Mannheim. Dass die Schweiz ein Eisenbahnland ist, hat sich herumgesprochen. Fast jedes Bergdorf, und liegt es noch so hoch und abgelegen, hat einen Gleisanschluss. Neidisch blicken wir Deutsche daher oft auf unser Nachbarland, weil dort nahezu alles reibungslos funktioniert. Da erlebt man auch mal Kurioses, wie kürzlich im Graubündner Dorf Arosa geschehen: Der Zugführer läuft den Bereich um den Bahnsteig ab und fragt eine in der Nähe auf den Bus wartende Skigruppe, ob jemand nach Chur wolle, da der Zug gleich abfahren werde.
Eine derartige Zuvorkommenheit ist hierzulande eher nicht zu erwarten - und einstweilen nicht nötig. Denn Bahnreisende in Deutschland und der Region sind schon zufrieden, wenn ihr Zug überhaupt fährt. Verspätungen und Zugausfälle sind fester Bestandteil im Betrieb. Weil das Schienennetz marode und über viele Jahre vernachlässigt wurde, geht auf vielen Streckenabschnitten bald nichts mehr. Die Politik hat das anscheinend (endlich) erkannt und gibt zumindest vor, vieles besser zu machen. Soweit die gute Nachricht. Die schlechte ist: Bis alles umgesetzt ist, vergehen viele Jahre, und Reisende und Pendlerinnen müssen noch starke Einschränkungen ertragen. Die erste große, die Auswirkungen auf die gesamte Republik haben wird, kündigt sich an. Ein Überblick:
Riedbahn-Generalsanierung
Ab dem 15. Juli 2024 wird die Riedbahnstrecke generalsaniert - unter Vollsperrung. Von Mannheim über Biblis, Riedstadt-Goddelau und Mörfelden-Walldorf nach Frankfurt fährt dann kein Zug mehr. Bis zum Fahrplanwechsel im Dezember 2024 will die Bahn unter anderem 117 Gleiskilometer, 152 Weichen, 140 Kilometer Oberleitungen und 1200 Anlagen der Leit- und Sicherheitstechnik sanieren und modernisieren.
Die Strecke ist eine der wichtigsten und am meisten befahrenen im deutschen Bahnnetz. Etwa 300 Züge täglich passieren sie. Der Umbau eines wichtigen Streckenkorridors unter einer Vollsperrung ist ein Pilotprojekt, aus Sicht der Bahn aber unausweichlich, da eine Sanierung bei laufendem Betrieb oder mit Teilsperrungen etwa zehn Jahre dauern würde. Im Gegenzug soll die Generalsanierung dafür sorgen, dass die Strecke - bis auf Kleinigkeiten - danach zehn Jahre ohne Baustellen auskommt.
Fernzüge wie ICEs werden weiterhin fahren, müssen aber auf die linke Rheinseite oder an die Bergstraße umgeleitet werden. Das führt zu längeren Fahrzeiten. Im Regionalverkehr müssen sich die Nutzer auf Zugausfälle und einen Ersatzverkehr mit Bussen einstellen.
Stuttgart 21
Es gibt aber auch Lichtblicke. Im vergangenen Dezember ist die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm eröffnet worden. Dadurch verkürzt sich die Fahrzeit von Mannheim nach Ulm oder München um 15 Minuten. Gleich in den ersten Tagen wurden Züge jedoch durch technische Pannen auf der neuen Trasse ausgebremst und mussten wieder über die alte Strecke fahren - was zu vielen Verspätungen führte.
Jetzt für MM+ Abonnenten: Das E-Paper am Sonntag
Für MM+ Abonnenten: Lesen Sie kostenfrei unser E-Paper am Sonntag - mit allem Wichtigen aus Mannheim und der Region, dem aktuellen Sport vom Wochenende sowie interessanten Verbraucher-Tipps und Reportagen. Das Geschehen in Deutschland und der Welt ordnen unsere Korrespondenten für Sie ein.
Hier geht es zum E-Paper - ab dem frühen Sonntagmorgen für Sie verfügbar
Sie haben noch kein MM+ Abo? Dann sichern Sie sich den MM+ Kennenlernmonat
Die Neubaustrecke ist Bestandteil des Großprojekts Stuttgart 21. Wenn Ende 2025, so ist es vorgesehen, der neue Tiefbahnhof in der Landeshauptstadt in Betrieb geht, soll sich die Fahrzeit um weitere 15 Minuten verkürzen.
Frankfurt-Mannheim
Weil die Riedbahn, wie oben beschrieben, so wichtig und stark belastet ist, soll eine entlastende Neubaustrecke zwischen Frankfurt und Mannheim hinzukommen. Die Streckenführung steht bereits fest. Sie führt weitgehend entlang der Autobahnen 5 und 67, zwischen Lorsch und Mannheim-Waldhof wird sie größtenteils durch einen Tunnel geführt. Bis dort die ersten Züge fahren, werden die 2030er Jahre angebrochen sein.
Mannheim-Karlsruhe
Noch etwas später, bestenfalls ab Mitte der 2030er Jahre, sollen auch zwischen Mannheim und Karlsruhe mehr Züge fahren. Ob es eine ganz neue Trasse wird oder die Bestandsstrecke auf vier Gleise ausgebaut wird, wird seit einigen Monaten in einem sehr aufwendigen Verfahren geprüft. Der Suchraum, der anfangs vom Haardtrand bis zum Kraichgau reichte, wird immer schmaler, da inzwischen einige Linienvarianten - vor allem linksrheinisch - zurückgestellt wurden. Derzeit werden noch 13 Trassenvarianten auf ihre Machbarkeit geprüft. Eine Vorzugsvariante soll im nächsten Jahr vorgestellt werden.
Mannheim wird die Schnittstelle der beiden Neu- bzw. Ausbaustrecken sein. Wie die beiden Strecken dann zusammengeführt werden, wird derzeit ebenfalls geprüft. Im Gespräch ist auch ein Tunnel unter dem Mannheimer Stadtgebiet.
Deutschlandtakt
Mit dem Deutschlandtakt sollen Verbindungen im Nah-, Fern- und Güterverkehr besser abgestimmt und dadurch verlässlicher werden. Unter anderem kann damit der Güterverkehrsanteil auf 25 Prozent erhöht werden. In der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts soll es zwischen den größten deutschen Städten einen Halbstundentakt im Fernverkehr geben. Bahnchef Richard Lutz hat kürzlich das Jahr 2026 ins Gespräch gebracht, mit 20 Städten, darunter auch Mannheim. Geplant ist, dass die Züge immer um dieselbe Zeit abfahren. Der Regionalverkehr soll dann an die Taktung der Knotenpunkte angepasst werden. Zwischen Mannheim und München wird eine Fahrzeit von gut zwei Stunden angestrebt. Vorbild für den Deutschlandtakt ist: die Schweiz. Dort gibt es bereits ein vergleichbares Fahrplankonzept, das sehr gut funktioniert.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/wirtschaft_artikel,-regionale-wirtschaft-bahnkunden-in-mannheim-und-der-region-sollen-sich-weniger-aergern-_arid,2085863.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/biblis.html