Finanzexpertin Alexandra Niessen-Ruenzi erklärt, warum Frauen in Aktien investieren sollen

Für viele in Teilzeit tätige Frauen ist Altersarmut programmiert. Finanzexpertin Alexandra Niessen-Ruenzi erklärt, warum Frauen am Aktienmarkt investieren sollten – und wieso viele sich davor scheuen

Von 
Ilgin Seren Evisen
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Unter anderem weil sie generell risikoscheuer als Männer sind, lassen viele Frauen ihr Erspartes auf dem Girokonto liegen – wo es nicht selten von der Inflation aufgefressen wird. © Arne Immanuel Bänsch/dpA

Mannheim. Frau Niessen-Ruenzi, ist Altersarmut weiblich?

Alexandra Niessen-Ruenzi: Ja, leider muss ich das bejahen. Einer Statistik des Statistischen Bundesamtes zufolge ist das Risiko für Altersarmut bei Frauen um 25 Prozent höher als bei Männern. Das ist ein deutlicher Unterschied, der zeigt: Altersarmut ist weiblich.

Frauen haben im Alter rund 900 Euro Rente. Wie erklären Sie sich diese prekäre Situation in unserem Land, das weiterhin eins der reichsten der Welt ist?

Niessen-Ruenzi: Frauen haben einfach weniger Geld, das sie investieren können. Diese prekäre Situation von Frauen wird zum einen durch das Gender Pay Gap erklärt. Frauen verdienen weiterhin weniger als Männer. Das hat verschiedene Gründe. Zum einen wählen sie Berufsfelder, in denen sie schlechter bezahlt werden. Oft arbeiten sie nach der Geburt des ersten Kindes in Teilzeit. Und was erschwerend hinzukommt: Wenn sie sich auf die gleiche Stelle bei der gleichen Qualifikation bewerben, verdienen Männer trotzdem mehr.

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Das heißt, eine Frau hat die gleiche Qualifikation wie ein männlicher Mitbewerber, sie bewirbt sich auf exakt die gleiche Stelle und verdient dann dennoch weniger?

Niessen-Ruenzi: Ja, beim gleichen Arbeitsvolumen und dem gleichen beruflichen Profil verdienen Frauen sechs Prozent weniger als Männer. Studien bestätigen, dass Diskriminierung hierbei eine Rolle spielt. In gut bezahlten Jobs gibt es zudem verhandelbare Gehälter. Um gut verhandeln zu können, müssen Bewerberinnen und Bewerber zuvor ihren Marktwert ermitteln und so in die Verhandlung einsteigen. Schon hier scheitern Frauen, sie verhandeln seltener, sie kennen seltener ihren Marktwert.

Woran liegt das?

Niessen-Ruenzi: Es liegt an der Sozialisation. Also daran, wie wir in unserer Gesellschaft Frauen und Männer erziehen. Sozialpsychologische Studien zeigen: Bei Jungs wird risikoaffines Verhalten belohnt. Bei Mädchen sanktioniert. Jungs werden eher dazu ermutigt, in Wettbewerb mit anderen zu treten. Diese Art der Erziehung prägt uns auch als Erwachsene und im Berufsleben. Zudem wissen wir auch: Frauen, die mutig sind, die in Gehaltsverhandlungen treten, werden öfter sozial sanktioniert. Sie gelten als unsympathisch, als zu ehrgeizig. Sie werden negativer wahrgenommen als Männer, die das machen. Und das wiederum prägt sie, und es wirkt entmutigend.

Lehrstuhl in Mannheim

  • Professorin Dr. Alexandra Niessen-Ruenzi ist Inhaberin des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Zudem ist sie akademische Direktorin des Berlin Center of Corporate Governance (BCCG) an der Mannheim Business School.
  • Ihre Forschungsschwerpunkte sind geschlechtsspezifische Unterschiede auf den Kapitalmärkten und verhaltensorientierte Finanzmarktforschung. ise

Wie stehen wir bezüglich dieser Entwicklung im internationalen Vergleich da?

Niessen-Ruenzi: Wir haben einen klaren Trend dahingehend, dass es mehr Frauen in Führungspositionen gibt. Wir haben eine gesetzlich vorgegebene Genderquote für Vorstände und Aufsichtsräte. Also müssen sich Unternehmen nun mehr mit diesem Thema beschäftigen. Nicht nur in Deutschland, auch in anderen industrialisierten Ländern wird diese Entwicklung als ,große Konvergenz der Geschlechter‘ bezeichnet. Und als eine der größten Errungenschaften der westlichen Gesellschaften gefeiert. Der Trend ist aber nicht sehr ausgeprägt. Ich habe in einer Studie ausgerechnet, dass es basierend auf den aktuellen Zahlen noch mindestens ein halbes Jahrhundert dauern wird, bis wir eine Angleichung erreichen. Im internationalen Vergleich stehen wir dennoch schlecht da. Statistiken der OECD Länder zeigen, dass wir bezüglich des Gender Pay Gaps und des Anteils von Frauen in Führungspositionen eher im hinteren Feld vertreten sind.

Neben dem Gender Pay Gap gibt es ja auch einen Gender Investment Gap. Sie forschen aktuell in diesem Bereich. Was fällt hier auf?

Niessen-Ruenzi: Frauen investieren sehr viel weniger als Männer. Während im Jahr 2023 laut Deutschem Aktieninstitut circa 22 Prozent der Männer in Deutschland auf dem Aktienmarkt investieren, sind es bei Frauen nur 13 Prozent. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Zum einen verdienen Frauen weniger Geld, können also weniger investieren. Zudem sind Männer risikoaffiner. Unsere Forschung zeigte zudem: Die finanzielle Sozialisation ist sehr unterschiedlich. Mit Mädchen wird zu Hause seltener über Geld oder Investition gesprochen. Das gilt weiterhin eher als ,Vater-Sohn-Thema‘. Zudem haben wir keine finanzielle Bildungspolitik. In Haushalten wiederum gilt es weiterhin als klassisches ,Männerthema‘– bei den hohen Scheidungsraten ist das allerdings nicht besonders sinnvoll. All das führt dazu, dass Frauen sehr spät mit dem Thema in Berührung kommen. Meistens auch nur, wenn sie selbst aktiv werden und denken, dass sie mal was für ihre Altersvorsorge tun sollten. Oft lassen Frauen ihr Erspartes auf dem Girokonto liegen und setzen es den aktuellen Inflationsraten aus. Sprich: Sie sparen nicht, sondern vernichten Wert. Und Frauen vergessen oft: Sie leben länger, das heißt, was ich als Frau erspart habe, muss länger reichen.

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Wie können Frauen dazu motiviert werden, mehr zu investieren?

Niessen-Ruenzi: Bildung ist wichtig, wir brauchen eine Finanzbildungsstrategie, und müssen damit an den Schulen anfangen. Wir müssen Berührungsängste abbauen und auf Frauen zugeschnittene Angebote schaffen. Zudem sollten wir Netzwerke, in denen sich Frauen eben dazu austauschen können, stärken. Für das Thema Finanzbildung und Investment benötigen wir insgesamt mehr Aufmerksamkeit.

Es gibt also viele Gründe, wieso Frauen auf dem Arbeitsmarkt und auf den Finanzmärkten schlechter dastehen. Wie ließe sich die Situation von Frauen, vor allem aber Müttern auf dem Arbeitsmarkt verbessern?

Niessen-Ruenzi: Vorweg: Mit der Anrechnung von Kinderbetreuungszeiten als Rentenpunkte wurde schon versucht, die Situation zumindest etwas zu entschärfen. Wir müssen als Gesellschaft sehen und anerkennen: Care Work ist nicht nur Frauensache. Menschen, die erziehen und pflegen, sollen nicht mit einer schlechten Rente und weniger Gehalt bestraft werden. Da ist der Gesetzesgeber in der politischen Verantwortung und muss die Rahmenbedingungen geschlechtsunabhängig gestalten. Die Abschaffung des Ehegattensplittings wäre ein wertvoller Beitrag. Dann lohnt es sich wieder für mehr Frauen, einer Beschäftigung nachzugehen. Und dann gibt es auch das Problem mit der sozialen Ächtung, wenn Frauen Kinder unter drei in die Kinderbetreuung geben. Auch das muss sich dauerhaft ändern.

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Veröffentlicht
Von
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Haben Sie Hoffnung, dass sich die Situation zugunsten von Frauen ändern wird?

Niessen-Ruenzi: Ja. Vor allem der Fachkräftemangel macht mir Hoffnung. Es entsteht aktuell ein enormer Druck auf dem Arbeitsmarkt. Die Entscheider sehen, salopp gesprochen: Wir können es uns nicht mehr leisten, die Hälfte der Menschen dieses Landes hinter dem Herd stehen zu lassen. Wir brauchen qualifizierte Frauen auf dem Arbeitsmarkt, um unseren Wohlstand dauerhaft zu sichern. Die aktuelle Situation auf dem Arbeitsmarkt wird den Wandel beschleunigen.

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