Berlin. Außergewöhnlich viele Menschen leiden derzeit an Atemwegsinfekten. Schätzungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) gehen von etwa 9,5 Millionen aus. „Die Werte liegen aktuell sogar über dem Niveau der Vorjahre zum Höhepunkt schwerer Grippewellen“, heißt es im Wochenbericht der Arbeitsgemeinschaft Influenza. Millionen Infizierte mit dem RS-Virus, Zehntausende mit Grippe oder Corona. Hinzu kommt eine hohe Dunkelziffer nicht erfasster Erkrankungen.
Der Grund für diese Welle ist zuvorderst die Jahreszeit. Herbst und Winter bieten Erregern gute Bedingungen. Es ist feucht und kalt, die Sonne scheint nur wenige Stunden. Erreger halten sich stabil, sie haben Saison. Darüber hinaus treffen sie auf eine Bevölkerung, die sich nicht nur wieder ungeschützt in der Öffentlichkeit bewegt und sich viel in Innenräumen aufhält. Sie ist auch wegen der mit Corona verbundenen Auflagen der vergangenen Monate in einer Sondersituation.
Immunsystem im Ruhemodus
Aus immunologischer Sicht ist das aber nicht nachvollziehbar: „Das sogenannte systemische Immunsystem in Blut, Lymphknoten, Milz und Knochenmark entwickelt sich autonom. Es ist nicht durch das Reduzieren respiratorischer Infekte - egal, ob durch das Tragen von Masken oder andere Regeln - beeinträchtigt worden“, sagt die Präsidentin der Gesellschaft für Immunologie, Christine Falk. Dass die Auflagen das Abwehrsystem grundsätzlich schlechter gemacht hätten, könne man so nicht sagen.
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Auch die Vermutung, dass jede Corona-Infektion das Immunsystem nachhaltig beschädigt haben könnte, wie einige Wissenschaftler schreiben, ist umstritten: Aus immunologischer Sicht sei nicht nachvollziehbar, dass eine unkomplizierte Sars-CoV-2-Infektion das Immunsystem nachhaltig schwäche, sagte Reinhold Köhler, Leiter des Instituts für Immunologie an der Medizinischen Hochschule Hannover, in einem Interview mit dem „Spiegel“. Und doch: Die Pandemie hat durchaus Folgen fürs Abwehrsystem -durch fehlende Kontakte mit bestimmten Erregern sei das systemische Immunsystem vieler Menschen in eine Art Ruhemodus gegangen, erklärt Falk. „Es muss dann bei einem Infekt erst anlaufen und den Erreger aktiv bekämpfen.“ Das dauere gegebenenfalls länger, es komme zu Symptomen.
Generell kurzlebiger ist das mukosale Immunitätssystem, also der lokale Schutz im Nasen-Rachen-Raum, der im Idealfall bereits verhindert, dass ein Virus in die Zellen gelangt und Symptome auslöst. Auch dieses System sei bei fehlendem Kontakt zu respiratorischen Erregern nicht gefechtsbereit, so Falk. „Man spürt das durch mehr Infektionen und erwirbt sich erst dadurch wieder diesen lokalen Schutz.“
Was der Körper braucht
- Zu den wichtigen Vitaminen gehören laut Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) die Vitamine A (tierische Lebensmittel, vor allem Leber), C (Beeren, Zitrusfrüchte, Paprika und Kohlgemüse) und D (durch Sonneneinstrahlung und in fettreichen Fischen, Steinpilzen, Eiern).
- Zu den Mineralstoffen zählen Kalium, Jod, Selen (Nüsse), Kalzium, Zink (Fleisch, Milch, Käse sowie Hülsenfrüchte und Vollkornprodukte), Magnesium und Eisen.
- Das BZfE empfiehlt auch Ballaststoffe und Aminosäuren, sekundäre Pflanzenstoffe sowie Omega-3-Fettsäuren.
Wer im Internet danach sucht, ob sich das Immunsystem in irgendeiner Art verbessern lasse, bekommt dazu Tausende Vorschläge. Oft sind diese verbunden mit der Einnahme medizinischer oder pflanzlicher Präparate.
Einseitige Ernährung vermeiden
„Prinzipiell wehre ich mich gegen die Einstellung, dass man sein Immunsystem stärken muss“, sagt Immunologe Carsten Watzl der Deutschen Presse-Agentur. Die meisten Menschen würden mit einem gut funktionierenden Immunsystem geboren. Hilfreich aber sei es, jene Anforderungen zu erfüllen, die das Immunsystem brauche, um gut arbeiten zu können. „Wenn ich dem Immunsystem nicht gebe, was es braucht, relativ viel Energie, einige Spurenelemente und Vitamine, dann funktioniert es schlechter“, sagt Watzl).
Wer sich einseitig ernähre, vermindere die Abwehrkräfte, so der Immunologe. Das gelte auch für zu wenig Schlaf und Bewegung oder zu viel Stress. „Dann ist das Beste, was man machen kann, diese Schwächung abzustellen“, sagt Watzl. Ab einem gewissen Punkt aber sei es dann unmöglich, aus dem Immunsystem noch mehr herauszuholen. „Grenzenloses Optimieren funktioniert nicht.“
Ein Beispiel dafür sind Watzl zufolge Vitamin-D-Tabletten. Tatsächlich können sie Studien zufolge Infektionen verhindern. Sie stärken also das Immunsystem. „Das funktioniert aber nur bei Menschen, die vorher einen Vitamin-D-Mangel hatten. Wenn ich keinen Mangel habe, bringt es überhaupt keinen zusätzlichen Benefit“, sagt Watzl. Und auch eine Wunderpille, die das Immunsystem in seiner Gesamtheit boostert, gebe es nicht.
Das unterstreicht auch Virologe Hendrik Streeck in seinem Bestseller „Unser Immunsystem. Wie es Bakterien, Viren & Co. abwehrt“. Die Stärkung der Abwehr bestehe aus einem Gesamtpaket aus ausgewogener Ernährung, Sport, Entspannung und psychologischen Aspekten. „Es ist erwiesen, dass ein insgesamt glücklicher und stressresistenter Mensch seltener krank ist“, schreibt Streeck.
Nikotin schwächt den Körper
Bewusst richtet der Virologe den Blick auch auf jene Dinge, die dem Immunsystem schaden: das Rauchen zum Beispiel. „Mit dem Rauch werden rund 4500 Stoffe aufgenommen, von denen viele als Modulator der Immunfunktion agieren können.“ Der bekannteste, das Nikotin, habe nachweislich einen schwächenden Effekt aufs Immunsystem, indem es die Weitergabe der Signale behindere, die den Abwehrkampf von Erregern auslösten. „Neben dieser direkten Wirkung sehen Immunologen und Neurobiologen auch eine indirekte“, so Streeck. Nikotin wirke negativ aufs zentrale Nervensystem, das im regen Austausch stehe mit dem Immunsystem.
Ebenfalls schlecht für die Abwehr, so Streeck: Alkohol. Zwar erhöhe dessen Konsum zunächst die Produktion von Immunzellen, kehre sich dann aber rasch ins Gegenteil um: „Die Zahl natürlicher Killerzellen im Blut sinkt, dafür steigt die Konzentration anderer Zellen, die das Immunsystem drosseln.“
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