheitliche Regelung hilft uns als Region im Drei-Länder-Eck sehr.

In Niedersachsen hat ein Gericht die 2G-Regel im Handel gekippt. Hoffen Sie auf ähnliche Urteile im Südwesten?

Schnabel: Das Urteil verwundert nicht! Es bestätigt unsere Sichtweise, dass diese Maßnahme unverhältnismäßig ist, da der Handel auch nach RKI-Angaben eben kein Infektionstreiber ist. Gleichzeitig verstößt die Ungleichbehandlung zwischen privilegierten und nicht-privilegierten Geschäften offensichtlich gegen das Gleichheitsgebot. Vor dem Hintergrund dieses Urteils hoffen wir vor allem, dass weitere Verschärfungen im Handel tabu sind.

Wie geht es aus Ihrer Sicht den Innenstädten?

Schnabel: Der Bund hat ja ein Förderprogramm aufgelegt, um Innenstädte zukunftsfähiger zu machen. Mannheim und Heidelberg haben gute Chancen auf eine millionenschwere Förderung. Meine Botschaft - und die vertrete ich mit großer Leidenschaft - lautet: Redet die Innenstädte jetzt nicht tot! Mannheim und Heidelberg sind doch keine maroden, sondern hochattraktive Städte. Sie haben die Chance, zu alter Stärke zurückzukommen. Dafür werden die Unternehmen ihre erfolgreichen Konzepte weiterentwickeln. Darauf sollten wir vertrauen.

Vieles funktioniert doch nicht mehr, die Kunden bleiben weg. . .

Schnabel: Jetzt frage ich Sie: Wenn P&C zwei obere Etagen in Mannheim schließt, ist das so eine dramatische Situation? Konzepte und Sortimente ändern sich im Handel, das ist normal. Viel dramatischer ist doch, wenn Sie in eine Mittelstadt gehen, wo die Schaufensterscheiben zugeklebt sind. Es gibt kleinere Gemeinden, deren Innenstädte schon vor Corona angezählt waren, weil der Handel abgewandert war und viele Geschäfte leer stehen. An den starken Handelsstandorten wie Mannheim geht es nun darum, die Folgen der Pandemie zu lindern und die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen, damit es erst gar nicht zu schädlichen Leerständen kommt.

Das gilt auch beim Thema Verkehr angesichts der Klimaziele der neuen Regierung und der Kommunen. Gehören Autos noch in die City?

Schnabel: Wir haben mit großem Befremden festgestellt, dass Mannheim ursprünglich seinen Klimaschutzaktionsplan mit Bürgerbeteiligung, jedoch ohne angemessene Beteiligung der Wirtschaft entwickeln wollte. Nachdem wir uns gewehrt haben, sind wir jetzt im Lenkungskreis und in vielen Strategiegruppen vertreten. Zum Verkehr: Solange es an Qualität, Quantität und Akzeptanz im öffentlichen Nahverkehr mangelt, dürfen wir den Autofahrern nicht das Leben schwer machen. Wir sind eine Flächenregion, die Menschen müssen in die Städte und zu ihren Arbeitsplätzen kommen können.

Den Koalitionsvertrag der Bundesregierung haben Sie begrüßt, aber auch Bedenken geäußert.

Schnabel: Sorgen macht uns in der Metropolregion unter anderem die künftige Stromversorgung. Der Strombedarf wird wesentlich größer werden, auch weil die Industrie elektrifiziert wird. Gleichzeitig werden Atom- und Kohlekraftwerke zurückgebaut. Und für den Windstrom aus dem Norden stehen die Leitungen noch nicht zur Verfügung. Das könnte zu einer teilweisen Abwanderung energieintensiver Unternehmen führen. Wir werden eine Studie in Auftrag geben, die klären soll, wie hoch der Energiebedarf der Region ist, was wir an grüner Energie hier produzieren können und was wir importieren müssen. Bei dieser Studie sind alle Industrie- und Handelskammern der Region unter ihrer Kooperationsmarke IHK Metropolregion Rhein-Neckar im Boot, also die Pfalz, Darmstadt, Rheinhessen und wir.

Redaktion Bettina Eschbacher ist Teamleiterin Wirtschaft.

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