Walldorf. Die Betriebsratsaffäre bei SAP um mutmaßlich falsche Angaben zur Arbeitszeit weitet sich aus. Innerhalb von zwei Wochen ist ein weiteres Mitglied des Betriebsrats der SAP SE mit sofortiger Wirkung von seinem Amt zurückgetreten. Und nicht nur das: Der Mann legt auch sein Mandat im Aufsichtsrat nieder - und verlässt den Walldorfer Softwarekonzern im „gegenseitigen Einvernehmen“, wie es heißt. Im Aufsichtsrat rückt die Arbeitnehmervertreterin Manuela Asche-Holstein nach.
Schon Ende Juni hatte sich der Vorsitzende des Betriebsrats der SAP SE zurückgezogen. Er soll seinen Kollegen geschützt, in „mehrfacher Weise eine Aufklärung erschwert, Indiztatsachen unterdrückt“ und dabei versucht haben, „die Ermittlung der Wahrheit zu verhindern“, heißt es in internen Unterlagen, die dieser Redaktion vorliegen.
Der nun zurückgetretene Arbeitnehmervertreter soll sich zwar mehrfach in den Urlaub verabschiedet haben, jedoch „gar nicht oder nur in geringerem Umfang“ Urlaubstage beantragt oder genommen haben. Der ehemalige Betriebsratsvorsitzende, dem mittlerweile außerordentlich gekündigt wurde, soll Daten dazu gelöscht haben. Der Verdacht der Urkundenfälschung steht im Raum. Gegen beide Männer hatte SAP eine Untersuchung eingeleitet.
Ruf nach starker Gewerkschaft
Der ehemalige Betriebsratsvorsitzende ist nach wie vor im Aufsichtsrat. Er hat über den Deutschen Bankangestellten-Verband (DBV) ein Gewerkschaftsmandat, das unabhängig von seiner Anstellung bei SAP gilt. Dem Vernehmen nach laufen derzeit Gespräche über diese Personalie. Denn der Konzern dürfte wegen der massiven Vorwürfe daran interessiert sein, dass jemand anderes in den Aufsichtsrat entsandt wird.
Mit dem Rücktritt des zweiten Betriebsratsmitglieds ist es für Türker Baloglu, Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall Heidelberg, nicht getan. „Die Vorgänge bei SAP bringen die betriebliche Mitbestimmung in Misskredit und dürfen sich nicht wiederholen. Eine starke Gewerkschaft würde dieses Treiben beenden“, sagt er. „Die IG Metall setzt jetzt auf Zusammenarbeit, dazu müsste SAP mit der IG Metall kooperieren.“
Im Betriebsrat stellen Listen wie „Stark“ die Mehrheit, die keiner größeren Gewerkschaft nahestehen. Die IG Metall und Verdi haben nur einen kleinen Teil der Sitze im Gremium, das seit jeher umstritten ist. Bis heute sieht man bei SAP den Einfluss größerer Gewerkschaften kritisch. Selbst der Mitgründer und ehemalige Vorstandsvorsitzende Dietmar Hopp hatte sich einst gegen eine vermeintliche Fremdsteuerung gewehrt. „Ein von der IG Metall gesteuerter Betriebsrat widerspräche jeder Vernunft und passt nicht zur SAP-Kultur“, sagte er im Jahr 2006.
Vorwurf des Prozessbetrugs
Im März stehen in Walldorf die nächsten Betriebsratswahlen an. Viele erwarten, dass die jüngsten Ereignisse zum Wahlkampfthema gemacht werden. Kritiker des Gremiums dürften sich darin bestätigt sehen, dass sich die Mitglieder mehr um interne Konflikte kümmern statt um Sacharbeit.
Um den nun zurückgetretenen Arbeitnehmervertreter dürfte es jedenfalls weiterhin Wirbel geben. Er spielt nämlich auch in einer anderen Affäre mit: Die Staatsanwaltschaft Heidelberg prüft im Zusammenhang mit einer angeblich manipulierten Aufsichtsratswahl den Vorwurf des versuchten Prozessbetrugs. Deshalb war der Mann schon Anfang Juni auf Initiative von IG Metall, Verdi und anderer Gruppierungen als Vorsitzender des Konzernbetriebsrats abberufen worden.
Die Geschichte kurz erzählt: Der Prozess (Az: 2 O 17/16) hat die Frage aufgeworfen, ob der Mann an möglichen Manipulationen bei der Aufsichtsratswahl 2012 beteiligt gewesen war. Ein ehemaliges SAP-Aufsichtsratsmitglied hatte behauptet, den Funktionär bei der Abstimmung unterstützt zu haben, und forderte dafür ein Honorar von 500 000 Euro ein. Das Gericht sah eine mögliche Vereinbarung allerdings als nichtig an, weil sie gegen das Mitbestimmungsgesetz verstoßen würde. Danach darf eine Wahl nicht beeinflusst werden.
Die Frage ist, ob vorsätzlich die Unwahrheit gesagt wurde. Schließlich widersprachen sich die beiden Beteiligten vor Gericht in entscheidenden Punkten - vor allem bei der Frage, ob sie einen Vertrag geschlossen hatten.
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