Mannheim. Betriebsvereinbarung, Konzernbetriebsvereinbarung. Betriebsübung, Betriebstreue, sachliche Differenzierung. Fast anderthalb Stunden streiten sich Anwälte und Kläger am Donnerstagnachmittag vor dem Arbeitsgericht Mannheim über Regelungen und juristische Begriffe. Sitzungssaal 4 platzt aus allen Nähten, einige der Anwesenden müssen sogar stehen.
Im Kern geht es um die Frage: Haben Vorruheständler bei SAP Anspruch auf die gleichen Gehaltserhöhungen und Prämien wie Beschäftigte, die noch arbeiten? Rund 30 Klagen von Vorruheständlern liegen vor - verteilt auf verschiedene Kammern. Vom „Masseverfahren SAP“ ist die Rede.
Einige Gütetermine hat es schon gegeben. Allerdings ohne Ergebnis. Es sieht auch nicht nach einer schnellen Lösung aus. Richter Ralf Büschler hat daher einen Kammertermin angesetzt, bei dem er sich alle Verfahren anschauen will, die der achten Kammer zugewiesen sind. 16 an der Zahl.
Die Verhandlung vor dem Arbeitsgericht ist voller Emotionen, immer wieder gibt es Zwischenrufe oder gar Gelächter, wenn SAP-Rechtsanwältin Barbara Reinhard den Standpunkt des Walldorfer Softwareherstellers klar macht.
Doch von vorne. Die Kläger sind SAP-Beschäftigte, die Angebote zum Vorruhestand angenommen haben. Solche Angebote gab es beim Konzern in den vergangenen Jahren öfter, um zu sparen und die Belegschaft umzubauen. Bislang galten die finanziellen Bedingungen immer als großzügig. In diesem Fall geht es um das SAP-Vorruhestandsprogramm von 2019. Das Paket hat für jeden Beschäftigten - nach den Angaben vor Gericht - ein Volumen von rund einer halben Million Euro.
Gestörtes Vertrauensverhältnis
So erhalten Vorruheständler nicht nur ein gutes Einkommen, sondern auch Gehaltserhöhungen, die für die arbeitende Belegschaft vereinbart worden sind - wenigstens die sogenannte Strukturerhöhung. Sie steht grundsätzlich allen zu und ist unabhängig von der Leistung.
Für das Jahr 2023 bekommen Vorruheständler aber nur die halbe Strukturerhöhung, das heißt 0,74 statt 1,48 Prozent. Auch die Inflationsausgleichsprämie von 1500 Euro fällt für sie flach. Dagegen wehren sich die Vorruheständler nun und klagen gegen Europas größten Softwarekonzern.
Vor Gericht wollen die Kläger den Eindruck vermitteln: Es geht nicht nur um das Finanzielle. Keiner will als Bittsteller dastehen. Vielmehr ist von einem gestörten Vertrauensverhältnis zu SAP die Rede. Von wenig Güte des Arbeitgebers in bisherigen Güteterminen. Von einer Spaltung der Belegschaft in aktive und passive Mitarbeiter. Und von einem ersten „Probelauf“, die leistungsunabhängige Strukturerhöhung komplett abzuschaffen.
Anwalt Matthias Helmke, der mehrere Kläger vertritt, erklärt: Die Vorruheständler fühlten sich hintergangen und falsch behandelt. In den vergangenen Jahren habe SAP die Strukturerhöhung immer für beide Gruppen komplett gezahlt - nun, für 2023, nicht mehr. Dabei sei in sämtlichen Verhandlungen immer von einer Strukturerhöhung die Rede gewesen. Und nicht davon, dass Vorruheständler lediglich die Hälfte bekommen sollen.
SAP-Manager hebelten schriftliche und jahrelang praktizierte Zusagen aus, ist der Tenor im Sitzungssaal. Manch einer spricht sogar von nicht eingehaltener Vertragstreue. Das Arbeitsverhältnis der Klägerinnen und Kläger dauert noch ein paar Jahre (im längsten Fall bis 2032), bis sie dann endgültig ausscheiden. Sie hätten die Angst, dass ihr Wert immer weiter abnehme.
Die Anwältin von SAP verteidigt das Vorgehen des Konzerns. Aus den bisherigen Regelungen ergebe sich nicht, dass die komplette Zahlung auch für die Zukunft verbindlich sei, sagt Reinhard. Sie werde jedes Jahr auf Grundlage eines bestimmten Budgets neu verhandelt. Die Vorruheständler könnten sich nicht auf einen Rechtsanspruch berufen. Zudem gibt sie zu bedenken: Es gehe um eine Verteuerung der Leistung der Beschäftigten, die noch arbeiten. Und nicht rückwärtsgewandt um mehr Geld für eine bereits erbrachte Arbeitsleistung wie bei den Vorruheständlern. Der Klägerseite wirft sie vor, Aufhebens wegen 0,74 Prozent zu machen und erinnert an den „goldenen Handschlag“, den die Vorruheständler bekommen hätten.
Verkündungstermin Mitte Februar
Die Kammer zieht sich zur Beratung zurück. Nach ein paar Minuten steht fest: Am 15. Februar ist ein Verkündungstermin geplant. „Wir wollen uns das alles noch einmal in Ruhe anschauen“, sagt Richter Büschler. Es gebe viele Schriftsätze, die Anwältinnen und Anwälte seien sehr fleißig gewesen.
Schon in den nächsten Tagen stehen weitere Termine in der Sache an, dann in anderen Kammern. Jede Kammer kann theoretisch für sich entscheiden und muss sich nicht nach einer anderen richten. Betriebsübung, Betriebstreue, sachliche Differenzierung - Begriffe, die in den Sälen des Arbeitsgerichts noch lange zu hören sein werden.
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