Berlin. Die Päckchen auf dem Band rauschen an Nikola Hagleitner vorbei. Rund eine halbe Million Briefe, Päckchen und Pakete werden hier im Logistikzentrum in Berlin-Tempelhof verarbeitet – pro Tag. Bundesweit gibt es 81 solcher Briefzentren und alle stehen vor derselben Herausforderung: Die Menge der Pakete und Päckchen steigt, die Zahl der Briefe sinkt. Nikola Hagleitner verantwortet für die DHL das deutsche Paket- und Postgeschäft. Im Interview spricht sie über Beschwerden, neue Zustelloptionen und das Briefporto.
Frau Hagleitner, in diesen Tagen ärgern sich viele über die Deutsche Post. 22.981 Beschwerden hat die Bundesnetzagentur im ersten Halbjahr registriert – Rekord. Was läuft schief?
Nikola Hagleitner: Wir müssen unsere historische Transformation noch besser erklären. Der Umbau dieses Traditionsunternehmens, bei dem der Brief lange Zeit das wichtigste Produkt war, zum größten E-Commerce-Logistiker Europas ist herausfordernd. Aber er gelingt. Wir erwirtschaften und reinvestieren jedes Jahr eine Milliarde Euro. Das System, mit dem wir den Universaldienst in Deutschland erbringen, funktioniert. Briefe und Pakete werden zuverlässig zugestellt. Wir sind sehr leistungsfähig. Ja, es wackelt hier und da mal. Es ist ärgerlich, wenn die Post in Einzelfällen mal ein paar Tage nicht kommt, aber das sind keine systemischen Probleme.
Im Vergleich zum ersten Halbjahr 2019 haben sich die Beschwerden fast verdreifacht …
Hagleitner: Jede Beschwerde ist eine zu viel. Aber bei 50 Millionen Sendungen am Tag, einem digitalisierungsbedingt enormen betrieblichen Umbau und 116.000 Zustellern bleiben Probleme nicht aus. Zumal in diesem Jahr die Brieflaufzeiten umgestellt worden sind.
Erste Frau an der Spitze
- Nikola Hagleitner ist seit 2022 DHL-Vorständin und verantwortet in dieser Funktion die deutsche Post- und Paket-Sparte.
- Die Österreicherin blickt bereits auf eine lange Karriere im Post-Konzern zurück, wo sie 2005 anheuerte .
- Die 51-Jährige ist die Nachfolgerin von Tobias Meyer, der 2022 an die Spitze des DHL-Konzerns beordert wurde – und die erste Frau, die das deutsche Post- und Paket-Geschäft verantwortet . tki
Aber das ist doch eine Erleichterung für Sie: 95 Prozent der Briefe dürfen nun erst am dritten statt wie bisher am zweiten Tag ankommen …
Hagleitner: Bei einigen Bürgern entsteht vielleicht das Gefühl, dass sie auf einmal ein ganzes Bündel im Briefkasten haben, wenn die Briefe erst nach drei Tagen kommen. Und dann gibt es Beschwerden.
Also beschweren sich die Leute zu Unrecht?
Hagleitner: Das will ich nicht sagen, aber die verlängerten Laufzeiten sind sicherlich ein Faktor. Sie wurden an die realen Bedürfnisse der Menschen angepasst: weniger Eilbedürftigkeit, dafür hohe Zuverlässigkeit. Dennoch hat es zu Verunsicherung geführt. Wir bekommen nicht den Wortlaut der Beschwerden, die bei der Bundesnetzagentur eingehen, mitgeteilt, daher kann ich über die Gründe nur mutmaßen. Aber zur Wahrheit gehört auch: Wir hatten im Sommer Herausforderungen und in einigen Gebieten temporär nicht genügend Personal.
Woran liegt das?
Hagleitner: Die Hitzewelle traf uns – und zudem gab es ein rasantes, unvorhergesehenes Paketwachstum im zweistelligen Prozentbereich – selbst Briefe wurden mehr, was eigentlich nicht mehr vorkommt. Dieser Umstand ist auf einen angepassten, niedrigeren Personalkörper getroffen. Weil die Sendungsmengen zu Beginn des Jahres gering waren, hatten wir unser Personal reduzieren müssen. Das war alternativlos, um wirtschaftlich tragfähig zu bleiben und unsere Investitionsfähigkeit zu erhalten. Daher sind wir lokal ins Schwanken gekommen. Aber wir haben reagiert und neues Personal eingestellt. Jetzt sind wir wieder stabil.
Sind die Personalprobleme nicht hausgemacht? Sie haben in diesem Jahr 8000 Stellen abgebaut …
Hagleitner: Wir hatten keine andere Wahl. Das Postgesetz verlangt von uns, dass wir den Universaldienst effizient erbringen. Und wenn wir nicht eine Milliarde Euro pro Jahr erlösen, können wir unsere Infrastruktur nicht modernisieren. Die Zeiten haben sich verändert, wir müssen Ressourcen konsequent steuern. Im Gegensatz zum produzierenden Gewerbe können wir nicht auf Vorrat produzieren – wir beschäftigen keine Leute auf Verdacht. Und die Sendungsmengen waren zu Beginn des Jahres nicht vorhanden. Entsprechend mussten wir abbauen. Eine Spitze wie die im Juni gab es im Sommer noch nie.
Immer wieder gibt es Fälle, in denen ein Zettel im Briefkasten landet, dass niemand anzutreffen sei, obwohl man selbst zu Hause ist. Wie kontrollieren Sie, ob die Zusteller auch wirklich klingeln?
Hagleitner: Kontrollieren kann man das nicht. Aber wir nehmen Beschwerden sehr ernst, gehen ihnen nach und führen Gespräche mit unseren Zustellern. Da sind wir streng. Die Zustellung an der Haustür – wenn das der Kunde wünscht – ist unser Qualitätsversprechen.
In Dänemark sollen ab 2026 keine Briefe mehr zugestellt werden. Steht das auch Deutschland bevor?
Hagleitner: Ich kann nicht in die Zukunft schauen, aber es ist nicht absehbar, dass so etwas ansteht. Wir haben jetzt 12,5 Milliarden Briefsendungen pro Jahr und werden auch in zehn Jahren noch signifikante Briefmengen haben. Die Briefe, die im Netz sind, sind unheimlich wichtig, es sind Bescheide von Behörden, Arztbriefe oder Wahlunterlagen. Der Brief bleibt wichtig und ist in Deutschland gesellschaftlich und politisch gewünscht.
Was heißt die rückläufige Briefmenge für die Zahl der Briefkästen?
Hagleitner: Unsere 108.000 Briefkästen bleiben bestehen, unabhängig davon, wie viel Post darin ist.
Gibt es Innovationsmöglichkeiten, um Post- und Paketsendungen kostengünstiger zustellen zu können?
Hagleitner: Ja, das ist ein Thema. Unsere größte Innovation ist seit zwei Jahrzehnten die Packstation, von der wir mittlerweile 16.000 Stück haben. Bis 2030 sollen 30.000 Packstationen in Deutschland aufgestellt sein. Es gibt mittlerweile drei verschiedene Typen: Packstationen, Poststationen und die Tochtergesellschaft DeinFach, die anbieterneutral ist.
Wo liegt die Herausforderung, wenn die Zahl der Packstationen quasi verdoppelt werden soll?
Hagleitner: Packstationen werden im Aufbau oft so behandelt wie ein Gebäude. Notwendige Genehmigungen sind nicht immer so einfach zu bekommen. Zuletzt haben wir es dennoch geschafft, um bis zu 3000 Packstationen im Jahr zu wachsen. Wir haben also eine sehr gute Geschwindigkeit, würden uns aber wünschen, noch mehr Stationen im öffentlichen Raum bauen zu können.
Seit Jahresbeginn kostet der Standardbrief im Inland 95 Cent. Gehen Sie davon aus, bei der nächsten Portoerhöhung die 1-Euro-Schwelle knacken zu müssen?
Hagleitner: Konkrete Zahlen möchte ich jetzt noch nicht kommentieren. Aus meiner Sicht ist die Portoerhöhung beim letzten Mal zu gering ausgefallen – nicht weil wir gierig sind, sondern weil wir die Erlöse benötigen, um die Modernisierung der Post zu stemmen. Jeder Cent, den meine Konzerndivision mit Leistungen und Produkten erwirtschaftet, wird in den Standort Deutschland reinvestiert. Ich setze darauf, dass die Bundesnetzagentur beim nächsten Mal die reale Kostenentwicklung und den beschleunigten Briefrückgang noch stärker berücksichtigt – und dann muss das Standard-Porto nennenswert wachsen. Nur so kann es gelingen, die Kosten für den Strukturwandel, der ja jeden einzelnen Brief teurer macht, aufzufangen.
Wie hoch müsste die Steigerung prozentual gesehen sein?
Hagleitner: Der Prozess beginnt im Januar und die Entscheidung gibt es dann voraussichtlich Ende des kommenden Jahres. Wo man da genau landet, mag ich nicht vorempfinden. Aber ich erwarte eine signifikante Erhöhung.
Wie viele Pakete lässt sich die Post-Vorständin für diesen Bereich eigentlich nach Hause liefern?
Hagleitner: Ich bin viel unterwegs und habe Arbeitszeiten, die sicherlich nicht der Norm entsprechen. Deshalb bestellte ich relativ viel. Außerdem habe ich fünf Katzen, allein für das Futter bestelle ich regelmäßig – natürlich nur in den kleinen Packungen. Aber ich lasse immer an Packstationen liefern, weil ich nicht möchte, dass unsere Zusteller bei mir vor verschlossener Tür stehen.
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