Berlin. Der Wunsch nach einem eigenen Kind ist groß – doch der Weg dahin ist oft schwierig: In Deutschland leidet jedes zehnte Paar unter ungewollter Kinderlosigkeit. Die Lösung können Kinderwunschbehandlungen sein, sie sind aber nicht nur strapaziös, sondern auch teuer. Wer in Deutschland eine solche Behandlung machen möchte, muss je nach Methode und Dauer mit Kosten in Höhe von mehreren tausend bis zehntausend Euro rechnen.
Einige Paare mit unerfülltem Kinderwunsch können auf eine Unterstützung durch ihre Krankenkasse hoffen – jedoch längst nicht alle. Denn die Kassen übernehmen erst dann den Anteil von mindestens 50 Prozent, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Dazu gehört beispielsweise, dass das Paar heterosexuell und verheiratet ist und nur die eigenen Ei- beziehungsweise Samenzellen verwendet werden. Außerdem gelten Altersgrenzen – Frauen müssen zwischen 25 und 40 Jahre alt sein, Männer zwischen 25 und 50 Jahren.
Kinderwunschbehandlung
Auch von Bund und Ländern gibt es Unterstützung, allerdings ebenfalls nur unter bestimmten Bedingungen und nicht in allen Ländern. In jedem Fall gilt: Selbst wenn ein Paar eine finanzielle Förderung erhält, bleibt eine Kinderwunschbehandlung teuer.
Gleichzeitig wird es für Unternehmen immer schwieriger, gut ausgebildete Fachkräfte zu finden und zu halten. Viele Arbeitgeber haben mittlerweile erkannt, dass das nur mit familienfreundlichen Arbeitsbedingungen funktioniert – von attraktiven Teilzeitmodellen über Kinderbetreuung bis zu Väter-Programmen. Ein Unternehmen, das nun noch einen Schritt weitergeht, ist die internationale Unternehmensberatung Kearney: Sie bietet ihren Beschäftigten in Deutschland neben Zuschüssen für die Kinderbetreuung von bis zu 500 Euro pro Monat und vollem Lohn bei einer sechsmonatigen Auszeit nach der Geburt auch finanzielle Unterstützung für eine Kinderwunschbehandlung: Wer mindestens ein Jahr im Unternehmen ist, kann bis zu 40 000 Euro bekommen. Die Regelung gilt für sämtliche Beschäftigte in Europa – unabhängig von Geschlecht und Partnerschaftsform.
Teilzeitbeschäftigte müssen mindestens eine 60-Prozent-Stelle haben. Paare, die ein Kind adoptieren, können ebenfalls bis zu 40 000 Euro Hilfe bekommen. „Damit wollen wir unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch besser unterstützen und zu einem gesellschaftlichen Wandel beitragen“, sagt Marc Lakner, Kearney-Geschäftsführer in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Alles läuft komplett anonymisiert
Katharina Wrohlich, Leiterin der Forschungsgruppe Gender Economics am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), sieht bei der Hilfe zur Kinderwunschbehandlung Chancen, aber auch Risiken: „Für Unternehmen, die es sich leisten können, kann es sinnvoll sein, sich mit Zuschüssen für eine Kinderwunschbehandlung attraktiv zu machen.“ Der Wettbewerb um Fachkräfte sei hart, wer gut qualifizierte Frauen binden wolle, müsse sich etwas einfallen lassen. „40 000 Euro sind für ein Unternehmen nicht viel Geld – wenn man bedenkt, welche Kosten durch Mitarbeiterwechsel und unbesetzte Stellen anfallen können.“ Sie sei aber skeptisch, ob viele Mitarbeiterinnen ein solches Angebot annehmen: „Bislang hat es besonders Frauen nicht geholfen, wenn sie mit ihrem Arbeitgeber über ihren Kinderwunsch gesprochen haben.“
In Deutschland gibt es bisher kaum Unternehmen, die ihren Mitarbeitenden entsprechende Angebote machen. Ein Thema sei das vor allem bei großen amerikanischen Arbeitgebern, sagt Julia Reichert. Die ehemalige Unternehmensberaterin hat vor über einem Jahr das Unternehmen „Onuava“ gegründet, mit dem sie das Thema auch zu den deutschen Arbeitgebern bringen möchte. Über „Onuava“ können Betriebe ihren Mitarbeitenden sogenannte Fertility Benefits anbieten – von Informationen über Beratung bis hin zur Kostenübernahme. Die Plattform soll im Juli an den Start gehen. Der Vorteil: Alles läuft komplett anonymisiert. Der Arbeitgeber erfährt am Ende also nicht, wer die Angebote in Anspruch genommen hat. Fertility Benefits, da ist sich Reichert sicher, werden in den nächsten Jahren auch bei deutschen Arbeitgebern eine größere Rolle spielen: „Fast alle Unternehmen realisieren langsam, dass sie in puncto Vereinbarkeit und Familienfreundlichkeit mehr machen müssen und dies schließt auch die Phase der Familiengründung ein.“
Dass die deutschen Unternehmen jetzt massenweise nachziehen werden, erwartet DIW-Expertin Wrohlich allerdings nicht. Auf der Suche nach einem besonders familienfreundlichen Arbeitgeber spielten zudem viele andere Faktoren eine wichtige Rolle: „Zeitliche und örtliche Flexibilität zum Beispiel, oder auch die Frage, wie viele Mütter in Führungspositionen oder wie viele Väter in Elternzeit sind.“
Flexibilität am wichtigsten
Klar ist: Familienbewusste Personalarbeit in Unternehmen ist ein großes Thema. Das sagt auch Kirsten Frohnert, Leiterin des Projekts „Erfolgsfaktor Familie“, das Firmen bei der Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie unterstützt. „Alle Studien zeigen, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Bewerberinnen und Bewerber ein ganz zentrales Kriterium bei der Wahl des Arbeitgebers sind“, so die Expertin. Auch die Übernahme von Kinderwunschbehandlungen könnte im Sinne einer Fachkräftebindung ein Faktor sein. Die größten Themen in puncto Familienbewusstsein in Unternehmen seien derzeit jedoch Flexibilität bei Arbeitszeit und -ort und Angebote für die Kinderbetreuung.
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