Rhein-Neckar. Auf den Hauptversammlungen können sich Aktionäre aus erster Hand über die Geschäftsentwicklung informieren und den zukünftigen Weg eines Unternehmens mitbestimmen. Nach Corona stehen seit Langem wieder Hauptversammlungen in Präsenz an - allerdings nicht bei allen Unternehmen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Wie sieht derzeit die rechtliche Lage aus?
Vor Corona fanden Hauptversammlungen in Deutschland immer in Präsenz statt. Erst 2020 zu Beginn der Pandemie hat die Bundesregierung die Möglichkeit für rein digitale Treffen geschaffen. Nur so konnten Aktiengesellschaften ihre Hauptversammlungen trotz Kontaktbeschränkungen rechtssicher auf die Beine stellen. Im Sommer 2022 hat die Bundesregierung aus der Sonderregelung aus der Frühzeit der Corona-Pandemie quasi eine Dauerlösung gemacht: Aktiengesellschaften dürfen ihre Hauptversammlung auch in Zukunft als reine Online-Veranstaltung durchführen.
Welche Voraussetzungen gelten für virtuelle Aktionärstreffen?
Es muss sichergestellt sein, dass die gesamte Versammlung in Bild und Ton übertragen wird. Im Gegensatz zum Pandemie-Provisorium stärkt das neue Gesetz zudem die Aktionärsrechte - etwa durch die Möglichkeit, ohne Voranmeldung zu reden oder spontane Gegenanträge zu stellen. Stichwort Interaktion. Während der Pandemie mussten Aktionäre bei virtuellen Hauptversammlungen ihre Fragen vorab einreichen, die dann gebündelt vom Management beantwortet wurden. Von Anlegerseite kam Kritik, weil viele eine Beschneidung des Frage- und Rederechts befürchteten.
Für welche Formate entscheiden sich Konzerne aus der Region?
Eine Umfrage dieser Redaktion unter elf Unternehmen aus Dax, M-Dax und S-Dax zeigt, dass die Mehrheit mit Präsenz-Veranstaltungen plant (siehe Tabelle), meistens im Rosengarten Mannheim. Bilfinger, Daimler Truck und Merck hingegen wollen rein virtuelle Hauptversammlungen abhalten. Hybride Formen - also eine Mischung aus beidem, was der Gesetzgeber zulässt - kommen bei der Umfrage nicht vor.
Was spricht für virtuelle Veranstaltungen?
Aus Unternehmenssicht ganz klar: die Kosten. Auch wenn eine virtuelle Hauptversammlung hohe Summen durch Technik und Übertragung verschlingt, ist sie in der Regel günstiger als die Variante in Präsenz. Schließlich fallen etwa Saalmiete, Catering und eine aufwendige Logistik weg. Und einen weiteren Grund gibt es: „Das virtuelle Format ermöglicht es den Aktionärinnen und Aktionären, flexibel und ortsunabhängig teilzunehmen“, teilt eine Sprecherin des Industriedienstleisters Bilfinger mit. Bilfinger, Daimler Truck und Merck betonen: Auch im Digitalen seien die Aktionärsrechte vollständig gewährleistet, beispielsweise durch „Live“-Redebeiträge.
Warum entscheiden sich Unternehmen für eine Hauptversammlung in Präsenz?
Sowohl BASF, CropEnergies, Fuchs Petrolub, Heidelberg Materials, Hornbach und Südzucker heben hervor, sich nach den Einschränkungen durch Corona endlich wieder persönlich mit den Aktionärinnen und Aktionären austauschen zu können. Der direkte Kontakt sei besonders wichtig, heißt es. Abgesehen davon gibt es indirekte Effekte: Von einer Hauptversammlung in einem Kongresszentrum profitieren auch Taxis sowie umliegende Hotels, Restaurants und Einzelhändler.
In welchem Rahmen bewegen sich die Kosten für eine Hauptversammlung - virtuell und in Präsenz?
Das ist generell schwer zu sagen und unterscheidet sich stark. Die meisten Unternehmen halten sich mit Kostenangaben und Schätzungen zurück. Der Nutzfahrzeughersteller Daimler Truck zeigt, dass selbst eine digitale Hauptversammlung alles andere als günstig ist: Nach Angaben einer Sprecherin hat sie 2022 rund 3,9 Millionen Euro gekostet. Wegen der hohen Inflation und wegen „erhöhter Anforderungen an das virtuelle Format“ rechnet der Konzern damit, dass es dieses Jahr sogar noch etwas mehr werden könnte. Der größte Einzelposten sind laut Sprecherin Druck und Versand der Unterlagen zur Hauptversammlung. Danach folgten die Kosten für die Planung, für die juristische Beratung und für die IT. Der Chemiekonzern BASF plant wie erwähnt mit dem Mannheimer Rosengarten - und rechnet damit, dass die physische Hauptversammlung rund zwei Millionen Euro mehr kostet als die digitale Ausgabe.
Welche Punkte sind Aktionärsschützern wichtig?
Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) ist nicht grundsätzlich gegen virtuelle Hauptversammlungen - wenn die Rahmenbedingungen diese rechtfertigen oder notwendig machen. Momentan zwinge Corona nicht mehr in den virtuellen Raum, heißt es in einer Mitteilung der DSW. Bestenfalls solle ein Management die Chance nutzen, sich persönlich den Aktionären zu stellen.
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Wie wichtig sind Hauptversammlungen für Kongresszentren wie den Mannheimer Rosengarten?
Nach Angaben einer Sprecherin der m:con - mannheim:congress GmbH sind Hauptversammlungen ein fester Bestandteil im Veranstaltungsmix. Der Rosengarten liege als Austragungsort national auf Platz drei. In den vergangenen drei Jahren sei man noch enger mit den Unternehmen zusammengerückt und habe auch virtuelle Formate im Rosengarten oder direkt am Firmensitz verwirklicht. „Wir haben mit der Umsetzung virtueller Hauptversammlungen gute Erfahrung gemacht“, teilt die Sprecherin mit. „Dennoch freuen wir uns besonders, dass sich (. . .) auch wieder Menschen treffen. Schließlich leben Veranstaltungen von der persönlichen Begegnung.“ Vor allem regional verankerte Unternehmen neigten dazu, in Präsenz zu planen.
Welcher Trend ist in Zukunft zu erwarten?
Es ist davon auszugehen, dass sich viele Unternehmen die Möglichkeit offen halten wollen, Aktionärstreffen künftig digital abzuhalten. Deshalb könnte sich ein Antrag auf der Tagesordnung finden, der beispielsweise so lautet: „Ermächtigung des Vorstands zur Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung“. Nach geltender Gesetzeslage ist die Ermächtigung auf höchstens fünf Jahre begrenzt. DSW-Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler verlangt, dass solche Ermächtigungen nicht einfach pauschal gegeben werden. Es müsse „dezidiert“ beschrieben werden, „wie die Aktionärsrechte in den zukünftigen virtuellen Formaten ausgestaltet und gegebenenfalls beschränkt werden“, teilt Tüngler mit. „Aus Sicht der Aktionäre ist zudem über die Zukunft des Hauptversammlungsformates im Rahmen einer Präsenzveranstaltung in einem offenen Dialog zu diskutieren, nachdem die Corona-Pandemie keinen Grund mehr liefert, auf ein virtuelles Format auszuweichen.“
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