Corona - Mainzer Unternehmen bereitet Massenproduktion vor und erwirbt Anlage von Novartis in Marburg

Biontech kauft Impfstoff-Werk

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Rolf Obertreis
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Eine Adresse als Ansage: das Logo des Biotechnologie-Unternehmens Biontech am Hauptsitz in Mainz. Die Firma hofft, Ende Oktober die Zulassung ihres Corona-Impfstoffs beantragen zu können. © dpa

Frankfurt. Das Mainzer Biotech-Unternehmen Biontech will seinen in der Testphase befindlichen Corona-Impfstoff ab Anfang 2021 auch im hessischen Marburg produzieren. Dafür übernimmt Biontech die dort vorhandene hochmoderne Produktionsanlage für biotechnologische Substanzen vom Schweizer Pharmakonzern Novartis. Eine erste Teilvereinbarung über den Kauf wurde am Donnerstag unterzeichnet, bis zum Jahresende soll die Übernahme komplett abgewickelt werden. Wie viel die Mainzer für die Anlage bezahlen, teilten die beiden Unternehmen nicht mit.

Wie der Biontech-Gründer und -Chef Ugur Sahin am Donnerstag sagte, können in Marburg jährlich 750 Millionen Impfdosen hergestellt werden. Nach dem Hochlaufen der Produktion würde man im ersten Halbjahr 2021 zunächst einmal rund 250 Millionen Dosen produzieren können. Biontech will noch vor der Zulassung des Impfstoffs durch die Behörden in Europa und den USA – sie soll Ende Oktober/Anfang November beantragt werden – die Produktion aufnehmen, wenn die Behörden in Deutschland dies freigeben.

Mitarbeiter werden übernommen

Aufgrund der hervorragenden Ausstattung der Anlage von Novartis in Marburg rechnet Sahin damit noch im vierten Quartal. Dann würden die rund 300 Beschäftigten mit der Herstellung des Impfstoffs Anfang 2021 beginnen. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden übernommen und behalten ihren Arbeitsplatz. In Marburg hatten sie bislang unter anderem auch Grippe-Impfstoffe produziert.

Aktuell verfügt Biontech durch die Kooperation mit dem Pharma-Riesen Pfizer weltweit über Produktionskapazitäten in Höhe von 1,3 Milliarden Impfdosen jährlich, in Deutschland derzeit am Unternehmenssitz in Mainz sowie im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein. Dazu kommen Anfang nächsten Jahres die Kapazitäten der Anlage in Marburg. Sie wird dann eine der größten Corona-Impfstoff-Fabriken in Europa und die größte Produktionsstätte von Biontech.

Noch in diesem Jahr wollen Biontech und Pfizer nach Angaben Sahins rund 100 Millionen Dosen herstellen. Lieferverträge bestünden mit den USA, der EU, Großbritannien und Japan. Sahin zeigt sich zuversichtlich, dass der Impfstoff mit dem Namen BNT162b2 wirksam und auch sicher sein wird. „Wir sind in der Testphase mit 29 000 Probanden in der Lage, seltene Nebenwirkungen zu erkennen.“

Sahin erklärte, der derzeit getestete Impfstoff werde zwei Mal intramuskulär verabreicht: am Tag eins und drei Wochen später noch einmal. Der Wirkstoff zeige bei den klinischen Tests bislang eine gute Verträglichkeit mit „milden bis moderaten Nebenwirkungen“, beispielsweise Schmerzen an der Einstichstelle oder Fiebersymptomen bei einer Zahl von Probanden. Diese Folgen seien aber vorübergehend. Der Impfstoff sei in der Lage, sowohl die Bildung von spezifischen Antikörpern als auch von T-Zellen zu fördern – beide sind für die Immunabwehr wichtig.

Derzeit laufen Studien in 129 Testzentren in den USA, Brasilien, Argentinien und Deutschland. Demnächst sollen die Türkei und Südafrika dazukommen. Den Vertrieb wollen Biontech und Pfizer über das weltweite Netz des Pharmakonzerns abwickeln. In Deutschland werde derzeit an einem Konzept gearbeitet, das auch die Einhaltung der Kühlketten sicherstellt.

Weitere Millionen vom Bund

Biontech gilt neben der Tübinger Curevac als das deutsche Biotech-Unternehmen mit den besten Aussichten auf die Herstellung eines wirksamen Corona-Impfstoffs. Anfang der Woche war bekanntgeworden, dass das Bundesforschungsministerium Biontech mit bis zu 375 Millionen Euro unterstützt, um die Entwicklung und Produktion des Corona-Impfstoffs zu beschleunigen. (mit dpa)

Weltweit 26 Wirkstoffe im Test

  • Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU) äußerte zuletzt die Erwartung, dass es erst im kommenden Jahr einen Corona-Impfstoff für große Teile der Bevölkerung geben wird. Absolute Priorität habe die Sicherheit. Ein Impfstoff könne nur zur Anwendung kommen, wenn der Nutzen höher sei als die Risiken.
  • Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation wird weltweit in rund 170 Projekten nach einem Impfstoff gesucht. Bei 26 Projekten laufen demnach bereits Testimpfungen.
  • In Russland wurde schon im August bereits vor Abschluss wichtiger Tests der erste Impfstoff für eine breite Anwendung in der Bevölkerung freigegeben, was international kritisiert wurde. dpa

Korrespondent Seit mehr als 20 Jahren arbeite ich für den Mannheimer Morgen und für andere wichtige Regionalzeitungen wie den Tagesspiegel/Berlin, die Badische Zeitung/Freiburg, die Südwest Presse/Ulm und den Münchener Merkur als Wirtschaftskorrespondent in Frankfurt. Banken, Europäische Zentralbank, Bundesbank, Börse und in Frankfurt ansässige Unternehmen wie Lufthansa und auch Verbände wie der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau VDMA zählen zu meinen Schwerpunkten. Daneben auch die Luftfahrt. Zudem befasse ich mich über die KfW Bankengruppe und die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) mit Fragen der Entwicklungszusammenarbeit.

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