Schreibgeräte

Warum der Heidelberger Füllerhersteller Lamy jetzt Software entwickelt

Mit einem firmeneigenen Startup in Berlin will das Heidelberger Familienunternehmen Lamy neue Geschäftsfelder erschließen. Um Stifte soll es dabei explizit nicht gehen

Von 
Tatjana Junker
Lesedauer: 
Steffen Rübke (l.) und Peter Utsch in der Lamy-Produktion am Stammsitz Heidelberg. Hier werden nicht nur alle Füller, sondern auch Tinte und Patronen hergestellt. © Rothe

Heidelberg. Herr Rübke, bevor Sie zu Lamy kamen, waren Sie Geschäftsführer bei einem Reiseführer-Verlag. Haben Sie in Heidelberg schon eine Sehenswürdigkeit entdeckt, die Sie nicht kannten?

Steffen Rübke: Ich wohne noch in Stuttgart, bin also noch dabei, mich in Heidelberg zu orientieren. Meine Frau hat hier allerdings studiert, und im Sommer werden wir sicher mehr Zeit damit verbringen, uns die neue Heimat zu erschließen. Die Dynamik der Stadt gefällt mir bis jetzt sehr gut, ich mag die Mischung aus Tradition, den schönen alten Gebäuden und dem jungen, studentischen Flair.

Haben das Reiseführer- und das Füllergeschäft denn etwas gemeinsam?

Rübke: Ich mag an beiden ihre Mittelstandsprägung. Sowohl mein vorheriger Arbeitgeber MairDumont als auch Lamy sind sehr stark von ihren Gründern geprägt worden und haben eine ganz andere Handschrift als die großen Konsumgüterunternehmen, bei denen ich vorher war. Diesen familiären Aspekt schätze ich sehr und auch das Wirtschaften, das eher auf nachhaltiges Wachstum angelegt ist - und nicht auf Quartalsziele und schnellen Umsatzzuwachs.

Von schnellem Umsatzwachstum konnte bei Lamy zuletzt in der Tat nicht die Rede sein. Im Gegenteil: Zwischen 2017 und 2020 - das sind die aktuellsten öffentlich zugänglichen Zahlen - hat sich der Umsatz fast halbiert. Was ist da los?

Peter Utsch: 2020 war das Corona-Jahr. Das war eine Herausforderung für unsere Partner im stationären Handel, denken Sie an die Lockdowns. Auch auf Zuliefererseite und in der Logistik war die Lage schwierig. Unser Fokus lag darauf, lieferfähig zu bleiben, das ist uns gelungen. Aber natürlich war das für uns ein hartes Jahr, wie für alle Schreibgerätehersteller.

Auch ein vor einigen Jahren eingeleiteter Strategiewechsel hat Lamy Umsatz gekostet. Während der frühere Chef Bernhard Rösner stark auf Expansion setzte, liegt der Fokus inzwischen auf einer Premium-Strategie. Warum?

Rübke: Weil uns nachhaltiges Wachstum wichtiger ist als schnelles - und dafür haben wir bei der Familie Lamy vollen Rückhalt. In früheren Zeiten hat man eine gigantische Vertriebsleistung erbracht, indem man sehr schnell in sehr viele Länder expandiert hat. Das muss man aber erst einmal managen: Lamy ist ja kein Weltkonzern mit einem riesigen Stab, der sich um so etwas kümmert. Und auch die Fertigung muss hinterherkommen - wir beliefern von Heidelberg aus mehr als 80 Länder.

Utsch: Wir mussten auch bei der Auswahl der Vertriebspartner im Nachhinein schauen: Entspricht die Art, wie unsere Produkte dort präsentiert werden, wirklich dem Anspruch einer Premiummarke? Teilweise kamen wir zu dem Entschluss, dass wir in bestimmten Bereichen und auf eine bestimmte Art eben nicht präsent sein wollen. Das kostet vielleicht erst einmal Umsatz, stärkt aber die Marke.

Wir haben letztes Jahr das größte Innovations- und Investitionsprogramm der Firmengeschichte gestartet.
Peter Utsch COO/CFO Lamy

Wie hat sich der Umsatz denn seit 2020 entwickelt?

Utsch: Wir nennen dazu keine Zahlen. Aber wir wachsen definitiv gesund.

Rübke: Um es klar zu sagen: Wir könnten in kürzester Zeit deutlich mehr Umsatz machen. Aber es geht uns nicht darum, so schnell wie möglich eine bestimmte Zahl zu erreichen. Vielmehr ist es eine bewusste, strategische Entscheidung, den Fokus aktuell auf andere Dinge zu legen, unter anderem auf die Entwicklung neuer Geschäftsfelder. Das ist erst einmal ein Riesen-Invest, das Ressourcen und Kapazitäten bindet.

Das „Manager Magazin“ hat Lamy neulich als drohenden Sanierungsfall bezeichnet...

Utsch: Das ist nicht nachvollziehbar. Lamy ist alles andere als ein Sanierungsfall. Wir haben letztes Jahr das größte Innovations- und Investitionsprogramm der Firmengeschichte gestartet. Das könnten wir nicht annähernd auf die Beine stellen, wenn unsere Situation in so eine Richtung ginge.

Sie planen also auch kein Sparprogramm und keinen Stellenabbau, um die Kosten an die gesunkenen Umsätze anzupassen?

Utsch: Auf keinen Fall. Wir haben in Heidelberg rund 350 Mitarbeiter - das ist eine sehr gesunde Größe für uns. Es kann sein, dass sich Jobprofile ändern oder dass wir eine Stelle anders nachbesetzen, wenn jemand in Rente geht. Aber nachbesetzt wird auf jeden Fall. Im Moment haben wir sehr viele Ausschreibungen, sowohl in der Verwaltung als auch in der Fertigung.

Mehr zum Thema

Personal

Heidelberger Unternehmen Lamy bekommt neuen Vorsitzenden der Geschäftsführung

Veröffentlicht
Von
Till Börner
Mehr erfahren
Nachruf

Langjähriger Lamy-Chef tot

Veröffentlicht
Von
dpa/jor (Bild: dpa)
Mehr erfahren
Füllerhersteller

Lamy plant Erweiterung in Heidelberg

Veröffentlicht
Von
tat
Mehr erfahren

Sie haben eben gesagt, Sie stecken im größten Investitionsprogramm der Firmengeschichte. Über welche Summen sprechen wir denn da?

Utsch: Wir nennen keine konkreten Summen. Die Investitionen bewegen sich aber für letztes, dieses und nächstes Jahr jeweils im zweistelligen Millionenbereich.

Und in was fließt das Geld?

Utsch: Das ist sehr breit gefächert. In der Fertigung investieren wir in die Modernisierung der Anlagen und unserer Werkzeuge. Hierbei erneuern wir nicht nur, sondern stellen auch beispielsweise auf energieeffizientere Verfahren um oder vernetzen die Anlagen miteinander. Wir investieren außerdem in den Werkzeugbau und vereinzelt sogar in Robotik, um Arbeitsabläufe außerhalb der Manufaktur zu vereinfachen. Dies sind alles Investitionen in den Standort und die Arbeitsplätze hier vor Ort. Weitere Mittel fließen in die Entwicklung neuer digitaler und analoger Produkte und in unseren Innovationsspot NEO66. . .

. . . Ihr firmeneigenes Start-up in Berlin, das Innovationen abseits von Stiften entwickeln soll. Was kann ich mir darunter vorstellen?

Rübke: Wir sprechen von unseren Produkten seit geraumer Zeit als „thinking tools“. Und auch die Innovationen, die unser Start-up entwickelt, sind Denkwerkzeuge, die uns beim Entwickeln von Ideen und Lösungen unterstützen: Das Team in Berlin hat zum Beispiel „kõno“ entwickelt - eine Software, die hilft, den Arbeitsalltag kreativer und effizienter zu organisieren. Eine erste Version ist bereits draußen und wird mit einer Community getestet. Die Aufgabe der nächsten Monate wird sein, daraus ein attraktives Lamy-Produkt zu entwickeln.

Das Familienunternehmen Lamy produziert seine Schreibgeräte ausschließlich am Stammsitz in Heidelberg. © keiper

Sie entwickeln Software und verkaufen digitale Schreibgeräte. Wie wichtig ist das Geschäft mit klassischen Füllern und Kugelschreibern noch?

Rübke: Das ist nach wie vor unser Kerngeschäft und soll es auch bleiben. Deshalb investieren wir weiter in neue, analoge Schreibgeräte und bringen jedes Jahr Sondereditionen auf den Markt. Das Geschäft mit digitalen Schreibgeräten - also zum Beispiel unserem Smartpen - ist eine Ergänzung. Wir rechnen mit einem Umsatzanteil von zehn bis 15 Prozent.

Da sind Sie aber noch nicht?

Rübke: Nein, das ist unser Ziel. Im Moment schauen wir, mit welchen Produkten und Technologien wir im digitalen Bereich künftig aktiv sein wollen. Das geht nicht von heute auf morgen. Es muss zum Beispiel immer sichergestellt sein, dass der digitale Stift zu einem bestimmten Tablet oder elektronischen Gerät passt - das ist ja kein Kugelschreiber, der auf jedem Papier schreibt. In einigen Ländern müssen wir außerdem neue Vertriebskanäle für die digitalen Produkte erschließen.

Lamy hat doch international schon ein großes Vertriebsnetz.

Rübke: Das stimmt. Aber nicht jede Verkaufsstelle und nicht jeder Händler kann einen Smartpen verkaufen. Das ist kein schnelles, selbsterklärendes Produkt, das ich einfach ins Regal stelle. Es muss auch klar sein, wohin sich der Kunde bei Fragen und Problemen wenden kann. Da muss man also selektiv vorgehen. In China verkaufen wir digitale Schreibgeräte bisher nur im B2B-Bereich, also an Firmenkunden. In Deutschland haben wir Unternehmen und Endverbraucher im Blick. Das fängt schon in der Schule an - denken Sie an die Tablet-Klassen, die es immer häufiger gibt.

Neuer CEO seit 2022

  • Steffen Rübke ist seit Februar 2022 Vorsitzender der Geschäftsführung bei Lamy in Heidelberg.
  • Zuvor war er beim Reiseführerverlag MairDumont in Ostfildern als Geschäftsführer für Vertrieb und Marketing verantwortlich.
  • In der Vergangenheit arbeitete Rübke außerdem auf verschiedenen Positionen für Konsumgüterhersteller wie Procter&Gamble und Henkel.
  • Peter Utsch ist seit 2018 Mitglied der Geschäftsleitung bei Lamy. Als COO/CFO verantwortet er u.a. die Bereiche Produktion und Finanzen.
  • Das Familienunternehmen hat am Stammsitz Heidelberg nach eigenen Angaben rund 350 Mitarbeitende.
  • Im Jahr 2020 – aktuellere Daten liegen nicht öffentlich vor – lag der Umsatz von Lamy bei rund 78 Mio. Euro (2019: rund 108 Mio. Euro). Das EBIT betrug 14,8 Mio. Euro (2019: 32,4 Mio. Euro). tat

Ihr wichtigster Markt außerhalb Deutschlands ist China. Sind dort andere Stifte gefragt als bei uns?

Rübke: In China sind wir bisher sehr stark als Premium-Lifestyle-Marke positioniert. Wir haben dort mehr als 100 Mono-Brand-Stores und sind vor allem in Shopping-Malls präsent. Wir haben lange überlegt, über welchen Vertriebsweg wir den Schulbereich dort entwickeln können. Jetzt haben wir mit unserem Partner eine Lösung gefunden und starten in China mit unserem Lamy abc Füllhalter für Schulkinder.

Utsch: Lamy ist generell stark in Ländern, in denen Handschrift ein hohes Gut ist. Außer China sind das zum Beispiel Japan, Korea und andere asiatische Märkte. Dort sind bei den Füllern teilweise deutlich feinere Federn gefragt als in Europa. Außerdem wird dort tendenziell eher mit schwarzer als mit blauer Tinte geschrieben.

Zurück zum Stammsitz Heidelberg: Lamy ist nach einem Streit mit der IG Metall vor einigen Jahren aus dem Tarifverbund ausgetreten. Die Geschäftsführung hat damals versprochen, künftig mindestens die Gehaltssteigerungen an die Belegschaft weiterzugeben, die für die Metallbranche in Baden-Württemberg vereinbart werden. Halten Sie das Versprechen?

Utsch: Definitiv. „Mindestens“ bedeutet ja gleich viel Gehaltssteigerungen und Einmalzahlungen oder sogar mehr. Wir haben einen starken Betriebsrat, und gemeinsam haben wir dieses Versprechen gehalten.

Das heißt, Sie haben - wie im Tarifabschluss vorgesehen - Ende Februar auch die erste Hälfte der 3000 Euro hohen Inflationsprämie ausbezahlt?

Utsch: Die Inflationsprämie wird in voller Höhe von 3000 Euro kommen, das hat der Betriebsrat gemeinsam mit uns jetzt Anfang April der Belegschaft verkündet. Wir werden wie im Tarifabschluss vorgesehen in diesem wie im nächsten Jahr jeweils die Hälfte der 3000 Euro auszahlen. Wir sind zeitlich mit unseren Verhandlungen etwas versetzt, daher erfolgt die erste Auszahlung jetzt im April.

Redaktion Wirtschaftsreporterin

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen