Berlin. Jedes Jahr, wenn es draußen heiß wird, klingelt bei Gunter Mann das Telefon. Oft sind es Journalisten, die anrufen. Immer wieder auch Bürgerinnen und Bürger. Sie wollen wissen, wie das funktioniert mit den Pflanzen auf dem Dach oder an der Fassade. Wie sie die Hitze erträglicher machen können.
Mann ist Biologe und Präsident des Bundesverbands GebäudeGrün (BuGG). Er befasst sich seit 30 Jahren mit der Begrünung von Hauswänden und Dächern, lange bevor Klimakrise überhaupt zu einem Begriff in der Öffentlichkeit wurde. „Wir brauchen Grün“, sagt Mann. „Wir haben wenig Platz, weil wir so dicht gebaut haben. Wenn wir also Grün haben wollen, geht es eigentlich nicht anders als an der Wand oder auf dem Dach.“
Eine im Mai veröffentlichte Studie des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft kommt zu dem Ergebnis, dass im Schnitt 44 Prozent des Siedlungsgebiets in deutschen Städten versiegelt, also bebaut oder betoniert ist. Das ist nicht nur ein Problem, weil Regenwasser nicht versickern kann. Beton speichert auch an heißen Tagen die Wärme und gibt sie an ihre Umgebung ab.
Hausbesitzer könnten also vor dem Hintergrund steigender Temperaturen zwei Dinge tun, sagt Annika Dobbers: „Begrünen und entsiegeln.“ Dobbers ist Referentin bei der Verbraucherzentrale NRW für das Projekt „Mehr Grün am Haus“. Das soll Menschen dazu animieren, das Thema Hausbegrünung selbst in die Hand zu nehmen. Denn es sei ganz einfach, so Dobbers: „Pflanzen auf dem Dach, an der Hauswand oder im Vorgarten können bei steigenden Temperaturen für Abkühlung sorgen.“ Der Effekt: Um bis zu 80 Prozent könne im Extremfall eine dichte Belaubung die einfallende Strahlung auf die Wandoberfläche reduzieren. Die Oberflächentemperatur verringere sich im Vergleich zu einer unbegrünten Wand um 15 Grad Celsius. Auch Pflanzen auf dem Dach haben einen kühlenden Effekt.
Viele Vorteile
Dabei ist es nicht nur der Schatten, der kühlt. Pflanzen verdunsten Wasser. Dabei entziehen sie ihrer Umgebungsluft Energie in Form von Wärme – es wird kühler. Diese Fähigkeit könne man sich auch auf dem Balkon zunutze machen, erklärt Dobbers. „Indem man zum Beispiel den Sichtschutz zum Nachbarn nicht aus Plastik macht, sondern Pflanzen an einem Gerüst oder einer Pergola ranken lässt.“
Die Vorteile der Begrünung lägen auf der Hand, sagt auch Gunter Mann: Neben Hitzeschutz und Kühlung durch Verdunstung auch Rückhalt von Regenwasser, Lärmminderung, Bindung von Feinstaub und Lebensraum für Tiere. „Und bei älteren Häusern kann sie im Winter auch als Dämmung dienen.“
Wer sein Hausdach begrünen möchte, muss erst mal eine Entscheidung treffen: Soll es eine extensive oder intensive Begrünung sein? Die extensive Begrünung ist die einfache Form, naturnah und pflegeleicht. Dabei werden Pflanzen verwendet, die niedrig wachsen und an Hitze und Trockenheit angepasst sind – etwa Thymian, Schnittlauch, Dachwurz oder der Mauerpfeffer. „Man geht ein-, zweimal im Jahr aufs Dach, nimmt das, was nicht dort sein soll, runter und schaut sich die Wasserabläufe an, ob sie noch frei sind“, so Mann. Gießen müsse man, außer zu Beginn, auch nicht. „Das kann dann mal ein bisschen braun aussehen. Die Pflanzen erholen sich aber wieder“, sagt der Biologe.
Intensivbegrünung meint den klassischen Dachgarten, etwa mit Rasen und Büschen. Der wiederum brauche eine automatische Bewässerung und die gleiche aufwendige Pflege wie ein ebenerdiger Garten, betont Mann. „Einen solchen Garten wird man als Privatmensch nicht selbst anlegen können und die Pflege würde man wahrscheinlich auch einer Firma überlassen.“
Wer also einen richtigen Dachgarten will, sollte einen Profi ranlassen. „Wenn man eine einfachere Dachbegrünung mit entsprechend robusten, niedrigen Pflanzen wählt und einen dazu passenden, weniger hohen Aufbau inklusive Pflanzensubstrat, kann man das auch gut selbst machen“, sagt Annika Dobbers. Dafür biete sich nicht nur das Hausdach an, sondern ebenso Dächer von Garage oder Gartenhütten. Für so eine einfache Begrünung gibt es auch Bausätze inklusive Pflanzen zu kaufen.
Statiker kann nötig sein
Doch bevor Hausbesitzer ihr Dach bepflanzen, sollten sie eine Statikerin oder einen Statiker beauftragen, um festzustellen, wie viel Gewicht Aufbau und Bepflanzung haben dürfen. Die einfache Form der Begrünung wiegt laut der Verbraucherzentrale pro Quadratmeter circa 70 bis 150 Kilogramm, die intensive Begrünung ist mit circa 200 Kilogramm und mehr deutlich schwerer. Mitunter kann für so einen Dachgarten eine Baugenehmigung notwendig sein. Und auch wenn das Dach eine Neigung von mehr als zehn Grad hat, sollte meist eine Firma ran, so Dobbers. „Dann braucht man eine sogenannte Schubsicherung, damit das Ganze nicht runterrutscht.“
Auch bei der Fassadenbegrünung werden grob zwei Formen unterschieden: die boden- oder wandgebundene. Letztere ist oft sehr aufwendig, weil hier ein Gerüst benötigt wird. Welche Pflanzen sich für Dach und Fassade eignen, hat die Verbraucherzentrale auf der Seite www.mehrgruenamhaus.de unter dem Menüpunkt Praktisches zusammengetragen.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/wirtschaft_artikel,-wirtschaft-gruene-waende-gegen-die-hitze-_arid,2100976.html