Konjunktur

Bauwirtschaft im Südwesten stellt sich auf Krisenjahr ein

Die Alarmstimmung hält an: Mit einer Erholung rechnet die Branche auch in diesem Jahr nicht. Was die Bauwirtschaft Baden-Württemberg und Präsident Markus Böll aus Schriesheim fordern

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Alexander Jungert
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Mit Neubauten geht es nur schleppend voran. Mit einer Erholung rechnet die Branche auch in diesem Jahr nicht. © Sven Hoppe/dpa

Mannheim. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zeigt auf Konjunktur-Pressekonferenzen gerne Grafiken und erklärt sie. Markus Böll, Präsident der Bauwirtschaft Baden-Württemberg, fühlt sich davon inspiriert. „Ich mache jetzt erst einmal den ,Robert’“, sagt Böll und hält Grafiken hoch: Baubedarf und Baufertigstellungen bei Wohnungen in Baden-Württemberg. Baupreisindex, Wohngebäude, Bauleistungen am Bauwerk.

Böll, der in Schriesheim bei Heidelberg ein Bauunternehmen leitet, hat keine guten Nachrichten. „Gestiegene Material- und Energiepreise, hohe Bauzinsen, ausufernde Bürokratie und überzogene Baustandards setzen vor allem dem Wohnungsbau zu. Hier herrscht seit mehr als zwei Jahren Krise“, erklärt er. „Gleichzeitig leidet der Wirtschaftsbau erheblich unter der ungünstigen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.“

Talfahrt im baden-württembergischen Wohnungsbau erwartet

Die Zahlen untermauern das. Der Umsatz in der Bauwirtschaft ging von Januar bis November 2024 nominal - also nicht um höhere Preise bereinigt - um 1,6 Prozent auf rund 14,4 Milliarden Euro zurück. Im Wohnungsbau sanken die Erlöse demnach um ein gutes Achtel.

Markus Böll, Präsident der Bauwirtschaft Baden-Württemberg. © Bauwirtschaft BW

Alles andere als rosig sind die Aussichten. Rückläufige Auftragseingänge zeigen, dass sich die Situation in diesem Jahr kaum verbessern wird. „Der Wirtschaftsbau wird negative Zahlen schreiben. Im Wohnungsbau wird sich die Talfahrt fortsetzen“, so Böll. Der öffentliche Bau stehe im Spannungsfeld zwischen dem hohen Investitionsbedarf in die Infrastruktur und den Sparzwängen von Bund, Ländern und Gemeinden. „Unter anderem die prekäre Finanzlage der Kommunen wird hier zunehmend zum Handicap. Insgesamt rechnet der Verband in diesem Jahr mit einem weiteren leichten Umsatzrückgang.

In vielen Betrieben in Baden-Württemberg fehlen Nachfolgerinnen und Nachfolger

Längst schlägt die Misere bei den Betrieben selbst durch. Vermehrt wird Kurzarbeit angemeldet, im Winter ohnehin. Die Meldungen über insolvente Bauunternehmen häufen sich drastisch. Verstärkt wird die ohnehin angespannte Lage durch den Fachkräftemangel - und fehlende Nachfolge bei kleineren und mittleren Betrieben. Sie verschwinden einfach vom Markt.

Böll spürt das in seiner Arbeit hautnah, auch als Vorsitzender der Bauinnung Rhein-Neckar. Immer mehr Betriebe seien bei der Personalstärke schon regelrecht ausgeblutet. „Dann ist der Weg zur Betriebsschließung kurz.“ Die Bauinnung Rhein-Neckar war vor mehr als zehn Jahren durch die Fusion der beiden Bauinnungen Mannheim und Heidelberg entstanden, sie hatten jeweils 100 und 150 Mitgliedsbetriebe. Heute zählt die fusionierte Innung noch 60. Für Böll ein „gefährliches Abschmelzen“ des Mittelstandes.

Wohnungsnot und weiter steigende Mieten sind ein soziales Pulverfass, das auch die politische Stabilität gefährdet
Thomas Möller Hauptgeschäftsführer der Bauwirtschaft

Um den Wohnungsbau anzukurbeln, fordert die Branche entschlossene politische Maßnahmen - wie schon häufig in der Vergangenheit. Notwendig sind demnach eine Senkung der Grunderwerbsteuer, eine Ausweitung und Verbesserung der KfW-Förderprogramme und ein weiterer Ausbau des sozialen Wohnungsbaus. Zudem müssten die überbordende Bürokratie und „die überzogenen Anforderungen an das Bauen“ deutlich reduziert werden.

„Wohnungsnot und weiter steigende Mieten sind ein soziales Pulverfass, das auch die politische Stabilität gefährdet.  Die bisherigen Maßnahmen von Bund und Land reichen nicht aus. Es besteht weiterer dringender Handlungsbedarf“, so der Appell von Böll. Ziele beim Wohnungsbau würden krachend verfehlt. Thomas Möller, Hauptgeschäftsführer der Bauwirtschaft Baden-Württemberg, stört sich daran, dass der Luxusstandard das neue „Normal“ werde. Betriebe könnten auch für kleinere Geldbeutel bauen. Man müsse sie nur lassen.

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Doch die Realität sieht so aus: Die Neubaugenehmigungen sind von Januar bis November 2024 weiter eingebrochen. Von den Bauämtern bewilligt wurden in dieser Zeit nach Angaben des Statistischen Landesamtes im Neubau fast 6100 Wohnhäuser und mehr als 2450 Nichtwohngebäude - dazu gehören unter anderem Bürohäuser oder Verwaltungsgebäude. Das ist gut ein Fünftel weniger als im Vorjahreszeitraum. Die Zahl der genehmigten Wohnungen sank ebenfalls. Zum Vergleich: Im Gesamtjahr 2021 wurden im Land insgesamt noch gut 20 000 Gebäude genehmigt.

Massiver Investitionsstau bei Brücken im Südwesten

Besorgniserregend ist für den Verband zudem der enorme Investitionsstau in der Verkehrsinfrastruktur. „Das marode Verkehrswegenetz wird zunehmend zu einem Risikofaktor für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes“, warnt Vizepräsidentin Sabine Schmucker.

Weil wichtige Investitionen über Jahre immer wieder aufgeschoben oder gar nicht getätigt würden, seien die Straßen heute vielerorts in einem schlechten Zustand und zahlreiche Brücken dringend sanierungsbedürftig. In den nächsten zehn Jahren drohe 1700 Brücken an Bundes- und Landesstraßen in Baden-Württemberg die Sperrung, sollte nichts passieren.

Redaktion berichtet aus der regionalen Wirtschaft

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