Mannheim. Justus Haucap lässt eine „Tischvorlage“ verteilen. 24 Seiten hat sie, dazu ein USB-Stick mit Datensätzen. Haucap, Wirtschaftsprofessor aus Düsseldorf, redet von Vorüberlegungen zum Bruttomargenansatz, von der Spezifikation der Regressionsmodelle, von einem Endogenitätsproblem.
Was klingt wie eine Vorlesung in Ökonometrie, ist ein weiterer Termin vor dem Mannheimer Landgericht in den Kartellverfahren gegen die Zuckerhersteller Südzucker, Nordzucker und Pfeifer & Langen. Dieses Mal in der Aula der Universität. An der Decke hängen imposante Leuchter, die Wände sind mit Holz verschalt. „Das ist ein angemessener Rahmen, von dem wir hoffen, dass er der Diskussion dient“, sagt Richter Kai Thomas Brauneisen.
Fünf Termine bis Freitag sind geplant. Insgesamt sitzen 30 bis 40 Anwältinnen und Anwälte zwischen Laptops und dicken Aktenordnern. Einige von ihnen vertreten die Zuckerhersteller – einige von ihnen Kunden aus der Industrie. Ein Anwalt frohlockt: „Wir haben mit großer Leidenschaft für fünf Tage die Koffer gepackt.“ Der Sachverständige Haucap hat sein Team vom Düsseldorfer Institute for Competition Economics (Dice) mitgebracht.
Um was geht es? Die Vorgeschichte ist schon etwas länger her: 2014 hatte das Bundeskartellamt Bußgelder von insgesamt 280 Millionen Euro gegen Südzucker (Mannheim), Nordzucker (Braunschweig) und Pfeifer & Langen (Köln) verhängt. Durch ein Gebietskartell sei Preiswettbewerb verhindert worden. Auf Südzucker entfiel mit 195,5 Millionen Euro der größte Batzen. Der Mannheimer Konzern akzeptierte die Strafe, „um Rechts- und Planungssicherheit“ zu erlangen. Ein Schuldeingeständnis gab es nicht.
Höchste Forderung von Nestlé
In der Folge war eine Prozesswelle in Gang gekommen: Industriekunden waren und sind der Ansicht, durch das Kartell zu viel für Zucker gezahlt zu haben, und fordern Schadenersatz von allen oder einzelnen Herstellern. Das Landgericht Mannheim führt die Klage unter anderem von Nestlé (50 Millionen Euro), Katjes (37,2 Millionen Euro) und Müller Milch (32,6 Millionen Euro) als Pilotverfahren, die nun schon Jahre dauern.
Sind die Zuckerpreise aufgrund von verbotenen Kartellabsprachen gestiegen? Das ist die Frage, um die sich alles dreht. Die Antwort darauf dürfte schwer zu finden sein.
Denn der europäische Zuckermarkt ist, so erklärt es der Richter, im Kartellzeitraum ab Mitte der 1990er Jahre bis 2009 kein gewöhnlicher gewesen. Sondern erheblich reguliert. Es gab Mindestpreise für Rüben und feste Produktionsquoten. Der Markt war gegen Importe aus Drittstaaten durch Zölle abgeschirmt. Von freiem Wettbewerb kaum eine Spur. In so einer Welt ist zum Beispiel keineswegs sicher gewesen, dass der Rübenpreis die Entwicklung des Zuckerpreises beeinflusst hat.
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Zudem gibt es nur wenige Anbieter. In einem „Oligopol“ ist es oft so, dass der Marktführer (also Südzucker) den Preis vorgibt – und die anderen folgen. Wären die Preise ohne Kartell überhaupt anders ausgefallen?
Hier kommen nun die statistischen Modelle ins Spiel, die ein Stück weit eine „Prognose der Vergangenheit“ leisten müssen. Der Sachverständige vergleicht den Zuckermarkt Deutschlands mit dem Frankreichs, um einer Antwort näher zu kommen. Schon im vergangenen Jahr ist Haucap kalter Wind ins Gesicht geblasen. Die beklagten Zuckerhersteller warfen ihm vor, falsche Daten herangezogen und „Äpfel mit Birnen“ verglichen zu haben. Nach seinem ersten Gutachten legte Haucap ein Ergänzungsgutachten vor. Auch in den nächsten Tagen ist zu erwarten, dass seine Ausführungen kritisch hinterfragt werden. In einer Analyse errechnet der Ökonom Preisaufschläge von 3,7 bis 5,45 Prozent.
Annäherung an die Realität
Südzucker selbst will sich zu laufenden Verfahren nicht äußern. Ein Konzernsprecher hebt lediglich hervor, dass Kunden kein Schaden entstanden sei.
Die Komplexität wird in jeder Minute deutlich. Auch der Richter hebt hervor: Ein statistisches Modell könne nur eine Annäherung an die Realität sein. Am Ende werde es darum gehen, einen möglichen Kartellaufschlag bei den Zuckerpreisen zu schätzen.
Bruttomargenansatz, Regressionsmodell, Endogenitätsproblem – Fortsetzung folgt.
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