Mannheim. Boris Palmer war mal wieder besonders mutig: Als einziger Oberbürgermeister im Land hat sich der Tübinger schon festgelegt, dass die Universitätsstadt den Hebesatz der Grundsteuer 2025 auf etwa 300 Prozent halbiert. Derzeit hat sie mit 660 Prozent den höchsten Satz aller Städte in Baden-Württemberg. Das heißt allerdings nicht, dass alle Hausbesitzer und Mieter im nächsten Jahr weniger zahlen müssen.
Denn durch die Reform der Grundsteuer, die dann in Kraft tritt, werden die Karten völlig neu gemischt. Zwar sollen die einzelnen Kommunen nicht mehr einnehmen wie bisher, hat zumindest die Politik versprochen. Aber für das einzelne Gebäude kann es erhebliche Änderungen geben, nach unten wie nach oben. Die meisten haben auch bereits die ersten Bescheide. Aber erst, wenn ihre Kommune den neuen Hebesatz festlegt, können sie ausrechnen, was auf sie zukommt.
Warum wird die Grundsteuer reformiert?
Das Bundesverfassungsgericht entschied 2018, dass das bisherige Berechnungsverfahren spätestens ab 2025 nicht mehr angewandt werden darf. Denn es basierte auf völlig veralteten „Einheitswerten“ der Grundstücke von 1964, in Ostdeutschland sogar von 1935. Daraufhin hat der Bundestag 2019 ein neues Verfahren beschlossen. Allerdings können die einzelnen Bundesländer auch eigene Berechnungsweisen entwickeln. Es bleibt aber immer bei einem dreistufigen Verfahren: Erst berechnen die Finanzämter den Grundsteuerwert des Grundstücks, eine Art pauschalierter Kaufpreis, und auf dieser Basis den Steuermessbetrag. Diesen multipliziert dann die jeweilige Stadt oder Gemeinde mit ihrem Hebesatz.
Wie wird die Grundsteuer in Baden-Württemberg künftig berechnet?
Das Land hat die Möglichkeit genutzt, ein eigenes Verfahren einzuführen. Es soll besonders einfach sein, weil nur zwei Faktoren berücksichtigt werden: die Grundstücksgröße und der Bodenrichtwert. Dies ist ein amtlich festgestellter Wert pro Quadratmeter am 1. Januar 2022 in einem bestimmten Gebiet, den unabhängige Gutachterausschüsse der Kommunen ermittelt haben. Auf die Bebauung kommt es nicht an. Es spielt also keine Rolle, ob auf dem Grundstück ein renovierungsbedürftiges Einfamilienhaus oder ein mehrgeschossiges neues Luxusappartementhaus steht.
Vorteil: Grundstücke in einer teuren Gegend werden höher besteuert. Zudem werde eine effiziente Bebauung gefördert, betont das Stuttgarter Finanzministerium. Nachteil: Ein- und Zweifamilienhäuser kommen tendenziell schlechter weg. Nach langem Anlauf liegen den Finanzämtern inzwischen rund 5,4 Millionen Erklärungen vor. Fünf Prozent fehlen noch. Rund 85 Prozent der Grundstückseigentümer haben den Wert- und Messbescheid erhalten. Hierauf den alten Hebesatz anzuwenden, bringt allerdings wenig.
Wann werden die Hebesätze festgelegt?
Jetzt sind die einzelnen Städte und Gemeinden am Zug. Auf Vorschlag der Verwaltung muss ihn der Stadt- beziehungsweise Gemeinderat beschließen. Auf dieser Basis muss dann die Kommune allen Hausbesitzern einen neuen Grundsteuerbescheid zuschicken. Vor den Kommunalwahlen am 9. Juni dürfte nichts passieren, ist sich Andreas Paul, Geschäftsführer des Eigentümerverbands Haus & Grund in Mannheim, mit anderen Experten einig. Es wird also wohl Herbst werden.
Zudem müssen genug Messbescheide vorliegen, um ausrechnen zu können, welcher Hebesatz für eine aufkommensneutrale Reform nötig ist, und zwar auch für Gewerbegrundstücke. Denn auch die werden neu bewertet. Da die Bebauung keine Rolle spielt, könnte für sie die Belastung sinken. Von der Stadt Mannheim beispielsweise heißt es, der Versand der Bescheide sei für Januar 2025 geplant. Zeit haben die Kommunen im Prinzip bis Ende Juni nächsten Jahres, wenn sie den Hebesatz senken wollen sogar noch länger. Allerdings können sie ohne neue Bescheide am 15. Februar 2025 nicht die erste Rate einziehen.
Mit welchen Hebesätzen ist zu rechnen?
Eine Zahl hat bisher nur Tübingen genannt. Es dürfte eine sehr viel größere Spreizung geben als bisher, erwartet Susanne Nusser, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Städtetags Baden-Württemberg. Sie hält eine Spanne von 100 bis 3000 Prozent für möglich. In kleineren Gemeinden seien extrem hohe vierstellige Prozentzahlen denkbar, weil die Bodenrichtwerte sehr niedrig ausfallen. Umgekehrt könnten größere Städte mit niedrigeren Hebesätzen auskommen als heute.
Zweitwichtigste Steuer
- Für Städte und Gemeinden ist die Grundsteuer die zweitwichtigste Einnahmequelle, auf deren Höhe sie über den Hebesatz selbst Einfluss haben.
- 2022 brachte sie allein in Baden-Württemberg 1,9 Milliarden Euro Einnahmen, 2,3 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Bundesweit waren es fast 15 Milliarden Euro.
- Nur die Gewerbesteuer ist noch deutlich einträglicher: Allein die Kommunen im Land nahmen 9,9 Milliarden Euro ein. Allerdings ist ihr Aufkommen sehr konjunkturabhängig, und Orte mit wenigen oder schwachen Firmen sind arm dran. Dagegen fällt das Grundsteuer-Aufkommen recht stabil aus.
Wird die Reform tatsächlich aufkommensneutral?
Es ist die spannende Frage, ob die einzelnen Kommunen dieses Versprechen der Politik einhalten. Alle seien sich der Brisanz und Sensibilität des Themas bewusst, so Nusser. „Die Bürger werden das sehr genau beobachten.“ Allerdings gebe es Kommunen, die gezwungen seien, höhere Einnahmen aus der Grundsteuer zu erzielen, weil sie sonst keinen ausgeglichenen Haushalt aufstellen könnten. Schon im ersten Halbjahr 2023 hatten 87 der 1101 Kommunen im Land ihre Hebesätze erhöht.
Was bedeutet das für mein Haus oder meine Wohnung?
Klar ist: Mancher wird weniger zahlen als bisher, andere mehr. Das war schon das Ziel des Verfassungsgerichts, weil für vergleichbare Immobilien ganz unterschiedliche Beträge möglich sind. Da in Baden-Württemberg nur der Wert des Grundstücks von Bedeutung ist, dürften Besitzer von Ein- und Zweifamilienhäusern tendenziell mehr zahlen müssen als bisher. Für größere Häuser mit Miet- und Eigentumswohnungen dürfte die Belastung eher sinken, weil sich die Grundstücksfläche auf mehr Wohnfläche verteilt.
Kann ich mich gegen eine Erhöhung wehren?
Stichtag für die neuen Grundwerte ist der 1. Januar 2022. Seither seien die Immobilienpreise gesunken, bemängeln Kritiker. Auch gebe es Grundstücke, die fünfstellige Beträge wert sein sollen, obwohl es ein komplettes Bebauungsverbot gebe, berichtet der Vorsitzende des Steuerzahlerbunds im Land, Eike Möller. Im Prinzip ist es möglich, mit einem Wertgutachten eine Reduzierung zu erreichen – allerdings nur, wenn eine Abweichung vom Bodenrichtwert von mindestens 30 Prozent ermittelt wird. Zudem muss es der Grundstückseigner auf jeden Fall selbst zahlen. Daneben hat der Steuerzahlerbund Musterklagen angestrengt. Bis über sie entschieden wird, dürfte allerdings Jahre dauern, und rückwirkend dürfte es kaum Rückzahlungen geben.
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Was passiert bei der Grundsteuer in Rheinland-Pfalz?
Warum die Hebesätze zwischen den Bundesländern künftig nicht mehr vergleichbar sind, zeigt der Blick auf die linke Rheinseite: Rheinland-Pfalz hat sich wie zehn andere Länder für das Bundesmodell entschieden. Berücksichtigt werden nicht nur Grundstücksgröße und Bodenrichtwert, sondern auch das Alter des Gebäudes und eine statistisch ermittelte Nettokaltmiete. Daher kommt bei der Berechnung eines aufkommensneutralen Hebesatzes ein ganz anderes Ergebnis heraus als in Baden-Württemberg. Wann etwa die Stadt Ludwigshafen einen Vorschlag für den neuen Hebesatz machen will, legt sie sich noch nicht fest – die notwendigen Grundlagen lägen noch nicht vor. Auch ob er niedriger oder höher ausfällt als bisher, ist offen.
Und was wird in Hessen passieren?
In der Metropolregion werden drei unterschiedliche Modelle angewandt. Denn auch Hessen hat sich für ein eigenes entschieden. Dabei wird neben der Grundstücks- auch die Wohnfläche berücksichtigt. Hinzu kommt, wie sich der Bodenrichtwert des Grundstücks im Vergleich zum durchschnittlichen Wert der Kommune darstellt. Den Hebesatz werden die Kommunen im zweiten Halbjahr 2024 festlegen, erwartet das hessische Finanzministerium. Es will ihnen dafür eine Empfehlung für einen aufkommensneutralen Wert geben.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Bei der Grundsteuer sitzen die Kommunen am längeren Hebel