Göteborg/Köln. Kaum fährt man drei, vier km/h über dem Tempolimit, fiept und blinkt es im Cockpit des neuen Prius. In dem Hybridauto setzt Toyota bereits jetzt die neuesten Sicherheitsregeln der EU um und hat deshalb einen Geschwindigkeitswarner eingebaut, der eigentlich erst 2024 Pflicht für alle Neuwagen wird. Selbst wenn man den Warner ausschaltet, ist er nach dem nächsten Anlassen wieder aktiv. Kaum ein Auto, das in diesen Wochen vorgestellt wird, kommt ohne diesen erhobenen Zeigefinger in den Handel, egal ob Neuentwicklung oder Modellpflege.
Mit solchen Sicherheitssystemen verfolgt die EU gute Absichten, stellt die Geduld vieler Autofahrer aber mitunter auf eine harte Probe. Feststeht: Der Einfluss der Elektronik nimmt zu. Lange bevor der Autopilot reif ist, vollends das Kommando zu übernehmen, haben sich Assistenzsysteme zu teils vorlauten Besserwissern entwickelt, die dem Menschen im Dienst der Sicherheit sehr genau auf die Finger schauen.
Ging es dabei bislang meist ums Fahren selbst, also um Tempo, Abstand oder Fahrspur, rückt nun zusehends der Fahrer ins Blickfeld. Was einst ein simpler Müdigkeitswarner war, überprüft neuerdings mit gestrengen Kameraaugen die Aufmerksamkeit und setzt einen Ordnungsruf ab, sobald der Blick zu lange auf der Navi-Karte oder – verbotenerweise – gar auf dem Smartphone-Display geruht hat.
Die Augen im Blick
Ein besonders ausgefeiltes Aufmerksamkeitssystem verbaut Volvo in seinem E-SUV EX90. „Wir beobachten, wohin der Fahrer schaut und wie oft und wie lange seine Augen geschlossen sind“, erläutert Emma Tivesten vom Volvo-Safety-Center in Göteborg. „Dadurch können wir viel über seinen aktuellen Gemüts- und Gesundheitszustand erfahren und ihm situationsgerecht zusätzliche Hilfe anbieten.“
Das beginnt mit einem einfachen akustischen Warnsignal, dessen Lautstärke mit dem Gefahrenpotenzial der Situation zunimmt. Reagiert der Fahrer nicht auf die immer deutlicher werdenden Warnungen, kann das Auto sogar selbstständig am Straßenrand anhalten und andere Verkehrsteilnehmer durch Einschalten des Warnblinklichts warnen, erläutert Volvo.
Mit der ausgefeilteren Innenraum-Überwachung erhalten auch Schussel zunehmend Unterstützung: Immer mehr Hersteller wie Mercedes, Audi oder Porsche erinnern beim Aussteigen etwa daran, bloß nicht das gekoppelte Mobiltelefon im Auto liegen zu lassen.
Und Marken wie Kia oder Hyundai mahnen, noch einmal nach dem Nachwuchs und dem Haustier auf der Rückbank zu schauen. Volvo setzt beim EX90 sogar auf ein Innenraum-Radar, mit dem die gesamte Kabine überwacht wird: Egal ob Kind oder Katze: Registriert die Elektronik noch ein Lebewesen im Wagen, lassen sich zum Beispiel die Türen nicht ohne weiteres verriegeln.
Was nicht ohnehin schon vom Gesetzgeber als sicherheitsrelevante Serienausstattung vorgeschrieben ist, forciert etwa die Prüforganisation Euro NCAP mit ihrem Punkte-Schema. Die Abkürzung steht für European New Car Assessment Programme, was so viel bedeutet wie Europäisches Neuwagenbewertungsprogramm. Weil die fünf Sterne im Euro-NCAP-Test nach wie vor als Goldstandard für Sicherheit in der Autowelt gelten, erfüllen die Hersteller – wenn immer möglich – freiwillig die Euro-NCAP-Vorgaben, auch wenn sie über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen.
Allerdings provozieren Assistenzsysteme mitunter auch Ärger und Unbill. In Internetforen häufen sich die Berichte genervter Autofahrer. Und auch Experten haben bereits mögliche Nachteile identifiziert: „Auch wir sehen in unseren Untersuchungen, dass Fahrerassistenzsysteme Systemgrenzen haben, die erwartete Wirkungen einschränken oder zu unangemessenen Eingriffen führen“, sagte etwa kürzlich Allianz-Unfallforscher Marcel Borrack dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“.
Nach einer Mitgliederbefragung kommt der Österreichische Automobilclub ÖAMTC zu dem Schluss: „Moderne Assistenzsysteme können die Sicherheit erhöhen, bei der Zuverlässigkeit muss aber noch dringend nachgebessert werden.“ Währenddessen nimmt die Zahl der Assistenten weiter zu, wie der ÖAMTC mit Blick in die Zulassungsvorschriften erhoben hat. tmn
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/wirtschaft/auto_artikel,-auto-besserwisser-im-dienst-der-sicherheit-_arid,2087937.html
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar SUV-Fahrerinnen und -Fahrern ist Umweltschutz egal