Mannheim. Zwei Wirtschaftsmächte – zwei Geschwindigkeiten. 1970 herrschte in China und Indien noch große Armut, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der zwei Nachbarstaaten war dementsprechend niedrig. Heute ist China die zweitgrößte Wirtschaftskraft der Welt und hat den Rivalen Indien abgehängt. Die Zahlen lügen nicht. Das BIP lag 2024 in China pro Kopf bei rund 13.000 Dollar, also fünfmal so hoch wie das Indien mit knapp 2.700 Dollar.
China und Indien verfolgen unterschiedliche Bildungsstrategien
Woran liegt das? An den unterschiedlichen Bildungsstrategien der beider Länder. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls eine Studie des ZEW Mannheim mit der New York University in Abu Dhabi. „In China lag seit den 1950ern der Schwerpunkt auf der Primär- und Sekundärbildung und den dadurch vermittelten Fähigkeiten wie Lesen, Schreiben und Grundrechnen“, sagt ZEW-Mitarbeiter Li Yang. Anders dagegen die Strategie in Indien: Als ehemalige britische Kolonie konzentrierte sich das Land demnach auf die akademische Bildung.
Und das hat Konsequenzen. „Während China in der Breite der Bevölkerung grundlegende Kompetenzen förderte, die für die wirtschaftliche Entwicklung wichtig sind, war das in Indien anders. Dort entstanden einerseits Bildungseliten und andererseits auch große bildungsferne Schichten“, so der ZEW Forscher.
Chinas Ansatz der Bildungspolitik ging bereits seit den 1950er Jahren in die Breite statt in die Spitze. Die Studie zeigt, dass die Priorisierung der Grund- und Sekundarschulbildung zu einer höheren Alphabetisierungsrate und einem größeren Anteil an Berufsgruppen wie Ingenieuren oder Facharbeiterinnen führte. Diese Strategie ermöglichte es China, die Vorteile des exportorientierten Wachstums im verarbeitenden Gewerbe zu nutzen.
Indien fördert Hochschulen auf Kosten der Grundschulbildung
Im Gegensatz dazu verfolgte Indien einen Ansatz, der Hochschulen auf Kosten der Grundschulbildung förderte. Dies führte zu einer geringeren Alphabetisierungsrate und einem höheren Anteil an Hochschulabsolventen in den Geistes-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften. Deshalb konzentrierte sich Indiens Wirtschaftswachstum auf den Dienstleistungssektor.
„Im Gegensatz zum chinesischen Bildungssystem führte der indische Ansatz zu einer höheren Bildungs- und Lohnungleichheit“, sagt der ZEW-Wissenschaftler. Das wiederum hemmt die wirtschaftliche Entwicklung in einem hohen Ausmaß. „Obwohl Indien insgesamt einen höheren Anteil an Hochschulabschlüssen aufweist, kämpft das Land nach wie vor mit einer hohen Analphabetenquote. Das erschwert den strukturellen Wandel, da viele Menschen im wenig produktiven Agrarsektor verbleiben“, sagt Yang.
„Die unterschiedlichen Ansätze in der Bildungspolitik haben historische Wurzeln“, erklärt der ZEW-Wissenschaftler. „Chinas Qing-Dynastie konzentrierte sich im späten 19. Jahrhundert auf die Vermittlung von beruflichen Fähigkeiten, während die britischen Kolonialherren in Indien ein Schulsystem zur Ausbildung von Verwaltungsangestellten einführten“, umreißt Yang die historischen Hintergründe.
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