Rückblick - Bis 1976 hielt der Ludwigshafener Chemiekonzern an seinen Kernkraftplänen fest / Mannheim wollte ein eigenes KKW

Als die BASF mit RWE einen Atomreaktor betreiben wollte - mitten im Werk Ludwigshafen

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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Am Ende wurde weder in Ludwigshafen noch Mannheim ein Atomkraftwerk gebaut – sondern in Biblis. © Bernhard Zinke

Ludwigshafen.BASF und RWE planen gigantischen Windpark in der Nordsee“ - „Grüner Strom für die Chemieindustrie“: Schlagzeilen wie diese machten dieser Tage medial die Runde. Angesichts einer solchen Zukunftsvision in Sachen Klimaschutz drängt sich der Blick in die Vergangenheit auf. Schließlich haben das Ludwigshafener Chemieunternehmen und der Energiekonzern mit Sitz in Essen vor 55 Jahren ebenfalls ein Riesenprojekt mit dem Ziel „weg von fossilen Brennstoffen“ geplant: Ein gemeinsames Kernkraftwerk sollte dringend benötigten Prozessdampf ausspeisen. Zehn Jahre hielt die BASF an ihren atomaren Plänen fest. 1976 zog der Vorstand angesichts neuer Genehmigungshürden die Reißleine.

Erste Idee reift 1966

Rückblick: Als in den 1960er Jahren rauchende Schlote nicht länger als Wirtschaftswunder-Symbol wahrgenommen und tote Fische im Rhein Industriekonzernen wie der BASF angelastet werden, gilt Atomkraft als umweltfreundliche Verheißung. Zudem künden Unruhen im Nahen Osten schon vor der späteren Erdölkrise von politischen Unwägbarkeiten rund um den fossilen Brennstoff.

Und so reift beim BASF-Vorstand 1966 die Idee, einen eigenen Reaktor zu bauen und mit einem Partner zu betreiben - dem Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk (wie RWE damals heißt). Die Verhandlungen geraten aber schon bald ins Stocken. Und ein ebenfalls angepeiltes Gemeinschaftsprojekt mit Ludwigshafens Schwesterstadt und deren Großkraftwerk kommt über einen Entwurfsvertrag zur Gründung der „Kernkraftwerk-BASF-Mannheim AG“ nicht hinaus.

Und so entschließt sich der Chemieriese in Eigenregie ein KKW auf dem Gelände der still gelegten Karbidfabrik zu errichten. Denn dieses in der Werksmitte gelegene Grundstück hat das Kölner Institut für Reaktorsicherheit als genauso sicher eingestuft wie die zwei Standortalternativen - nämlich die Friesenheimer Insel auf der Mannheimer Rheinseite und der Kanal auf Gemarkung der nahe gelegenen Pfälzer Stadt Frankenthal.

Als der BASF-Vorstand 1969 in Mainz das Wirtschaftsministerium über seine Reaktor-Absichten informiert, da stellt sich überraschenderweise heraus: Der abgesprungene Kooperationspartner RWE hat bereits einen Genehmigungsantrag für ein Kernkraftwerk im hessischen Biblis gestellt.

Auch in Deutschland hat die vom US-Präsidenten Eisenhower vor der UN-Vollversammlung eingeläutete Ära „Atoms für peace“ ( „Atome für Frieden“) mit etwas Verzögerung einen regelrechten Planungsboom für jene Energie ausgelöst, die als sauber, sicher wie preiswert gilt. Und obendrein soll sie über Fabriken den rußigen Himmel wieder blau machen - wie die BASF verkündet.

Rückblickend mag man kaum glauben, dass 1974 im erweiterten Rhein-Neckar-Raum fünf Kernkraftwerke in Planung oder im Bau sind: Probebetrieb läuft bereits im Block A des Biblis-Reaktors von RWE Power, gegen den es zuvor einen einzigen Einspruch gegeben hat. Gleichzeitig wird im Landkreis Karlsruhe der Siedewasserreaktor des KKW Philippsburg konstruiert.

Von der atomaren Konkurrenz lässt sich die BASF nicht abschrecken und hält an ihren KKW-Plänen fest. Außerdem forciert die Stadt Mannheim eine Neuauflage der gescheiterten Atomkuppel im nördlichen Ortsteil Kirschgartshausen - gemeinsam mit dem Großkraftwerk, das vier Jahre zuvor einen Rückzieher gemacht hat. Außerdem soll in Neupotz, nahe dem rheinland-pfälzischen Wörth, Atomenergie produziert werden.

Eine solche Dichte sorgt selbst in der (noch) atomfreundlichen Ära für Debatten. „Kernkraftwerke in Ballungszentren - wirtschaftliche Notwendigkeit oder gefährliches Experiment“ fragt ein öffentliches Forum, das der seinerzeitige Chefredakteur des „Mannheimer Morgen“ moderiert. Trotz kritischer Anmerkungen sehen die geladenen Experten wie auch Mannheims damaliger Oberbürgermeister Ludwig Ratzel keine Alternative zum atomaren Strom.

„Außerordentlich geringes Risiko“

Selbst das Institut für Reaktorsicherheit redet das Gefahrenpotenzial klein: Im Vergleich zu Verkehrskarambolagen, Bränden oder Tornados seien die Risiken für nicht mehr kontrollierbare Störfälle „außerordentlich gering“ zitieren Medien einen Physiker dieses Instituts. Immerhin werden Bürger, die sich gegen Atomprojekte aussprechen, nicht länger als Fanatiker, Schwärmer oder Naturapostel abgetan.

Als die Bundesregierung 1976 eine Richtlinie erlässt, wonach Atomkraftwerke einen Mindestabstand von 425 Meter zum Rheinufer einhalten müssen, wird schon bald von einer „Lex BASF“ gemutmaßt. Schließlich kippt Bonn den Plan, in der nicht einmal 50 Meter vom Fluss entfernten Werksmitte ein KKW zu errichten. Dem Konzernvorstand ist klar, dass bei einer Standortverschiebung nach Frankenthal die Genehmigungsprozedur von vorn begonnen würde - mit zeitlichen wie finanziellen Unwägbarkeiten.

So beschließt der Chemiekonzern die bislang für das Atomprojekt aufgelaufenen 36 Millionen Mark als „versunkene Kosten“ abzuschreiben. Für eine gewisse Ironie sorgt, dass dort, wo die BASF ihr Kernkraftwerk plante, heute ein Kohlekraftwerk steht. Bekanntlich ist der auf der anderen Rhein-Seite vorgesehene Atomreaktor Mannheim-Kirschgartshausen ebenso verworfen worden wie jener in Neupotz. Inzwischen ist das Bibliser AKW längst stillgelegt und wird rückgebaut.

Bleibt noch anzumerken: 1976, als sich die BASF von ihrer Atom-Vision verabschiedet, steht in einer fernen ukrainischen Stadt namens Tschernobyl ein Kernkraftwerk kurz vor seiner baulichen Vollendung. Dass zehn Jahre später, im April 1986, dort ein Block explodieren und eine Nuklearkatastrophe auslösen wird, das hat seinerzeit wohl kaum jemand für möglich gehalten. Weder in der Wirtschaft noch in der Politik.

Freie Autorin

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