Mannheim. Das Muster hält sich hartnäckig. Wenn in Deutschland ein Kind auf die Welt kommt, ist das im Berufsleben der Mutter auch 2024 noch oft eine Zäsur, ein gravierender Einschnitt, nach dem es deutlich anders weitergeht, als es vorher war. In der Berufslaufbahn des Vaters ändert sich in der Mehrheit der Fälle nach wie vor: nichts.
Dass in dieses zähe Gefüge trotz Elterngeld und anderen Instrumenten nur schwer Bewegung zu bringen ist, belegen Zahlen des Statistischen Bundesamts Jahr für Jahr. So lebten 2022 immer noch 65 Prozent der Paare mit zwei erwerbstätigen Elternteilen das traditionelle Modell, bei dem der Vater Vollzeit und die Mutter Teilzeit arbeitet.
Das waren zwar etwas weniger als 2005, als noch 69 Prozent der Paare diese Aufteilung wählten - aber der Wandel vollzieht sich schleppend. Entsprechend nimmt der Anteil der Paare, bei denen beide Elternteile Teilzeit arbeiten, nur langsam zu: Er lag 2005 bei 2,1 Prozent und ist bis 2022 auf gerade mal 4,9 Prozent gestiegen.
Roche zahlt eine Prämie
Wie kann man den Wandel also beschleunigen? Das haben sich vor einigen Jahren auch Mitarbeiterinnen am Mannheimer Standort des Pharmakonzerns Roche gefragt. „Wir haben damals gemerkt: Teilzeit ist auch bei uns im Unternehmen vor allem ein Frauen-Thema. Also haben wir überlegt, mit welchen Hebeln man das aufbrechen könnte“, erinnert sich Marie-Luise Stallecker, die bei Roche im Personalbereich arbeitet, an das Gespräch mit Kolleginnen in der Kaffeeküche. Aus dem Gedankenspiel entstand ein Pilotprojekt, das „ElternPlus“.
Kernidee: Beschäftigte, die in den ersten vier Lebensjahren ihres Kindes gleichzeitig mit dem Partner oder der Partnerin in vollzeitnahe Teilzeit gehen, werden mit einer Prämie belohnt - auch dann, wenn nur einer von beiden bei Roche arbeitet. „Wir wussten nicht, wie das angenommen wird, aber die Reaktion war überwältigend. Das hat hohe Wellen geschlagen“, sagt Stallecker heute. Die positive Resonanz auf das Angebot sei so groß gewesen, dass das „ElternPlus“ inzwischen um weitere drei Jahre verlängert worden ist.
So funktioniert das Programm
- „ElternPlus“ wurde 2021 bei Roche gestartet, zunächst als zweijähriges Pilotprojekt. Kürzlich ist es um weitere drei Jahre verlängert worden.
- Ziel ist es, mehr Paare dafür zu motivieren, sich die Sorge- und Berufsarbeit gleichberechtigter aufzuteilen.
- Konkret heißt das: Roche-Beschäftigte, die zur Betreuung ihres Kindes gleichzeitig mit dem Partner oder der Partnerin für mindestens ein Jahr in „vollzeitnaher Teilzeit“ arbeiten, bekommen vom Unternehmen eine einmalige Prämie. Tarif-Mitarbeitende erhalten 12 000 Euro, außertariflich Angestellte 15 000 Euro.
- Bedingung ist, dass die Arbeitszeit bei beiden Elternteilen zwischen 28 und 32 Stunden pro Woche liegt und das Jahr in die ersten vier Lebensjahre des Kindes fällt.
- Um die Prämie zu bekommen, reicht es, wenn ein Elternteil bei Roche angestellt ist und der andere Elternteil seine Arbeitszeit beim eigenen Arbeitgeber
174 Beschäftigte an den deutschen Roche-Standorten hätten das „ElternPlus“ in der Pilotphase gemeinsam mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin genutzt.
Seit Herbst kämen im Schnitt acht neue Anträge pro Monat dazu, sagt Linda Faht, die für die Umsetzung des Programms zuständig ist. Das entspreche rund zwölf Prozent der Berechtigten.
Am Ende gehe es aber nicht nur um die konkrete Zahl der Nutzerinnen und Nutzer bei Roche, sondern auch darum, insgesamt eine Kulturveränderung anzustoßen. „Wir wollen vor allem den Impuls dafür setzen, dass sich Eltern aufs Sofa setzen und überhaupt mal die Option diskutieren, sich Sorge- und Berufsarbeit gleichberechtigter aufzuteilen“, sagt Faht. Eine Evaluierung habe gezeigt, dass dies gelungen sei - selbst bei Paaren, die sich am Ende gegen das „ElternPlus“-Programm entschieden hätten.
Auch bei Sandra Schmitt und ihrem Mann war das „ElternPlus“ der Anstoß, sich die Arbeitszeit anders aufzuteilen als ursprünglich geplant. „Mir war nach der Geburt meiner Tochter klar, dass ich nach der Elternzeit nicht mit 40 Stunden pro Woche zurückkomme. Aber bei meinem Mann war Teilzeit nicht von Anfang an im Gespräch“, erzählt die Mannheimer Roche-Mitarbeiterin.
Der finanzielle Anreiz durch das „ElternPlus“ sei der Anlass gewesen, darüber nachzudenken. „Mein Mann hatte den Wunsch, mehr Zeit mit unserer Tochter zu verbringen, und sein Arbeitgeber - eine kleinere Firma - war offen für Teilzeit“, sagt Schmitt. Schließlich entschieden beide, für ein Jahr auf 70 Prozent zu reduzieren und sich abwechselnd um das Kind zu kümmern.
Ihrer eigenen Karriere habe die Entscheidung auf jeden Fall gutgetan, erzählt Schmitt. Vor der Geburt ihrer Tochter hatte sie bereits eine Führungsposition und ein Team im Bereich People & Culture, auf die sie nach der Elternzeit zurückkehrte. „Mit 70 Prozent war das möglich, aber mit weniger Stunden wäre es wahrscheinlich schwierig gewesen“, sagt sie heute.
Weil Schmitt und ihr Mann während der zwölf Monate merkten, dass die Aufteilung mit den beiden 70-Prozent-Stellen gut funktioniert, haben sie sich entschieden, das Modell auch nach dem „ElternPlus“-Jahr beizubehalten.
Schmitts Kollegin Irina Dieckmann erzählt, auch ihr Mann, der bei einem Dax-Konzern in der Region arbeitet, habe erst durch das „ElternPlus“ über Teilzeit nachgedacht. Dieckmann arbeitet am Roche-Standort Mannheim in der Produktentwicklung von Diabetes Care. Nach der Geburt ihres zweiten Kindes nahm sie sechs Monate Elternzeit und stieg dann erstmal mit sehr wenigen Stunden wieder ein.
Als nach einigen Monaten das „ElternPlus“ eingeführt wurde, wechselten sie und ihr Mann beide für ein Jahr auf 30 Stunden in der Woche. „Das war echt eine tolle Zeit, wir haben das sehr genossen“, sagt Dieckmann. Inzwischen arbeiten beide sogar wieder Vollzeit. „Wir haben ein Haus gebaut, deshalb gibt es einen gewissen finanziellen Druck. Gleichzeitig haben wir den Luxus, dass wir sehr viel Unterstützung von den Großeltern bekommen“, so Dieckmann.
Überhaupt sei für sie schon immer klar gewesen, dass ihre Karriere nicht mit den Kindern enden soll. „Ich habe viel Zeit und Geld in mein Studium gesteckt und will, dass dieses Investment weiter Früchte trägt - auch wenn ich Mutter bin“, sagt Dieckmann.
„ElternPlus“-Mitinitiatorin Marie-Luise Stallecker hofft unterdessen, dass das „ElternPlus“ auch über Roche hinaus immer weitere Kreise zieht - weil es über die beteiligten Elternteile, die nicht bei dem Konzern arbeiten, auch in andere Unternehmen hineinwirkt. „Auch da haben wir mit dem Programm sicher viele Gespräche angestoßen“, glaubt die Personalerin.
„Wir freuen uns, wenn sich die Wirkung von „DasElternPlus“ durch noch mehr Unterstützung in weiteren Unternehmen zukünftig ausweiten kann“, sagt sie.
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