Kriminalität

Kriminologin: Amoktaten und Anschläge kündigen sich oft an

Die jüngste Häufung von Anschlägen und Amoktaten - wie etwa in Mannheim - sorgt für Verunsicherung. Kriminologen halten die Taten für vermeidbar.

Von 
Anne-Béatrice Clasmann
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Die jüngste Häufung von Amoktaten - wie hier in Mannheim - sorgt für Verunsicherung. © action press

Berlin. Nach den Amoktaten und Anschlägen der vergangenen Monate hat die Kriminologin Britta Bannenberg Politiker aufgefordert, verbal abzurüsten. Anstatt die Tat eines Ausländers zum Anlass für eine schrille Migrationsdebatte zu nehmen, wäre es besser, Strukturen für eine bessere polizeiliche Gefährdungseinschätzung möglicher Amoktäter zu schaffen, sagte die Rechtswissenschaftlerin von der Universität Gießen. Viele der Taten seien vermeidbar, wenn man die entsprechenden Hinweise und Andeutungen richtig zu deuten wisse.

„Ich rate zur Zurückhaltung im Ton“, fügte die Gießener Professorin hinzu. Das gelte ausdrücklich auch für den CDU-Vorsitzenden, Friedrich Merz. Es sei zwar legitim, wenn sich dieser für Fortschritte bei Abschiebungen von Ausreisepflichtigen einsetze. Mit „populistischen Äußerungen“ über Migration in einer Phase, in der die Gesellschaft ohnehin schon großem Stress ausgesetzt sei, habe Merz im Bundestagswahlkampf aber womöglich „Migranten getriggert, die sich hier nicht ganz zu Hause fühlen“.

Der Amoktäter lässt sich vom Islamisten anregen, und der Rechte wird vom Islamisten inspiriert
Kriminologin Britta Bannenberg

Ein weiterer möglicher Auslöser für Amoktaten sei eine sensationsheischende Berichterstattung über Gewalttaten, wobei Nachahmungseffekte nicht auf das eigene Milieu beschränkt seien. „Der Amoktäter lässt sich vom Islamisten anregen, und der Rechte wird vom Islamisten inspiriert“, sagte Bannenberg. Allen einzeln handelnden Tätern gehe es um „maximale Aufmerksamkeit“.

Rowenia Bender und Kristin Weber vom Zentrum für kriminologische Forschung Sachsen an der TU Chemnitz warnen: „Eine sensationsgeleitete oder vorschnelle Berichterstattung kann bei empfänglichen Personen dazu führen, dass sie in einem gleichen oder ähnlichen Modus Operandi eine solche Tat ausführen könnten.“

Grundsätzlich wirkten solche Trigger-Effekte auf Menschen, die bereits mit dem Gedanken spielten, eine Gewalttat zu begehen, sagte Bannenberg. „In den letzten sechs Monaten vor der Tat machen diese Menschen Andeutungen“, erklärt die Forscherin.

Ihr „Beratungsnetzwerk Amokprävention“ richtet sich an Menschen, die sich mit ihren Beobachtungen über Menschen, die sich im Netz oder in ihrem Umfeld auffällig verhalten, entweder nicht selbst an die Polizei wenden wollen oder sich von den Beamten nicht ernst genommen fühlen. Aktuell sei „wirklich mehr Dampf im Kessel“, sagt sie. Mit durchschnittlich zwei Anfragen pro Tag sei das Netzwerk momentan stärker gefragt als sonst.

Die Polizeibehörden der Länder sind, was den Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen angeht, unterschiedlich gut aufgestellt. Vor allem auf dem Land sind psychologische Gutachter oft nicht kurzfristig greifbar – schon gar nicht nachts oder am Wochenende.

Lehren aus dem Attentat von Hanau?

Ohne deren Hilfe sei es aber für Polizeibeamte oft schwierig, einzuschätzen, ob ein schimpfender Bürger, der merkwürdige Theorien verbreitet oder unterschwellige Drohungen ausspricht, eine Gewalttat vorbereitet oder nur Dampf ablassen will.

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Nach dem Attentat von Hanau war auch im Bundestag darüber debattiert worden, wie verhaltensauffällige Menschen mit Gewaltneigung, die im schlimmsten Fall auch noch Waffenbesitzer sind, frühzeitig gestoppt werden können. Am 19. Februar 2020 hatte ein Deutscher in der hessischen Stadt neun junge Menschen aus rassistischen Motiven erschossen. Danach tötete er seine Mutter und sich selbst. Wenige Monate vor der Tat hatte sich der spätere Attentäter, der über eine Waffenbesitzkarte verfügte, mit kruden Verschwörungstheorien an die Bundesanwaltschaft gewandt.

Amokpräventionszentrum wird eingerichtet

Der hessische Innenminister Roman Poseck (CDU) kündigte im vergangenen Juni an, um künftig früher auf mögliche Täter aufmerksam zu werden, werde beim Landesamt für Verfassungsschutz ein Amokpräventionszentrum eingerichtet, in dem sich die Sicherheitsbehörden eng austauschen. Beim Landesamt gebe es zudem neue Vorgaben zum Umgang mit auffälligen Bürgereingaben. Damit sollen diejenigen, die tatsächlich gefährlich sind, besser von nicht gefährlichen Querulanten unterschieden werden können.

Der Innenminister kündigte zudem an, sich dafür einzusetzen, dass keine Waffen in die Hände von psychisch Erkrankten gelangen. Derzeit werde darüber beraten, wie Waffenbehörden noch besser durch Ärzte und Kliniken über psychische Erkrankungen informiert werden können.

Kriminologin weist auf Risikofaktoren hin

Bannenberg hat nach der Analyse einer Vielzahl von Gewalttaten eine Reihe von Risikofaktoren identifiziert. Junge Amoktäter seien meist männlich, jünger als 24 Jahre, sozial unauffällig, psychopathologisch auffällig, nicht impulsiv. Häufig deuteten sie Tatpläne im Internet oder im sozialen Umfeld an, wobei direkte Drohungen die Ausnahme seien.

Ältere Amoktäter hegten häufig Suizidgedanken. Bei einem Drittel von ihnen spiele Alkohol- beziehungsweise Drogenmissbrauch eine Rolle. Überdurchschnittlich häufig finde man in dieser Gruppe unter anderem narzisstische Persönlichkeitsstörungen, bestimmte psychische Erkrankungen sowie Menschen, die ein sozial zurückgezogenes Leben führten. dpa

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