Mannheim/Walldorf. Die überbordende Bürokratie in Deutschland kostet die Wirtschaft jährlich bis zu 146 Milliarden Euro – ein Betrag, der das enorme Reformpotenzial deutlich macht. Das zeigt eine aktuelle Studie des ifo Instituts im Auftrag der IHK für München und Oberbayern. Langwierige Verwaltungsverfahren, komplizierte Datenschutzvorgaben und schleppende Digitalisierung bremsen die Unternehmen aus. Die Forderung ist klar: Berlin und Brüssel müssen Bürokratie abbauen und die Digitalisierung vorantreiben, um Wachstumspotenziale zu heben. Doch wie erleben regionale Unternehmer die bürokratischen Hürden in der Praxis – und welche Lösungen wünschen sie sich?
Christian Schieck von Benz Baustoffe in Mannheim kritisiert die Produktsicherheitsverordnung
Wir haben neben unserem stationären Baustoffhandel für Unternehmen auch einen Online-Handel für Privatkunden benz24.de. Für die neue EU-Produktsicherheitsverordnung müssen wir für jedes Produkt einen Ansprechpartner mit kompletten Kontaktdaten auf unserer Internetseite benennen.
Für einen Teil der Waren gibt es schon umfangreiche Verordnungen, die diese Vorgabe abdecken. Allein um das zu klären, brauchte es einen langen Austausch mit Juristen. Aber für den Rest der Produkte mussten wir jetzt 170 Lieferanten anschreiben – mit der Bitte, uns entsprechende Ansprechpartner zu nennen. Wenn Rückmeldungen fehlen, müssen wir die Produkte von der Seite nehmen – das kostet uns Umsatz.
Die Verordnung ist – wie so oft – gut gemeint, weil sie vor allem große asiatische Anbieter mehr in die Pflicht nimmt. Die nennen in Europa oft überhaupt keine Kontaktadressen für die Kunden. Aber für uns Mittelständler ist es ein Riesenaufwand, Ansprechpartner für jedes einzelne Produkt aufzuführen, und das ist nicht die einzige gesetzliche Anforderung.
Was ich anders machen würde:
Die hohen Bußgelder von bis zu 100 000 Euro für Verstöße gegen die Verordnung abschaffen, solange keine Rechtssicherheit herrscht. Und es sollte reichen, dass wir aus unserem Haus persönliche Ansprechpartner für alle Produkte nennen.
Achim Ihrig von der Ariva Hotel GmbH in Mannheim kritisiert die Hotelmeldepflicht
Die Meldepflicht beim Einchecken für inländische Gäste fällt ab 2025 weg. Das klingt erst mal nach einer Erleichterung für uns Hotels, aber das Gegenteil ist der Fall: Wir haben noch mehr Aufwand, weil ausländische Gäste immer noch meldepflichtig sind – selbst wenn sie in Deutschland wohnen.
Das heißt, die Hotelbetriebe müssen jetzt zwei unterschiedliche Meldeprozesse einrichten, einen für die deutschen und einen für die ausländischen Gäste. Wir müssen also für zwei parallele Verwaltungssysteme die Mitarbeiter am Empfang extra schulen, die Systeme anpassen und neue Software-Lösungen aufspielen. Den Personalausweis müssen deutsche Gäste übrigens weiterhin vorzeigen, um nachzuweisen, dass sie aus dem Inland kommen. Weil das Einchecken noch komplexer wird und mehr Zeit braucht, kann das auch zu längeren Wartezeiten für die Gäste und Schlangen am Empfang führen.
Was ich anders machen würde:
Den Meldeprozess automatisieren und nur die allerwichtigsten Daten für jeden Gast erheben. Und ich würde bei der Anmeldung keine Unterscheidungen machen, woher die Hotelgäste kommen. Ich hätte mir ein komplett digitales und einheitliches Verfahren für alle Hotelgäste gewünscht – ähnlich wie in Nachbarländern. Damit wären die ersten Voraussetzungen für den sogenannten „Digital Key“ und einen kompletten Self-Check-In geschaffen.
Jürgen Bichelmeier von Rack & Schuck in Mannheim kritisiert die Entwaldungsverordnung
Wir stellen Verpackungen aus Karton her. Die EU-Entwaldungsverordnung soll verhindern, dass Tropenholz verwendet wird. Das wollen wir auch nicht. Wir verarbeiten nur Karton, der aus europäischen Hölzern oder aus Recycling-Material stammt. Die Verordnung in der aktuellen Fassung verlangt, dass wir bis auf vier Hektar genau die Herkunft eines Baumes benennen können, aus dem Papier gemacht wird. Das funktioniert so nicht: Die Kartonfabrik bekommt riesige Zellstoffballen, die von unterschiedlichen Lieferanten kommen. Einzelne Herkunftsgebiete und dazu noch kleinste Waldflächen lassen sich gar nicht identifizieren. Und wir sollen diese unmöglichen Vorgaben erfüllen, obwohl wir keinerlei Material aus tropischen Ländern beziehen.
Jürgen Bichelmeier, Geschäftsführer von Rack & Schuck in Mannheim.
Ein weiteres Problem: Das Gesetz sollte Ende dieses Jahres in Kraft treten, der Leitfaden zur Umsetzung kam erst im November. Allein um alles in die Softwaresysteme einzupflegen, braucht es mindestens ein Jahr. Jetzt ist die Verordnung zwar um ein Jahr verschoben, aber wichtige und sinnvolle Veränderungen, die von der Wirtschaft angebracht wurden, hat man nicht gehört und nicht berücksichtigt.
Was ich anders machen würde
Viel besser wäre eine Positivliste von zertifizierten Herkunftsländern, die eindeutig keinen Tropenwald abholzen – etwa europäische Länder wie Deutschland oder Finnland.
Eric Schroth von TS Steel Trade in Walldorf kritisiert den CBAM
Wir handeln weltweit mit Stahl und fallen unter den CO2-Grenzausgleichsmechanismus CBAM. Damit will die EU Unternehmen vor Nachteilen schützen, die ihnen die strengen europäischen Klimaschutzvorschriften im internationalen Wettbewerb bringen. Ab 2026 werden Importeure CBAM-Zertifikate für die mit den eingeführten Waren verbundenen grauen Emissionen kaufen müssen. Das ist ein guter Gedanke, damit einhergehen ein riesiger bürokratischer Aufwand und schwer abschätzbare finanzielle Risiken.
Als Mittelständler sind wir zum ersten Mal mit diesem komplexen Thema konfrontiert und haben eine sehr sportliche Übergangsfrist: Bis Mitte 2025 müssten wir schon wissen, ob wir im Jahr darauf CBAM-Zertifikate brauchen und was uns diese kosten. Erst dann können wir die langfristigen Verträge mit unseren Lieferanten aushandeln. Setzen wir die CBAM-Kosten zu niedrig an, zahlen wir ab 2026 drauf. Aber von der EU gibt es bisher haufenweise Vorgaben, aber noch keine verlässlichen Angaben, etwa zur Preisgestaltung und -sicherung der Zertifikate – alles ist noch sehr schwammig.
Was ich anders machen würde
Ich würde von EU-Seite die Übergangsfrist verlängern und erst die eigenen Vorgaben klarer machen sowie die nötigen Plattformen zur Verfügung stellen und erproben, bevor CBAM-Zertifikate gehandelt werden müssen.
Horst Trautmann von der Metzgerei Trautmann in Mannheim kritisiert die Dokumentationspflichten
Man könnte meinen, unser Handwerk besteht nicht darin, die Wurst zu machen, sondern sie zu protokollieren. Wir müssen die Herstellung vom Anfang bis zum Ende genau dokumentieren. Zum Beispiel, dass die Maschine gereinigt ist. Aber das sieht doch jeder im Betrieb, ob die Maschine sauber ist! Dafür brauchen wir kein Formular. Und der, der sie geputzt hat, darf übrigens auch nicht die Kontrolle der Reinigung übernehmen.
Horst Trautmann von der Metzgerei Trautmann in Mannheim
Bei den amtlichen Kontrollen geht es nicht einfach darum, dass der Betrieb in Ordnung ist. Dann wird auch noch kontrolliert, ob die Dokumentation richtig ausgeführt wurde. Ob wir schön eingetragen haben, mit welchem Putzmittel wir die Maschine gereinigt haben, wie lange wir es haben einweichen lassen . . .
Und das ist ja nur ein Teilaspekt im Herstellungsprozess. Ich muss aufschreiben, was ich wann produziert habe, bei welcher Temperatur und natürlich die Zusatzstoffe. Mit all diesen Dokumentationspflichten werden wir als kleiner Handwerksbetrieb gleichgestellt mit riesigen Unternehmen.
Was ich anders machen würde
Ich würde Metzger mit Meistertitel von dieser extremen Dokumentationspflicht befreien. Wer seine Ausbildung und dann noch seinen Meister macht, hat von der Pike gelernt. Nur wer diese langjährige Ausbildung nicht hat, sollte detailliert dokumentieren müssen.
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