Mannheim. Das Thema psychische Gesundheit nimmt an Relevanz deutlich zu. Wie eine Arbeitgeber-Studie der Techniker Krankenkasse zeigt, geben 38,5 Prozent der befragten Geschäftsführenden, Gesundheitsverantwortlichen und Personalerinnen und Personaler an, dass psychische Belastungen am Arbeitsplatz wie Burnout, Überforderung und Depressionen bereits jetzt eine große Bedeutung in ihren Unternehmen haben. Auf die Frage, welche Rolle psychische Erkrankungen in drei Jahren spielen werden, sagen das sogar 70 Prozent der Befragten.
Psychische Erkrankungen ein Tabu
Ein großes Problem ist, dass gerade psychische Erkrankungen wie Depressionen, Belastungsstörungen oder chronische Erschöpfung oft zu spät erkannt werden. Ein Grund ist, dass sie nach wie vor mit einem großen Tabu belegt sind.
Erste-Hilfe-Kurs für die seelische Gesundheit
Ein Erste-Hilfe-Kurs für die Seele soll dem entgegenwirken. „Mental Health First Aid“ nennt sich das Konzept, das in Australien entwickelt wurde und sich an Erste-Hilfe-Kursen für die körperliche Notfallversorgung orientiert. Michael Deuschle, Leitender Oberarzt am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim, wurde 2017 auf die Idee, Laien als erste Ansprechpartner bei psychischen Belastungen auszubilden, aufmerksam. Zwei Jahre später, Ende 2019, wurde die Organisation „MHFA Ersthelfer“ - in Anlehnung an das Englische Mental Health First Aid - mit Unterstützung der Dietmar Hopp Stiftung ins Leben gerufen.
Kurse in ganz Deutschland
Seitdem wird das Programm auch in Deutschland ausgerollt. MHFA Ersthelfer fungiert dabei als gemeinnützige Einrichtung für die Gesundheitsbildung, das ZI ist offizieller Träger der Lizenz, um Kurse in Deutschland anbieten sowie Instruktoren ausbilden zu können.
Erster Ansprechpartner im Unternehmen
Die Rolle der Mentalen Ersthelfer wird dabei ähnlich wie die Rolle von Ersthelfern bei körperlichen Notfällen gesehen: Sie sind weder Arzt noch Therapeut oder Diagnostiker, sondern sollen - weil sie entsprechend sensibilisiert wurden - erste Ansprechpartner und bestenfalls Brücke zur professionellen Hilfe sein. Die Kurse dauern zwölf Stunden und richten sich an Privatpersonen und Unternehmen. Inzwischen haben 250 Firmen in Deutschland Mitarbeitende zu Ersthelfern für psychische Gesundheit ausbilden lassen; insgesamt gibt es 20 000 Ersthelfende.
Pilotprojekt bei Roche in Mannheim
Auch in der Rhein-Neckar-Region wurde das Konzept implementiert, unter anderem von einigen Unternehmen. Eines davon ist Roche. Nachdem am Schweizer Standort bereits vor einigen Jahren Mentale Ersthelfer ausgebildet wurden, startete in Mannheim Anfang dieses Jahres ein Pilot. „Mit dem Angebot haben wir offene Türen eingerannt, selten hat ein Pilotprojekt so viel Zuspruch erfahren“, berichtet Roche-Werksärztin Doris Hetges.
Auch Führungsetage wird geschult
Geschult werde auf allen Ebenen, bis hoch zu den Führungskräften, insgesamt sind es bislang 50 Mitarbeiter. „Wir hoffen, mit unseren Mentalen Ersthelfern zur Entstigmatisierung seelischer Erkrankungen beizutragen“, sagt Hetges.
Mit ROGER ins Gespräch
So geht es in erster Linie darum, Kollegen ein offenes Ohr zu schenken. „Wir fallen nicht mit der Tür ins Haus, sondern hören erst einmal zu“, erklärt Mathias Meyer, Betriebsassistent Sicherheit, Gesundheit Umweltschutz und einer der Mentalen Ersthelfer bei Roche. Jemandem anzusprechen und unvoreingenommen zuzuhören, sei schon der erste Schritt. Das Prinzip, das dahintersteht, nennt sich „ROGER“: Reagiere und sprich an; kommuniziere offen; gib Unterstützung und Information; ermutige zur professionellen Hilfe; reaktiviere Ressourcen.
Das Konzept gilt als wissenschaftlich fundiert; laut MHFA Ersthelfer zeigen Untersuchungen, dass die Kurse nachweislich zu einer verbesserten Kenntnis über Erste Hilfe bei psychischen Problemen führen und dazu beitragen, Probleme der psychischen Gesundheit zu erkennen. Und das rechtzeitig.
Großer volkswirtschaftlicher Schaden
Denn am Ende geht es um viel Geld. Der volkswirtschaftliche Schaden auf Grund langer Ausfälle oder gar frühzeitiger Berentung ist enorm. 19 Prozent aller Arbeitsunfähigkeitstage entfallen inzwischen auf psychische Diagnosen. Und sind die Menschen erst einmal krank, fallen sie lange aus, im Schnitt 48 Tage. Manche kehren auch gar nicht zurück, werden erwerbsunfähig oder gehen in Rente - so verlieren die Unternehmen weiter Fachleute, die sie eigentlich dringend benötigen.
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