Berlin. Der Rotwein könnte kaum edler sein. 15 000 Euro pro Flasche zahlen Liebhaber. Die Sorte gilt als Produkt höchster Qualität aus Frankreich. Von den Flughäfen in Mailand lieferten die Händler Paletten in die Welt, nach China und Japan, auch nach Russland. Das Problem nur: Der Wein in der Flasche ist nicht der Wein, der auf dem Etikett steht. Was außen einen Luxus-Tropfen verspricht, ist innen billiger Wein. Das Produkt ist gefälscht.
Es ist erst ein paar Wochen her, da schlugen Ermittlungsbehörden in Paris, Rom, Bologna und Mailand zu. Die Beamten durchsuchten 14 Häuser, beschlagnahmten Tausende gefälschte Etiketten und 150 Weinflaschen, sicherten Festplatten der Computer. Die Polizisten entdeckten mehrere Zehntausend Euro an Bargeld, Luxusuhren im Wert von 1,4 Millionen Euro. Sie gehen davon aus, dass die Gruppe organisierter Krimineller mit dem Export gefälschter Weine zwei Millionen Euro Umsatz gemacht hatte. Mafia, das klingt nach Drogenkartellen, nach Handel mit Kokain, Maschinenpistolen oder Menschen.
Doch die Organisierte Kriminalität (OK) - ob Mafia oder andere international vernetzte Tätergruppen - bedient seit jeher einen Geschäftszweig, der von der Öffentlichkeit kaum bemerkt wird. Ein Feld, auf dem mafiöse Clans Millionen erbeuten - ohne dass in der Regel internationale Ermittlungseinheiten hinter ihnen herjagen.
Die „Food-Mafia“ oder auch „Agro-Mafia“ verdient ihr illegales Geld mit gefälschten Lebensmitteln, panscht Olivenöl, verkauft falschen Mozzarella, bringt längst abgelaufene Produkte mit neuen Etiketten zurück auf den Markt. Einmal strecken die Täter Sirup aus Mais mit billigem Rohrzucker und deklarieren das Gemisch als teuren Honig. Ein anderes Mal gießen sie Kuhmilch in Büffelmozzarella, weil die Milch von Kühen billiger zu haben ist als die von Büffeln.
Nicht nur die Verbraucher sind betroffen. Unter dem Geschäft der Kriminellen leiden besonders Landarbeiterinnen und Landarbeiter, die von den Gruppen ausgebeutet werden. In Deutschland, so berichten es Ermittler, werden Gastwirte von der Mafia unter Druck gesetzt.
Essen und Trinken sind in der Geschichte der Banden bedeutsam
Das Brisante: Mit dem illegalen Handel mit Lebensmitteln reicht der Arm der Kriminellen so weit in den legalen Wirtschaftszyklus wie mit kaum einem anderen Geschäftszweig. Die Ware wird auf den Großmärkten verkauft, oft wissen Händler gar nicht, dass sie Mafia-Produkte vertreiben. Oft verwischen die Täter die Lieferketten. Und immer wieder dauert es, bis der Betrug überhaupt auffällt.
Das macht die Machenschaften der Täter so schwer durchschaubar für die Strafverfolger. Italienisches Essen boomt - auch in Deutschland. Olivenöl, Tomaten, Weine sind internationale Exportschlager. Nach Einschätzung von Fachleuten sind alle großen italienischen Mafia-Gruppen am Geschäft mit Lebensmitteln beteiligt. Jede in ihrem Gebiet: die Cosa Nostra in Sizilien, die mächtige ’Ndrangheta in Kalabrien, die Camorra in Neapel.
Dass Essen und Trinken für die Mafia eine große Bedeutung hat, erschließt sich vor allem, wenn man auf die Geschichte der einstigen Familienbanden schaut. Mafiosi waren einst Bauern und Hirten oder Handlanger von Großgrundbesitzern, wie der Journalist Oliver Meiler sagt, der ein Buch über die „Agro-Mafia“geschrieben hat. Doch bald schon wuchsen die Netzwerke der Mafiosi. In Italien boten sie Produzenten von Zitronen einst ihren „Schutz“ vor Raub an, agierten als Vermittler zu internationalen Exporteuren, wie die Wissenschaftlerin Alice Rizzuti von der Universität im englischen Hull beschreibt.
Längst arbeiten organisierte Kriminelle aus anderen Regionen der Welt mit den Mafia-Clans zusammen, Täter aus Russland oder China etwa. Gerade die ’Ndrangheta ist stark in Deutschland vernetzt. Das Bundeskriminalamt stellt in mehr als zwei Drittel der in Deutschland geführten Ermittlungsverfahren gegen Großbanden eine Verbindung ins Ausland fest, nach Albanien, in die Türkei, nach Syrien - und Italien. Mittlerweile sind andere organisierte Kriminelle in den illegalen Handel mit Lebensmitteln eingestiegen. Die Sicherheitsbehörden nahmen nun sieben Weinfälscher fest, sechs Italiener und einen Täter mit russischer sowie französischer Staatsangehörigkeit. Sie sollen nach Auskunft der Ermittler jedoch keinen direkten Bezug zur Mafia haben.
Auch die Strafverfolger wollen sich international vernetzen
Und doch agierten sie den Sicherheitsbehörden zufolge wie professionelle Mafia-Clans, nutzten für die falschen Etiketten hochwertige Druckmaschinen, arbeiteten offenbar mit etablierten Firmen zusammen - und konnten so auch aufwendige Sicherheitsmerkmale der Edel-Weine kopieren.
Was die Ermittler in Europa versuchen: Sie wollen der international vernetzten Welt der Täter eine vernetzte Welt der Strafverfolgungsbehörden entgegensetzen. Immer häufiger schließen sich Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften aus EU-Ländern zu gemeinsamen Ermittlungsteams zusammen. Neben Europol gibt es mittlerweile auf europäischer Ebene auch Eurojust, eine Agentur, die eine zentrale Anlaufstelle für die Staatsanwaltschaften und Gerichte in den Mitgliedstaaten ist.
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