Wirtschaftsgeschichte

Was wertlose Aktien über Mannheimer Firmen erzählen

An der Börse wertlos, aber historisch wertvoll: Reinhard Krämer sammelt alte Aktien und hat sich auf Mannheimer Firmen und Institutionen spezialisiert

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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Der pensionierte Mannheimer Kaufmann und Programmierer Reinhard Krämer hat rund 130 historische Wertpapiere zusammengetragen. © Privat

Mannheim. Historische Wertpapiere heißen auch „Nonvaleurs“, weil sie - abgesehen von kostbaren Sammlerraritäten - überwiegend als wertlos gelten und nicht mehr an der Börse gehandelt werden. Und dennoch sind sie kleine Schätze, die Geschichten über Branchen wie Betriebe erzählen. Und dies dekorativ illustriert. Der pensionierte Mannheimer Kaufmann und Programmierer Reinhard Krämer sammelt seit drei Jahrzehnten alte Wertpapiere und hat sich auf solche Aktien und Anleihen spezialisiert, die von Unternehmen, aber auch Institutionen der Quadratestadt stammen.

Für unser Treffen hat der 76-Jährige einen Teil seiner rund 130 zusammengetragenen Zertifikate auf dem Esstisch ausgebreitet. In der Mitte prangt sein ältestes Exemplar: die Aktie Nummer 2842, die am 1. Juni anno 1858 die Badische Zink-Gesellschaft über „Fünf Hundert Franken“ ausgegeben hat. Ins Auge springt der Hinweis „Anonyme Gesellschaft“ . Das mit Blumengirlanden umrahmte Wertpapier kündet davon, dass Zink als eines der am häufigsten in der Erdkruste vorkommenden natürlichen Elemente zu Beginn der Industrialisierung Karriere gemacht hat. Auch in unserer Region. Allerdings mit Höhen und Tiefen.

Eine Rarität aus der Fahrradstadt Mannheim: die Actie 333 der Sturm-Fahrradwerke aus dem Jahr 1898. © Waltraud Kirsch-Mayer

Die 1855 gegründete Badische Zink-Gesellschaft, die von den Mannheimer Brüdern Reinhard zwei Abbaugruben in Nußloch übernommen hatte, erfreute sich zunächst satter Gewinne. Dass sich dies schon bald dramatisch änderte, signalisierte das Herabsetzen des Kapitals von ursprünglich drei Millionen auf 300 000 Franken zwecks Ausgleich von Verlusten. Schon ein Jahr später, 1862, fielen die Aktien in den Keller. Und nach Ablauf einer Weiterverpachtung folgte die Liquidation samt Verkauf der Aktiva an die Rheinisch-Nassauische Bergwerks- und Hütten-AG. Die drei mit schwungvoller Unterschrift auf dem Zertifikat verewigten Herren vom „Verwaltungsrath“, damals noch mit „th“ am Ende geschrieben, würden vermutlich staunen, dass Zink als metallischer Tausendsassa heute nicht mehr wegzudenken ist - ob bei Dachabdeckungen auf dem Bau oder in Hightech-Batterien.

Lange vor Einführung der Börse gaben Industrielle Zertifikate aus

In der Sammlung des Mannheimer Pensionärs ist die Aktie der Badischen Zink-Gesellschaft gewissermaßen der Oldie. Freilich haben Wertpapiere schon deutlich früher begehrtes Kapital in die Kasse gespült. Schließlich finanzierten Industrielle ihre privaten Projekte lange vor Einführen der Börse mit der Ausgabe von unterschiedlichen Zertifikaten. Die 1602 gegründete Vereinigte Indische Compagnie gilt als erste Aktiengesellschaft. Es waren keineswegs Hasardeure, die solche Zertifikate kauften. Beispielsweise ist überliefert, dass Johann Wolfgang von Goethe als erfolgreicher Dichter und studierter Jurist auf dem Rohstoffmarkt mit einer Beteiligung am Ilmenauer Kupfer- und Silberbergwerk spekulierte.

Die weltweit erste Aktie stammt übrigens von der 1288 erstmals urkundlich erwähnten schwedischen Kupfermine „Stora Kopparbergs Bergslags Aktiebolag“ in Falun und repräsentierte einen Anteil von 12,5 Prozent. Hingegen sollte Überseehandel die erste deutsche Aktiengesellschaft mit dem etwas sperrigen Namen „Handels-Compagnie auf den Küsten von Guinea“ im März 1682 sozusagen vom Stapel lassen. Es galt damals, die beiden Schiffe „Morian“ und „Churprinz“ für Afrika-Expeditionen auszustatten.

Das Instrument der Aktie - sprachlich hergeleitet vom mittelniederdeutschen Wort „axie“ für „Anspruch” oder „Anrecht“ - haben auch Geldinstitute zur Beschaffung von Kapital genutzt. Reinhard Krämer besitzt auch eine „Inhaber-Actie“ der 1871 in Mannheim gegründeten Badischen Bank. Und darauf informiert ein roter Stempel, dass der Anteil von „Dreihundert- fünfzig Gulden“ oder „Zweihundert Thaler“ auf „Hundert Reichsmark“ umgestellt worden ist. Die mit badischem Staatswappen und weiblichen Schönheiten pompös gestaltete Jugendstil-Bordüre ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass einst Maler, Kupferstecher, Grafiker, Lithographen und Graveure beauftragt wurden, um Aktien als Sahnehäubchen künstlerischen Wert zu verleihen. Und so hat der Kunstgewerbler und Buchgestalter Ludwig Sütterlin, den wir vor allem mit der nach ihm benannten Schrift für Schreibanfänger in Verbindung bringen, anno 1895 das erste Zertifikat der Siemens-Halske AG gestaltet - und dies schon modern-schlicht.

Beim Blättern in der Wertpapier-Sammlung mit lokalem Bezug fällt auf: Nicht nur bekannte Unternehmen haben Aktien ausgegeben. Beispielsweise das Großkraftwerk Mannheim, das obendrein nach der Währungsreform 1948 eine der allersten Industrieanleihen aufgelegt hat - und zwar in Höhe von zehn Millionen Deutschen Mark, ausgestattet mit einer Bürgschaft des Landes Baden-Württemberg. Anteilszertifikate haben bei Geldnot auch solche Institutionen ausgegeben, die gar kein Betrieb im klassischen Sinne waren beziehungsweise sind. Dies gilt auch für die Kommune an Rhein und Neckar.

„Goldanleihe der Hauptstadt Mannheim in Baden“ prangt auf einer Schuldverschreibung über den Wert von Tausend Reichsmark ergänzt mit dem Hinweis „=358,42 g Feingold“ . Den „Achtprozenter“ unterschrieb am 1. April 1926 der seinerzeitige Oberbürgermeister Theodor Kutzer. Im gleichen Jahr hat auch die „Harmonie-Gesellschaft“ , die in der Kurpfalz älteste und bis heute bestehende kulturelle Vereinigung, Schuldscheine über jeweils hundert Reichsmark ausgegeben - „dinglich gesichert“ durch die Eintragung einer Grundschuld auf das Gesellschaftsgrundstück im Quadrat D2, 2-7, wie vermerkt ist.

Für die Sturm-Fahrradwerke kam das Aus 1901

Wenn Reinhard Krämer nach seinem Favoriten gefragt wird, zeigt er auf die Actie 333 der Sturm-Fahrradwerke über „Tausend Mark Reichswährung“ vom 1. April 1898 - denn die symbolisiere Mannheim als Fahrradstadt. In Reklameanzeigen rühmte die Fabrik am Neckarauer Übergang mit „Verkaufslokal“ im Quadrat M1 ihre „erstklassige Qualitätsmarke“ als „solide, leichtlaufend und elegant“. Dass der Mannheimer Karl Drais acht Jahrzehnte davor mit seiner Laufmaschine dem Fahrrad den Weg geebnet hatte, sollte freilich dem „Sturmrad“ kein Glück bringen. Schon im Februar 1901 kam die Vollbremsung verknüpft mit Liquidation.

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