Mannheim. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat in der juristischen Schlacht um die Soforthilfe Corona sechs Termine anberaumt. Damit ist dieses seit Jahren über Teilen der Wirtschaft schwebende Ärgernis wohl noch nicht beseitigt. Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Wie viele Klagen wurden erhoben?
Gegen die im Zuge des Rückmeldeverfahrens bei der Soforthilfe Corona von der L-Bank erlassenen Rückforderungsbescheide wurden bis zum 30. Juni rund 21.700 Widersprüche eingelegt, wovon gut 15.200 erledigt sind – knapp 1.600 Klagen wurden erhoben, wovon rund 1.400 Verfahren anhängig sind.
Wie viele Musterverfahren gibt es?
Um die Flut der Klagen zu bewältigen, haben die Verwaltungsgerichte Stuttgart, Karlsruhe und Freiburg insgesamt zehn Verfahren als Musterprozesse eingeordnet und entschieden. Gemeint sind insbesondere Fälle, bei denen Hilfe-Empfänger am Rückmeldeverfahren teilgenommen haben und bei denen die Landeskreditbank einen Rückzahlungsbedarf angemeldet hat, der von den Betroffenen bestritten wird. Sofern die Gerichte die Widerrufs- und Erstattungsbescheide aufgehoben haben, wehrt sich die L-Bank dagegen. Aber auch unterlegene Kläger haben schon Berufung eingelegt. Somit habe keine dieser Entscheidungen bisher Rechtskraft erlangt, wie ein L-Bank-Sprecher betont. Insofern ist nun der Verwaltungsgerichtshof gefordert.
Vor diesem Hintergrund wurde bisher in mehr als 1.200 der 1.400 noch anhängigen Verfahren das Ruhen angeordnet. Allein das Verwaltungsgericht Stuttgart hat etwa 700 Verfahren erfasst: 91 in 2025, 323 in 2024 und 286 in 2023. Davon sind etwa 230 noch offen – wobei von den gut 600 Verfahren aus 2023 und 2024 etwa 130 offen sind und großteils ruhend gestellt wurden.
Um was geht es in den Musterverfahren?
Für sechs der Musterverfahren in Sachen Corona Soforthilfe hat der VGH die Verhandlungen terminiert – in vier Fällen hatte die L-Bank Berufung eingelegt, in zwei Fällen betroffene Unternehmer oder Selbstständige.
Bei zwei Terminen am 2. Oktober wenden sich eine Friseurin sowie ein Hotel- und Restaurantbetrieb, zudem ein Kosmetikhersteller und ein IT-Dienstleister gegen Rückforderungen des Landes. Am 7. Oktober geht es um Fälle eines Winzers und eines Fahrlehrers, deren Klagen in erster Instanz in Freiburg und Karlsruhe abgewiesen wurden.
Zu einem weiteren Komplex haben Verwaltungsgerichte auch schon Musterverfahren angekündigt. Dabei geht es um Hilfe-Empfänger, die der L-Bank zufolge nicht am Rückmeldeverfahren teilgenommen haben. Zu beachten sind dabei technische Probleme in den Online-Rückmelde-Verfahren, die laut Betroffenen nicht reibungslos funktioniert haben. Firmen und Selbstständige, die der Aufforderung zur Rückmeldung nicht nachgekommen sind, müssen laut L-Bank die gesamte erhaltene Soforthilfe erstatten.
Wo liegt juristisch der Knackpunkt?
Christina Oberdorfer von der Stuttgarter Kanzlei von Buttlar vertritt einen Lauchheimer Hotel-Restaurantbetreiber, von dem die L-Bank die gesamte Soforthilfe-Summe von 15.000 Euro zurückfordert. Für dieses Musterverfahren zeigt sich die Rechtsanwältin „guter Dinge“: „Wir sind sehr optimistisch für die Fälle, in denen die Corona-Hilfsanträge bis zum 8. April 2020 gestellt wurden“, sagte sie dieser Zeitung.
Gemeint sind die ersten Pandemie-Hilfen auf Grundlage eines Soforthilfeprogramms für Selbstständige und kleine Firmen mit bis zu 50 Erwerbstätigen, für die das Land am 22. März 2020 eine Richtlinie erlassen hatte. Drei von vier Verwaltungsgerichten im Südwesten seien „einhellig der Auffassung, dass die Bescheide rechtswidrig waren“, so Oberdorfer. Sie seien der Ansicht, dass das Land den Zweck der Hilfen nicht hinreichend bestimmt hätte, also könne es das Geld auch nicht zurückfordern, mit dem Argument, es wäre nicht dem Zweck entsprechend verwendet worden.
Am 8. April 2020 wurde eine Verwaltungsvorschrift für ein gemeinsames Programm von Bund und Land veröffentlicht, in dem die Bedingungen für Empfänger klarer formuliert und letztlich verschärft wurden. Wurde der damalige Bewilligungsbescheid darauf abgestellt, hat die L-Bank deutlich höhere Erfolgschancen vor Gericht.
Wie schätzt die IHK Rhein-Neckar die Lage für die Unternehmen in der Region ein?
„Die Substanz vieler Unternehmen, insbesondere in Handel, Gastronomie und Dienstleistungen, ist aufgezehrt“, hatte IHK-Präsident Manfred Schnabel vergangenes Jahr mit Blick auf die Rückforderungen von Corona-Hilfen durch die L-Bank erklärt. Um einen „großen Vertrauensverlust“ in die Politik sowie möglicherweise drohende Betriebsschließungen zu vermeiden, hatte sich Schnabel für ein behutsames Vorgehen des Landes ausgesprochen. „Das heißt: Rückzahlungen erlassen oder zumindest stunden, wenn die Zukunft des Betriebs gefährdet ist“, so der IHK-Präsident. „Darüber hinaus ist zu fragen, ob es nicht gerechtfertigt wäre, allen von Schließungsmaßnahmen betroffenen Unternehmen die Rückzahlungen zu ersparen. Denn die Praxis zeigt, dass die Regeln unter Zeitdruck entstanden sind, diese im Zeitablauf ständig verändert wurden und die Unterschiedlichkeit der betroffenen Geschäftsmodelle nicht adäquat berücksichtigt wurde.“
Warum steht die L-Bank in der Kritik?
Es gibt einige Kanzleien, die sich auf den Streit um die Corona-Hilfsprogramme fokussieren – die Kanzlei von Buttlar hat insgesamt etwa 600 Corona-Fälle in Bearbeitung, wovon bisher circa 150 vor Gericht eingeklagt wurden. Das Ende der Klagewelle ist Oberdorfer zufolge noch nicht erreicht: Die L-Bank habe über den Sommer sehr aktiv weitere Widerrufsbescheide zur Soforthilfe und den anderen Hilfsprogrammen ausgesandt. Woher diese erhöhte Aktivität kommt, darüber kann nur spekuliert werden – wächst der Druck, Geld zurückzuholen? Unverständlich sei es, dass dies ausgerechnet vor und in der Ferienzeit erfolgen müsse, in der es mitunter zu Problemen mit der gesetzten Frist kommen könne, so Oberdorfer.
„Besonders skurril“ nennt sie die nun auch versandten Zinsbescheide. Gemeint sind Fälle, in denen Hilfe-Empfänger die eingeforderten Beträge zurückgezahlt haben und für die nachträglich eine Verzinsung gefordert wird. „Das kann ich nicht nachvollziehen“, sagt die Anwältin, die diese Praxis auch für rechtswidrig hält. Da komme „jetzt eine neue Wut bei den Betroffenen hoch“, die damals nach Aussagen von Regierungsvertretern davon ausgegangen seien, dass sie die Hilfen nicht zurückzahlen müssen.
Was folgt nach den VGH-Urteilen?
Bei Niederlagen der Bank vor dem Verwaltungsgerichtshof kann sich Oberdorfer nicht vorstellen, dass das Förderinstitut die juristische Auseinandersetzung in den entsprechenden offenen Fällen weiter treibt – schon wegen der fraglichen Wirtschaftlichkeit. Niederlagen hätten, bezogen auf die jeweilige Konstellation, grundsätzlichen Charakter – Verwaltungsgerichte würden sich an die Rechtsprechung des VGH halten.
Theoretisch gäbe es noch eine höhere Instanz, allerdings handelt es sich in den Fällen, die auf die Richtlinie vom 22. März 2020 abzielen, allem Anschein nach um Landesrecht. „So gehe ich davon aus, dass sich das Bundesverwaltungsgericht dann nicht zuständig sehen würde“, sagt die Anwältin. Die L-Bank will sich zu möglichen Konsequenzen für die offenen Fälle noch nicht äußern.
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