Nach dem monatelangen Lockdown glauben die meisten Firmen, dass sie erst im nächsten Jahr das Vorkrisenniveau erreichen werden. Der Mannheimer Ökonom Jannis Bischof über die Stimmungslage in den deutschen Unternehmen.
Herr Bischof, wie steht es um die Wirtschaft in Deutschland nach dem langen Lockdown?
Jannis Bischof: Unsere Befragung hat ergeben, dass bei vielen Unternehmen noch immer große Skepsis vorherrscht. Die allermeisten Unternehmen rechnen damit, dass ihre Geschäfte erst im ersten Quartal 2022 wieder das Vorkrisenniveau erreichen werden. Und jedes fünfte Unternehmen bundesweit meint, dass es nie mehr das frühere Auftragsvolumen erzielen kann.
Diese pessimistische Grundstimmung überrascht mich, die meisten Branchen, vor allem in der Industrie, waren vom Lockdown kaum oder gar nicht betroffen.
Bischof: So pauschal stimmt das nicht. Der ständige Wechsel während der Lockdowns zwischen Öffnungen und Schließungen im internationalen Warenverkehr hat zu regelmäßigen Unterbrechungen der Lieferketten gesorgt. Denken Sie nur an die Hafenschließungen, den Ausfall von Frachten im Luftverkehr und zuletzt an die Verspätungen nach dem Unfall am Suez-Kanal. Das alles war Gift für die stark vernetzte Weltwirtschaft. Die internationalen Märkte für viele Rohstoffe und wichtige Materialien wie Halbleiter sind deshalb völlig aus dem Gleichgewicht geraten. Unternehmen berichten uns von massiven Kostensteigerungen bei der Beschaffung solcher Waren und langen Wartezeiten. Das sorgt in vielen Industrien für hohe Planungsunsicherheit und verdrängt die Erleichterung über die Öffnungen in anderen Bereichen.
Wie ist denn die Lage in den Branchen, die besonders unter den Lockdowns leiden?
Bischof: Die Staatshilfen haben die schlimmsten Schäden in den Unternehmen aus den Krisenbranchen Tourismus, Gastronomie, Hotellerie oder Veranstaltungen verhindert.
Sie sind also optimistisch?
Bischof: So pauschal würde ich das nicht ausdrücken. Der Staat hat zwar viel Geld in die Krisenbranchen gepumpt, aber die Reserven sind häufig aufgebraucht. Deshalb stehen viele Geschäftsinhaber im wahrsten Sinne vor einem Neuanfang.
Das drückt doch auch aufs Gemüt.
Bischof: Natürlich. Wir dürfen einfach nicht vergessen, dass hinter den ökonomischen Kennziffern Menschen stehen. Wir sollten deshalb die psychologische Wirkung der Lockdowns nicht unterschätzen. Gerade viele Kleinunternehmer haben ihren Beruf gewählt, weil sie sich selbst verwirklichen wollen. Da wurden viele Lebensentwürfe zerstört. Und wenn der Supermarkt ständig offen ist, das eigene Fachgeschäft aber nicht, stellt sich für den Besitzer doch die Frage, warum ausgerechnet er ausgeschlossen wird. Da hat es oft an Zuspruch und Wertschätzung von Politik und Gesellschaft gefehlt.
In jeder Krise gibt es auch Gewinner. Wie sieht es denn da in der Pandemie aus?
Bischof: Viele Unternehmer haben die Krise für Innovationen genutzt oder schlicht von ihrem Geschäftsmodell profitiert. Das gab es in fast allen Bereichen, vom kreativen Nach-Hause-Angebot eines Restaurants bis zum großen Produzenten, der sein Angebot schnell auf Hygieneprodukte umstellt und von der stark gestiegenen Nachfrage profitiert. Interessanterweise sehen wir in unseren Umfragen, dass eine große Zahl solcher Krisengewinner in den strukturstarken Gebieten von Baden-Württemberg - und da auch im Rhein-Neckar-Raum - sitzt.
Experte aus Mannheim
- Jannis Bischof hat seit 2015 den Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Unternehmensrechnung an der Universität Mannheim inne.
- Er ist Mitverfasser der Mannheimer Unternehmensstudie, die sich fortlaufend mit den Auswirkungen der Lockdowns auf die Wirtschaftsbranchen beschäftigt.
- Die Studie basiert auf der Auswertung des deutschen Unternehmenspanels (German Business Panel) an der Universität Mannheim. Viele der befragten Betriebe stammen auch aus der Region.
Welche sind das?
Bischof: Zum Beispiel Betriebe aus der Bauindustrie. Außerdem haben Unternehmen profitiert, die sich um IT und Digitalisierung kümmern.
Werden sich die Krisenbranchen wieder berappeln?
Bischof: Das hängt von uns selbst als Verbraucher ab: Werden wir im selben Umfang wie vor der Krise einkaufen, das Restaurant besuchen, ins Theater und zum Handball gehen? Oder sorgt die Krise für eine langfristig veränderte Nachfrage? Derzeit ist das offen. Bei vielen Geschäftsinhabern überwiegt die Erleichterung über die Öffnung. Wenn sich das Einkaufsverhalten aber langfristig stärker in den Online-Handel verschiebt, wird die Zahl profitabler Läden weiter sinken und der Einzelhandel sich stärker auf das Versandgeschäft konzentrieren.
Vor der Pandemie bestimmte die Mobilität unser aller Leben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Alltag der Deutschen wieder wie früher ablaufen wird.
Bischof: Ich mir auch nicht. Und das wird Konsequenzen haben. Denken Sie nur mal ans Reisen. Hotelbetriebe, die sich schon traditionell auf den privaten Tourismus und hauptsächlich auf Gäste aus Deutschland konzentriert haben, werden sich wie im vergangenen Sommer sehr schnell erholen, wenn sie wirtschaftlich solide aufgestellt sind.
Und die anderen?
Bischof: Andere Betriebe, die stärker abhängig sind vom Dienstreisegeschäft oder vom Messeverkehr, erleben diese Erholung noch nicht. Hier ist auch die mittelfristige Perspektive viel unklarer, denn gleichzeitig berichten uns viele Unternehmen, dass sie aufgrund der positiven Erfahrungen mit Videokonferenzen gerade den Dienstreiseverkehr als einen wichtigen Faktor entdeckt haben, um Kosten zu sparen.
Der Staat hat bei der Auszahlung der Wirtschaftshilfen anfangs viel Kritik einstecken müssen, weil die Mittel viel zu spät ausgezahlt wurden. Hat sich das jetzt gebessert?
Bischof: Ja. Außerdem muss ich die Politik auch in Schutz nehmen, denn es fehlten für Hilfsprogramme dieser Größenordnung schlicht Erfahrungen und Vergleichswerte. Die Bundesregierung hat auch auf die Kritik aus der Wissenschaft reagiert und die Auszahlungen an den Fixkosten orientiert. Inzwischen laufen die Programme viel schneller.
Klingt ziemlich beschönigend.
Bischof: Ich bin noch nicht fertig. Die Abstimmung zwischen verschiedenen Ministerien oder Bund und Ländern war teilweise sehr schlecht. Kommunikation und Datenaustausch waren mangelhaft. Das darf nicht passieren, denn darunter haben vor Ort gerade die kleinen Unternehmer ohne genügend Reserven gelitten. Da hat Baden-Württemberg nach Meinung der Unternehmen besonders schlecht abgeschnitten.
Corona in der Region
Die Bundesregierung hat den erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld jetzt für weitere drei Monate verlängert. Wissenschaftler warnen schon länger vor Missbrauch und Mitnahmeeffekten. Sehen Sie das auch kritisch?
Bischof: Nein. Die wichtigste Staatshilfe war nach unseren Zahlen eindeutig das Kurzarbeitergeld. Kein anderes Programm wurde so umfangreich genutzt. Die direkte Wirkung, hier eben auf den Erhalt vieler Arbeitsplätze, war besonders hoch. Natürlich kann es auch beim Kurzarbeitergeld Missbrauch geben, aber die Pandemie ist noch nicht vorbei. Wenn es um den Missbrauch von Staatshilfen geht, treibt viele Betriebe ein anderes Problem um.
Welches?
Bischof: Neben der Unzufriedenheit mit der Verwaltung der Staatshilfen war auffällig, wie gerade kleine Unternehmen besonders stark die Ungerechtigkeit betonen, die sie empfunden haben, weil Großkonzernen wie Lufthansa und Tui viel schneller und nach allgemeinem Empfinden auch viel unbürokratischer und großzügiger geholfen wurde.
Sehen Sie das auch so?
Bischof: Sagen wir mal so: Der Eindruck, dass mit zweierlei Maß gemessen wird, drängt sich schon auf, wenn zum Beispiel Veranstaltern mit ausgereiften Hygienekonzepten nur minimale Teilnehmerzahlen genehmigt werden, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder aber gleichzeitig Fußballspiele mit 14 500 Zuschauern erlaubt.
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