Berlin. Das Handynetz ist schlecht, Nachrichten an Freunde und Familie gehen nicht raus, die Videokonferenz aus der Bahn heraus friert mitten im Satz ein. Damit soll bald Schluss sein. Die Bundesnetzagentur hat den Netzbetreibern strenge Vorgaben gesetzt, was die Mobilfunkversorgung angeht. Aber halten diese sich auch daran? Das will die Netzagentur mithilfe der Bürgerinnen und Bürger herausfinden. Am Montag startet nach Pilotprojekten in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen die erste bundesweite Mobilfunkmesswoche. Was es damit auf sich hat, erklärt Netzagentur-Chef Klaus Müller.
Wer mit dem Zug durch ländliche Gegenden rauscht, kennt das Problem: Es gibt keinen Empfang. Wann ist endlich Schluss damit?
Klaus Müller: Die Situation in Zügen verbessert sich, zum Beispiel, weil immer mehr Fenster insbesondere von Fernverkehrszügen gelasert werden, sodass sie durchlässiger werden für Mobilfunk. Und auch die Versorgung im ländlichen Raum insgesamt wird sich verbessern. Wir verlängern die Nutzungsrechte der Mobilfunkfrequenzen übergangsweise und werden dabei die Netzbetreiber Telekom, Telefónica und Vodafone verpflichten, bis spätestens 2030 bundesweit 99,5 Prozent der Fläche mit mindestens 50 Mbit/s zu versorgen.
Vor sieben Jahren sorgte die damalige Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) für Diskussionen, als sie sagte: „Wir brauchen nicht 5G an jeder Milchkanne“. Brauchen wir heute 5G an jeder Milchkanne?
Müller: Ja, wir brauchen guten Mobilfunk an jeder Milchkanne. Die Landwirtschaft ist mittlerweile hochdigitalisiert und automatisiert, sei es beim Düngen oder der Aussaat – vorausgesetzt, man hat Netz. Manche Menschen wollen nicht die hohen Mieten in den Metropolen bezahlen und lieber mobil auf dem Land arbeiten – sie brauchen dafür gutes Netz. Und es ist auch eine Frage der Demokratie: Vernachlässigen wir den ländlichen Raum, dann erzeugen wir Unzufriedenheit, im schlimmsten Fall Wut. Daher sind die 99,5 Prozent Netzabdeckung wichtig.
Zur Person
- Klaus Müller ist seit 2022 Präsident der Bundesnetzagentur , die dem Wirtschaftsministerium untersteht und die Bereiche Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen verantwortet.
- Zuvor leitete er die Verbraucherzentrale .
- Der 54-jährige Volkswirt ist seit 1990 Mitglied bei den Grünen .
- Von 2000 bis 2005 war er Umweltminister in Schleswig-Holstein.
- Müller wurde in Wuppertal geboren, hat zwei Kinder und lebt in Berlin . zrb
Das letzte halbe Prozent wird nicht geschlossen werden?
Müller: Die Versorgung mit 50 Mbit/s fällt am Rand nicht sofort auf null ab. 99,5 Prozent mit 50 Mbit/s bedeuten nicht automatisch 0,5 Prozent ohne Versorgung. Das letzte halbe Prozent kann zu großen Teilen ebenfalls versorgt sein, wenn auch nicht durchgängig mit 50 Mbit/s. Zudem dürfte dies vor allem schwer zugängliche Gegenden betreffen.
Auch die Forstwirtschaft ist digitalisiert und hätte gerne ein gutes Netz im Wald. Und der Alpinismus boomt – da ist es auch nicht verkehrt, wenn man die Bergwacht erreichen kann.
Müller: Das stimmt. Aber wir reden hier von 4G oder 5G. Man wird dann auf dem Berg kein Video streamen können, während man auf die Bergwacht wartet. Aber eine Grundversorgung mit 2G sollte man trotzdem haben.
Gibt es noch Gebiete, in denen es noch nicht einmal 2G, also gar kein Netz, gibt?
Müller: Ja, das sind derzeit noch 0,2 Prozent der Fläche. Auch dieser Anteil dürfte sinken mit unserer neuen Auflage.
Wie hoch ist die derzeitige Netzabdeckung mit 4G oder 5G?
Müller: 97,53 Prozent der Fläche in Deutschland sind mit 4G versorgt, 93,85 Prozent durch 5G. In 2,1 Prozent der Fläche gibt es weder 4G noch 5G, das sind die sogenannten „weißen Flecken“.
2,1 Prozent klingt nicht viel – in absoluten Zahlen sind das aber 7511 Quadratkilometer ohne gutes Netz. Ist das nicht peinlich für die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt?
Müller: Ja, das kann uns nicht zufriedenstellen. Aber es ist ja die Aufgabe der Bundesnetzagentur, das anzugehen. Das tun wir jetzt mit der Verpflichtung der Netzbetreiber.
Die Lebensrealität fühlt sich für viele nicht so an, als würde es in 97,53 Prozent der Fläche 4G geben …
Müller: Die Abdeckungszahlen geben an, dass dort mindestens ein Netzbetreiber dieses Netz anbietet. Nun hat man aber in der Regel nicht mehrere verschiedene Mobilfunktarife. Daher hat man im Alltag noch nicht zu 97,5 Prozent 4G. Hinzu kommt: Mobilfunk ist ein sogenanntes „shared medium“. Nutzen es viele gleichzeitig, etwa weil ein Konzert, eine Demo oder ein großes Betriebsfest stattfindet, wird es beim Einzelnutzer schlechter. Das ist wie bei einem Gartenschlauch, in den man Löcher pikst. Da kommt am Ende auch nur noch weniger an.
Was soll nun die Mobilfunkmesswoche bringen?
Müller: Wir wollen mehr Daten zur Netzverfügbarkeit sammeln und die letzten Lücken im Netz identifizieren. Im Alltag sind wir mit unserem Prüf- und Messdienst im Einsatz. Das macht aber lediglich eine begrenzte Zahl an Kolleginnen und Kollegen. Die schaffen viel, aber eben nicht alles. Daher sind wir auf die Hilfe der Schwarmintelligenz angewiesen. Je mehr Menschen mitmachen, desto besser können wir feststellen, wo das Netz nicht ausreichend ist.
Wie funktioniert das?
Müller: Man kann sich die Breitbandmessung/Funkloch-App der Bundesnetzagentur kostenlos herunterladen. In der App gibt es keine Werbung, und Daten werden datenschutzrechtskonform erhoben. Dann kann man einfach die Netzverfügbarkeit mit seinem Smartphone melden – sei es auf dem Weg zur Arbeit, beim Feierabendbier oder auf dem Ponyhof. Es ist sehr simpel.
Wie viele müssen mitmachen, damit die Messwoche überhaupt etwas bringt?
Müller: Wir freuen uns über jeden Einzelnen, der dabei ist. Hilfreich wären aber deutlich mehr Meldungen als sonst üblich. In Rheinland-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen haben wir in der jeweiligen Messwoche des Landes im vergangenen Jahr mehrere Millionen Messpunkte erhoben.
Wie oft wurde die App bisher heruntergeladen?
Müller: Seit 2018 wurde die App knapp eine Million Mal installiert. Macht also ein großer Teil der bisherigen Nutzer mit, wäre das schon ein Erfolg. Und wir hoffen, dass wir auch viele neue Nutzer gewinnen können.
Welche Möglichkeiten hat die Netzagentur, die Mobilfunknetzanbieter zu sanktionieren, wenn Sie feststellen, dass es Flecken gibt, wo keine sein sollten?
Müller: Zunächst reden wir miteinander. Wenn wir merken sollten, dass Versorgungsauflagen auch dann nicht erfüllt werden, dann gibt es das klassische behördliche Regime, das auch finanzielle Konsequenzen haben kann. Aber es ist den Unternehmen in der Regel schon unangenehm, wenn sie von uns konfrontiert werden.
Wie hoch können die finanziellen Sanktionen ausfallen?
Müller: Das können Sanktionen im Millionenbereich sein.
Manchmal liegt es ja gar nicht an den Netzbetreibern, sondern es gibt Widerstände der Bevölkerung gegen neue Masten. Treten Sie hier als Vermittler auf?
Müller: Tatsächlich kümmern wir uns auch um sehr konkrete Anliegen, wenn eine Bürgermeisterin, ein Landrat oder Unternehmen nicht weiterkommt. In der Regel gilt: Reden hilft. Wir sichern im Übrigen auch, dass die Grenzwerte eingehalten werden, die zum Schutz der Menschen gelten, und veröffentlichen die Daten unserer Überprüfungen. Auch das kann helfen, Ängste zu nehmen.
Liegt der schlechte Empfang auch an zu alten Smartphones oder Handys?
Müller: Das kann eine Ursache sein. Mobilfunk funktioniert zudem nicht an jedem Ort gleich. Wer in einem Haus aus Stahlbeton im Keller eine Videokonferenz abhalten möchte, kann dabei kein Vergnügen haben. Das ist im Wohnzimmer besser.
Vodafone will Funklöcher mithilfe von Satelliten schließen. Eine gute Idee?
Müller: Ich finde erst einmal alles gut, was hilft, aber wir gehen davon aus, dass die Unternehmen grundsätzlich terrestrische Netze bauen.
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