Arbeitszeitmodell

Der Traum von der Vier-Tage-Woche

Nach einem Pilotversuch in Großbritannien wird auch in Deutschland über eine Vier-Tage-Woche diskutiert. Was für und was gegen die Einführung dieses Modells hierzulande spricht

Von 
Beate Kranz
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In manchen Branchen bleiben die Beschäftigten bei einer Vier-Tage-Woche genauso produktiv. © Frank Rumpenhorst

Berlin. Vier Tage arbeiten, drei Tage frei. Für viele Beschäftigte klingt dieser Arbeitsrhythmus wie ein schöner Traum. Doch viele können sich eine Arbeitsreduzierung mit Lohnabschlägen nicht leisten. Erfahrungen aus Großbritannien zeigen: In manchen Branchen bleiben die Beschäftigten genauso produktiv. Kann eine Vier-Tage-Woche in Deutschland die Regel werden? Dazu die wichtigsten Fragen und Antworten:

Ist eine Vier-Tage-Woche in Deutschland rechtlich möglich?

In der Regel umfasst die Arbeitswoche 40 Stunden, wobei an fünf Tagen je acht Stunden gearbeitet werden. Für eine Verteilung der Wochenarbeitszeit auf vier Tage müsste das Arbeitszeitgesetz wohl geändert werden. Denn: In Deutschland darf die werktägliche Arbeitszeit acht Stunden nicht überschreiten. In Ausnahmen kann sie zwar auf bis zu maximal zehn Stunden verlängert werden, aber nur, „wenn innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden“. Die Gewerkschaft Verdi würde eine Arbeitszeitverlängerung aber klar ablehnen. Arbeitsmediziner sagen, „dass mehr als acht Stunden pro Tag langfristig gesundheitsschädlich sind. Uns geht es um den Menschen und Arbeit nach menschlichem Maß, nicht um Arbeit nach technologischen Möglichkeiten“, sagt Norbert Reuter, Leiter der Tarifpolitischen Grundsatzabteilung von Verdi. Zum Vergleich: In Österreich sind täglich zwölf Arbeitsstunden erlaubt, in der Schweiz sogar 14 Stunden.

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Von
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Die Bezahlung wird individuell mit dem Arbeitgeber oder tariflich zwischen den Tarifpartnern ausgehandelt. Die Gehaltshöhe - mit Ausnahme des Mindestlohns - kann nicht per Gesetz angeordnet werden, ohne in die Tarifautonomie einzugreifen. Für eine Vier-Tage-Woche reduzieren Beschäftigte in der heutigen Praxis ihre Arbeitszeit meistens auf 80 Prozent und verzichten auf 20 Prozent ihres Gehalts.

Was sind die Vorteile einer Vier-Tage-Woche für Beschäftigte?

Ein weiterer arbeitsfreier Tag verschafft mehr Zeit für eine gute Work-Life-Balance und bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dies wirkt sich positiv auf die Gesundheit aus. Behördengänge und sonstige Erledigungen können oft besser an Werktagen als am Wochenende gemacht werden. Den Arbeitenden bleibt mehr Zeit fürs Privatleben, Sport und Freunde. Wenn Mitarbeiter mehr Zeit haben, Abstand von der Arbeit zu gewinnen, haben sie auch wieder mehr Energie und Motivation am Arbeitsplatz, sagen Psychologen. Eine Vier-Tage-Woche ist aus Sicht der Gewerkschaft Verdi jedoch „nur dann wirklich attraktiv, wenn die Arbeitszeit ohne Lohneinbußen reduziert wird“.

Wie profitieren Betriebe von einer Vier-Tage-Woche?

In dem Pilotprojekt in Großbritannien, bei dem die Arbeit ohne Lohnkürzung auf vier Tage reduziert wurde, zeigten sich viele Vorteile: Der Umsatz der Unternehmen stieg, die Krankheitstage gingen zurück, die Produktivität kletterte, der Stresslevel der Beschäftigten und die Fluktuation sanken. Unternehmen werden attraktiver, was die Besetzung freier Stellen angesichts des Fachkräftemangels erleichtern könnte. Eine Vier-Tage-Woche könnte helfen, Zeit für die Qualifizierung von Mitarbeitern zu gewinnen.

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Was sind mögliche Nachteile des Modells?

„Arbeitstage von zehn Stunden können für Mitarbeiter dauerhaft anstrengend und gesundheitlich belastend sein. Bleibt ein Lohnausgleich aus, wäre eine Verkürzung der Arbeitszeit insbesondere für Geringverdiener problematisch, die dann noch weniger verdienen“, sagt Sebastian Dullien, Direktor des arbeitnehmernahen Instituts IMK der Böckler-Stiftung, dieser Redaktion. „Nicht jede Branche kann die Produktivität steigern. In vielen Dienstleistungsbranchen, wie dem Pflege-, Schul- oder Kitabereich, geht dies nicht“, sagt Verdi-Tarifexperte Reuter. „Dort müsste zusätzliches Personal eingestellt werden, um den fünften Tag personalmäßig abdecken zu können. Unternehmen dürften kaum zustimmen.“

Ist eine Vier-Tage-Woche ohne Lohnabschläge für die Wirtschaft verkraftbar?

„Eine plötzliche Reduktion der Arbeitszeit in der Gesamtwirtschaft um ein Fünftel bei sofortigem vollen Lohnausgleich würde viele Unternehmen überfordern und könnte auch zu steigender Inflation führen“, sagte Dullien. Auch der Vorsitzende des Mittelstandsverbands BVMW, Markus Jerger, warnt, dass ein voller Lohnausgleich „in den allermeisten Unternehmen betriebswirtschaftlich nicht darstellbar“ ist.

Sollte es einen Rechtsanspruch auf eine Vier-Tage-Woche geben?

„Arbeitszeitfragen und insbesondere Fragen der Organisation von Arbeitszeiten sollte Sache der Tarifparteien sein, weil die Tarifpartner am besten einschätzen können, was konkret in einzelnen Branchen sinnvoll und möglich ist“, ist Dullien überzeugt. Eine Vier-Tage-Woche für alle mit dann sehr langen Arbeitszeiten sollte nicht pauschal verordnet werden. „Nicht für jedes Lebensmodell und alle familiären Bedürfnisse ist eine Vier-Tage-Woche die ideale Lösung.“

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