Nachhaltigkeit

Der Boden steht unter Druck

Böden sind Lebensraum, Hochwasserschutz oder Spekulationsobjekt für Superreiche – eine Annäherung an den oft geringgeschätzten Untergrund.

Von 
Hanna Gersmann
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In Deutschland werden jeden Tag 52 Hektar der wertvollen Ressource Boden asphaltiert, betoniert und damit verbraucht. © picture alliance/dpa

Berlin. Für Reiche wie den Amazon-Milliardär Jeff Bezos sind Böden zum lohnenden Investitionsobjekt geworden. Denn gute Böden sind knapp. Das hat nur lange kaum jemanden interessiert. Dabei liefern Böden nicht nur Nahrung. Sie schützen auch vor Hochwasser und helfen gegen Hitze. Und: In ihnen tummelt sich ein ganzer Zoo – eine Annäherung an den Untergrund in zehn Schritten.

1. Maulwürfe lieben lernen

Hübsch ist das Werk eines Maulwurfs im eigenen Garten nicht. Plötzlich ist da ein Erdhügel mitten auf dem Rasen. „Eigentlich kann man aber stolz sein, Maulwürfe sind nämlich nur dort, wo der Boden gut ist“, sagt Nicole Scheunemann. Die promovierte Biologin forscht am Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz, einem der wichtigsten Standorte der Bodenzoologie in Europa. Die Maulwürfe sorgten für einen gut durchlüfteten Boden, fräßen Schnecken, Käferlarven und andere Insekten weg, die sonst das Gemüse anknabberten. Aber der Maulwurf und seine Lieblingsspeisen sind nicht allein. Scheunemann: „Boden besteht aus Mineralkörnchen und zersetzten Pflanzenresten, dazwischen wimmelt es.“

2. Unter dem Wohnwagen geht es ab

Schon auf wenigen Quadratmetern unter dem Campingplatz tummele sich ein ganzer Zoo, sagt Scheunemann. „Dort leben Tiere, Bakterien, Pilze, Einzeller, es sind Milliarden Individuen.“ Eine Berühmtheit: Der Regenwurm, der sich taub, stumm, blind unermüdlich durch den Boden gräbt und frisst. „Reger Wurm“, nannte man ihn im 16. Jahrhundert, vermutlich hat sein heutiger Name mehr damit zu tun – weniger mit dem Regen. Allein in Deutschland gibt es 50 verschiedene Arten. Viele ihrer Mitbewohner sind mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen. Etwa die Raubmilbe, die für den Boden so etwas sei, wie der Löwe für die Serengeti, meint Scheunemann. „Die mit großen Kauwerkzeugen ausgestattete Raubmilbe hält die Umgebung gesund. Sie jagt, tötet und verspeist in den kleinen Gängen zwischen den Bodenkrümeln schädliche Organismen.“ Überhaupt wird viel gefressen.

3. Eine Müllabfuhr für Küchenabfälle

Zum Beispiel die Apfelschale. Landet sie im Kompost, fängt sie nach ein paar Tagen an – diese Arbeit machen Mikroorganismen – zu verrotten. Der Regenwurm verleibt sich die gammelige Schale ein. Halbverdaut, aber mit nützlichen Pilzen und Bakterien versetzt, kommt sie hinten wieder raus. Die Schalenreste darin sind ein Festmahl für ein grau-bräunliches kleines Krebstier: die Assel. Oder für einen Tausendfüßler. Sie zerkleinern alles nochmal. Dann schlägt die Stunde der kugeligen Milben und der weißlich durchscheinenden Springschwänze. Die sind nicht auf die Schale aus, sondern nagen das Geflecht von Pilzen und Bakterien ab, das sich auf dem Kompost breit gemacht hat – mit einem erstaunlichen Effekt. „Wenn auf der einen Seite das Geflecht gefressen wird, wächst es auf der anderen Seite sehr schnell nach, um von den Fraßfeinden wegzukommen“, erklärt Scheunemann, „so wird der Abbau der Apfelschale durch die Pilze und Bakterien ordentlich angeheizt“. Es entsteht: Humus.

4. Weintrinker sind anderen voraus

Weintrinker schätzen den Boden besonders. Sie reden vom „Terroir“, um zu beschreiben, wie die Gegend, wo die Trauben gewachsen sind, das Aroma ihres Getränkes geprägt hat. Vom Boden hängt viel ab, wenn nicht alles: Ohne Boden gäbe es keine Nahrungsmittel vom Acker, auch keine Energiepflanzen oder Rohstoffe wie Holz und Textilfasern. Der Boden ist entscheidend für gutes Trinkwasser, weil er Schadstoffe filtert, sie also aus dem Grundwasser fern hält. Er hilft auch gegen Hochwasser, weil er große Mengen an Niederschlag speichern kann. Bei Trockenheit verdunstet dann das zuvor gespeicherte Wasser wieder. Das hält die Umgebung feucht, auch frisch. Zudem hilft er gegen den Klimawandel, weil er Kohlenstoff einlagert. Und natürlich gäbe es ohne Boden auch keinen Platz für die Natur.

5. Beziehungsstatus zum Boden: kompliziert

Deutschland hat sich schon lange vorgenommen, Boden zu schonen, weil er das Leben über ihm erst möglich macht. So sollte eigentlich bis zum Jahr 2020 bereits der tägliche Zuwachs der Siedlungs- und Verkehrsflächen auf 30 Hektar reduziert werden. Doch noch werden hierzulande jeden Tag 52 Hektar Boden asphaltiert, betoniert, verbraucht. Laut der aktuellen Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie soll das nun „bis zum Jahr 2030 auf unter 30 Hektar pro Tag begrenzt werden“. Der Boden steht unter Druck.

6. Jeff Bezos ergattert Boden

Böden gelten längst als knappe Ressource – und sind begehrt. Amerikanische Superreiche setzen auf sie: Laut dem US-amerikanischen Magazin „The Land Report“ besitzt allein Amazon-Gründer Jeff Bezos in den USA rund 187.000 Hektar Land, Microsoft-Gründer Bill Gates 111.000 Hektar. Boden ist längst auch in Deutschland Investitionsobjekt – und teuer. Bauern hierzulande müssen immer mehr Pacht für ihre landwirtschaftlichen Flächen zahlen: Im Jahr 2023 waren es laut dem Statistischen Bundesamt im Schnitt 357 Euro pro Hektar und damit 9 Prozent mehr als 2020. Das variiert je nach Region allerdings stark: 99 Euro waren es beispielsweise im Saarland, in Nordrhein-Westfalen 560 Euro.

7. Boden lässt sich nicht erneuern

Seine Entstehung braucht historische Zeiträume. Zunächst müssen aus Gestein durch Wind und Wetter Körnchen entstehen – in der Größe von Sandkörnern, vom etwas kleineren sogenannten Schluff oder vom besonders feinkörnigen Ton. Darauf siedeln sich dann Pflanzen an, die sterben ab, langsam entstehen humose Bodenschichten: in 100 Jahren laut Umweltbundesamt keinesfalls mehr als ein Zentimeter.

8. Hosen runter für guten Boden

Sind weiße Unterhosen aus reiner Baumwolle im Schrank übrig? Dann ab damit unter die Erde! Dazu rufen immer wieder Forscher auf. Das Experiment: Unterhosen werden etwa im Garten, im Wald, auf der Wiese verbuddelt. Wer sie dann nach zwei Monaten wieder ausgräbt, sieht, wie munter die Bodenlebewesen sind – je gesünder, desto gefräßiger, umso weniger bleibt übrig von dem guten Stück. Vorbild ist das Schweizer Forschungsprojekt „Beweisstück Unterhose“. Unter www.beweisstueck-unterhose.ch. gibt es die genaue Anleitung.

9. Groß Aufräumen muss nicht sein

Wer seinem Boden im Garten etwas Gutes tun wolle, sagt Forscherin Scheunemann, „harkt runter gefallenes Laub, verwelkte Blumen nicht weg. Das mag nur nicht jeder.“ Und dann? „Es wäre gut, den Boden zumindest dauerhaft bedeckt zu halten, zum Beispiel mit Mulch aus Rasenschnitt. Auch Kompost oder Hornspäne sind hilfreich. Denn die Bodenorganismen brauchen Futter, in einem aufgeräumten Beet gehen sie leer aus.“

10. Boden gut machen

In Hamburg sind die Bürger jetzt zum „Abpflaster-Wettbewerb“ aufgerufen: Wer bis zum 31. Oktober dieses Jahres die größte Fläche entsiegelt, also Beton und Asphalt durch Rasen, Blumenbeete, Bäume ersetzt, gewinnt. Rotterdam und Amsterdam lieferten sich schon 2020 einen Wettstreit, wer am meisten Pflastersteine gegen Grün tauscht. Die Rotterdammer gewannen knapp. Seither ist dieses „Tegelwippen“ in den Niederlanden ein jährliches Spektakel, immer mehr Städte und Gemeinden machen dort mit – aus gutem Grund. „Flächen zu entsiegeln ist das A und O für den Schutz der Böden“, sagt Scheunemann. Gegen Hitze helfe es auch. Anders als Häuser und Fassaden, die sich aufheizen, kühle Grün. Asphalt lasse keinen Niederschlag durch, sodass er im schlimmsten Fall die Kanalisation überlaste und in Keller laufe. Begrünter Boden wirke dem entgegen. Er ist viel mehr als Dreck.

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