Energie-Expertin Amany von Oehsen vom BUND Heidelberg kritisiert die Klimaschutzstrategie der MVV - und spricht von „Verpackungsschwindel".
Frau von Oehsen, gibt es die Kohlefrei-Initiativen Mannheim und Heidelberg eigentlich noch?
Amany von Oehsen: Ja, es gibt uns noch! Die Unterschriftensammlung für den Einwohnerantrag in Mannheim läuft weiter: Die notwendigen 2500 dürften bald erreicht sein.
Warum sind Sie weiter aktiv? Die Bundesregierung will den Kohleausstieg „idealerweise“ auf 2030 vorziehen, die MVV bis dahin die Fernwärmeerzeugung umgestellt haben. Damit haben Sie Ihre Ziele doch erreicht, oder?
Von Oehsen: Theoretisch schon. Aber beim Klimaschutz sind Ziele nur das eine. Das andere sind die konkreten Maßnahmen. Und da kommt es sehr stark auf die Umsetzung an. Diese wollen wir kritisch begleiten. Denn da gibt es zwischen unseren Vorstellungen und denen der MVV noch große Unterschiede.
Welche?
Von Oehsen: Fangen wir bei der Fernwärme an: Natürlich begrüßen wir es sehr, dass die MVV diese bis 2030 ohne das Grosskraftwerk Mannheim (GKM) erzeugen will. Aber richtig „grün“, wie die MVV oft behauptet, ist die Wärme dann immer noch nicht. Denn auch künftig soll etwa ein Drittel aus der Müllverbrennungsanlage auf der Friesenheimer Insel kommen - die jährlich rund 300 000 Tonnen CO2 ausstößt.
Promovierte Physikerin
- Amany von Oehsen wurde 1983 in Göttingen geboren.
- Sie hat in Heidelberg und Yale (USA) Physik mit dem Schwerpunkt Umweltphysik studiert und in Kassel promoviert.
- Unter anderem war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg.
- Nun arbeitet sie als Energieberaterin beim BUND und vertritt die Gruppe „Heidelberg kohlefrei“.
Diese Erzeugungsart gilt aber doch offiziell als klimaneutral.
Von Oehsen: Natürlich, das ist aber eher ein großer Lobbyerfolg, als dass es dem gesunden Menschenverstand entspricht: Dort findet ein klassischer Verbrennungsprozess statt, bei dem fossiles CO2 entsteht. Denn mehr als die Hälfte der Energie stammt aus der Verbrennung von Kunststoffen. Die Versorger argumentieren so, dass der Müll sowieso verbrannt werden muss. Darum sei diese Energie CO2-frei. Theoretisch hätten wir aber die Möglichkeiten, viel mehr Müll zu vermeiden und zu recyceln anstatt ihn zu verbrennen. Leider sind bisher aber die politischen Vorgaben hier zu schwach! Die Bezeichnung von Müll-Fernwärme als grün, klimaneutral oder CO2-frei blendet Politik und Kunden und bremst verschärfte politische Maßnahmen zum Recycling aus.
Wie sollte man Ihrer Meinung nach dann Fernwärme erzeugen?
Von Oehsen: Flusswärmepumpen, die ähnlich wie ein umgekehrter Kühlschrank funktionieren und etwa dem Rhein Wärme entziehen könnten, müssten eine viel, viel größere Rolle spielen. Denn das ist eine echte erneuerbare Energiequelle.
Aber das plant die MVV doch . . .
Von Oehsen: Ja, aber lediglich mit einer Leistung von 20 Megawatt. Es sollten jedoch 100 bis 150 Megawatt sein. Dann müsste man auch nicht über ein zweites Biomassekraftwerk nachdenken, das wir ebenfalls kritisch sehen.
Warum?
Von Oehsen: Man muss einfach mal mit dem Vorurteil aufräumen, dass Holz ein grundsätzlich klimaneutraler Brennstoff ist: Eine Buche braucht zum Wachsen mindestens 80 Jahre. Also dauert es auch so lange, bis das CO2, das bei ihrer Verbrennung freigesetzt wird, wieder gebunden ist. Wir wollen aber in 20 Jahren klimaneutral sein: Betrachtet man diese Zeitspanne, ist Holz kein klimaneutraler Brennstoff.
Die MVV will aber doch nur Altholz verwenden.
Von Oehsen: Stimmt, wir sind jedoch der Meinung, dass man so viel Altholz wie möglich recyceln statt verbrennen sollte. Das ist der effizientere Weg. Und da gibt es noch ein großes Potenzial: In Deutschland beträgt etwa der Recyclingholzanteil in Spanplatten nur 20 bis 30 Prozent, während der in Italien bei 90 Prozent liegt. Nur das schwer belastete Altholz sollte verbrannt werden. Wir glauben aber nicht, dass es davon in der Region so viel gibt, um eine zweite Biomasseanlage zu betreiben. Wir sehen hier die Gefahr, dass man sich die Dinge schönrechnet.
Bei den beiden Heizwerken, die die MVV bauen will, um in den kältesten Tagen und Notfällen mit Gas Wärme zu erzeugen, hat sie auf Ihre Kritik reagiert und verzichtet nun auf Öl als Ersatzbrennstoff. Ist damit jetzt alles in Ordnung?
Von Oehsen: Wir sind nicht generell gegen die Heizwerke und freuen uns sehr, dass die MVV ihre Pläne nun angepasst hat: Ein großer Öltank in Ufernähe wäre aus unserer Sicht mit Risiken behaftet gewesen. Allerdings bereiten uns die beantragten Betriebsstunden immer noch Sorgen.
Warum?
Von Oehsen: Weil sie so hoch angesetzt sind, dass man theoretisch ein Drittel des Fernwärmebedarfs damit decken könnte. Darum befürchten wir, dass die Anlagen eines Tages nicht nur im Notfall oder zur Absicherung eingesetzt werden könnten, sondern regulär - was klimatechnisch ein großer Rückschritt wäre.
Das ist doch verständlich: Die Anlagen sollen laufen, wenn andere aus irgendwelchen Gründen ausfallen. Da braucht es doch Spielraum bei den Betriebsstunden.
Von Oehsen: Darum haben wir eine Regelung vorgeschlagen, wonach die Heizwerke im Notfall so lange genutzt werden können wie notwendig - aber eben nur dann. Darauf wollte sich die MVV jedoch nicht einlassen.
Erledigt sich das Problem nicht, wenn man künftig Biogas nutzt?
Von Oehsen: Leider nur zum Teil: Der Großteil des Biogases der MVV wird aus nachwachsenden Rohstoffen erzeugt. Bei deren Anbau entstehen jedoch auch Treibhausgas-Emissionen - im Vergleich zu Erdgas etwa die Hälfte. Nur das Biogas aus Bioabfall-Vergärungsanlagen ist wirklich klimaneutral. Davon haben wir jedoch relativ wenig.
Wenn Sie so viele Kritikpunkte haben: Wie bewerten Sie insgesamt die Klimaschutzstrategie der MVV, die bis 2040 klimaneutral und danach klimapositiv sein will?
Von Oehsen: Wir sehen und begrüßen es, dass die MVV engagierter ist als andere Energieunternehmen dieser Größenordnung. Aber die Botschaft, die sie subtil transportiert - alles ist gut, wir haben das im Griff - die halten wir für fatal. Das ist ein Verpackungsschwindel.
Warum?
Von Oehsen: Erstens, weil das Müllheizkraftwerk ja nicht wirklich „grüne“ Wärme erzeugt. Und zweitens, weil die vermeintliche Lösung - wir scheiden das CO2 einfach ab und verbrennen weiter ordentlich Müll - das falsche Signal ist! Das klingt für mich eher nach einem Marketing-Instrument, mit dem man den Leuten etwas vorgaukeln will, als nach einer nachhaltigen Lösung.
Können Sie das näher erklären?
Von Oehsen: Prinzipiell ist die CO2-Abscheidung keine schlechte Idee: Wir sollten diese Technologie weiter entwickeln, um ein zusätzliches Instrument für den Notfall zu haben. Aber aktuell sind da noch zu viele Fragen offen, um sie als Allheilmittel anzupreisen: Was soll mit dem abgeschiedenen CO2 geschehen? Wird es wiederverwendet oder eingelagert? Kann man es überhaupt für einen Zeitraum von Zehntausenden Jahren sicher einlagern? Wird das in Deutschland auch erlaubt? Und was kostet es eigentlich?
Was schlagen Sie dann vor?
Von Oehsen: Wir haben heute schon mit den Flusswärmepumpen und der Geothermie die Mittel, um die Dekarbonisierung der Fernwärme zu schaffen. Ich würde mir wünschen, dass wir sie nutzen, in ein intensives Recycling einsteigen und zusätzlich durch Sanierungen den Energieverbrauch von Gebäuden reduzieren - und nicht hauptsächlich auf eine Technologie setzen, die vielleicht in zehn Jahren marktreif ist und damit das Problem in die Zukunft verschieben. Das ist eine Art von Greenwashing, mit der Schluss sein muss! Wir können es uns nicht leisten, ähnlich wie bei Block 9, wieder den falschen Weg einzuschlagen - weil uns die Zeit davonrennt.
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