Gastbeitrag

Die Mafia, der unbekämpfte Feind?

Sie taugt als Vorlage für spektakuläre Kriminalromane, doch was steckt hinter der Mafia? Und wie wird sie bei uns ausreichend bekämpft? Ein Gastbeitrag von Alessandro Bellardita

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Alessandro Bellardita
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Auch in Deutschland wird viel Geld von der Mafia gewaschen. © Istock

Mannheim. Nach einer Studie US-amerikanischer Forscher betrug die Masse aller während der Corona-Pandemie weltweit in Menschen zirkulierenden Sars-CoV-2-Viruspartikel – einer Hochrechnung zufolge – zwischen 100 Gramm und zehn Kilogramm. Ein erstaunlich kleines Gewicht in Anbetracht der verheerenden Auswirkungen des Coronavirus auf unser aller Leben.  

Ebenso verhält es sich mit der Mafia: Der 1992 von der Cosa Nostra ermordete Ermittlungsrichter Giovanni Falcone verglich im Rahmen eines Vortrags in Wien im Jahre 1990 die italienische Mafia mit einer Pandemie. Allein schon die Präsenz weniger Mafiosi in einem Land kann dramatische sozial-ökonomische Folgen auf einen Staat haben.

Wenn nach der aktuellen Schätzung des Bundeskriminalamtes zirka 1000 Mafiosi (nach den Erkenntnissen von italienischen Behörden sind es weitaus mehr) in Deutschland leben, mag dies auf den ersten Blick nicht viel erscheinen. Aber der Schein trügt: Experten schätzen, dass die italienische organisierte Kriminalität allein in Deutschland bis zu 30 Milliarden Euro pro Jahr durch Investitionen in Wirtschaft und Immobilien reinwäscht und für etwa 80 Prozent des weltweiten Rauschgifthandels unmittelbar oder mittelbar verantwortlich ist. Wenige Akteure sorgen damit für einen immensen Schaden für die Wirtschaft, die Gesellschaft sowie für unser demokratisches System.  

Dringende Reform des Strafrechts 

Angesichts dieser Erkenntnisse ist es umso erstaunlicher, dass in Deutschland der Straftatbestand der Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) bis heute nur ein Vergehen und kein Verbrechen darstellt. Anders formuliert: Der Strafrahmen reicht von einer Geldstrafe bis zu einer Höchstfreiheitsstrafe von fünf Jahren.

Strafrichter und Autor Alessandro Bellardita. © Bellardita

Strukturermittlungen im Bereich der organisierten Kriminalität – beginnend bei den Landeskriminalämtern, in manchen Fällen auch beim Bundeskriminalamt, bis hin zu den örtlich zuständigen Staatsanwaltschaften – sind äußerst ermittlungsintensiv. Sie erfordern den Einsatz einer hohen Anzahl von Personal, darunter auch Übersetzer sowie verdeckte Ermittler, und verursachen in der Folge hohe Kosten.  

Ermittlungen erfordern viel Personal

Nur als Beispiel: Die längerfristige Observierung einer überschaubaren Gruppierung bestehend aus fünf Personen – welche auch Telekommunikationsmaßnahmen und den Einsatz spezieller Ermittlungsmethoden erfordert – bedarf des Einsatzes von mindestens 50 Personen. Da die Akteure der italienischen organisierten Kriminalität nur selten unmittelbar in den Rauschgifthandel verwickelt sind, sondern als Drahtzieher im Hintergrund die Fäden ziehen, können die anfänglichen Ermittlungen keinen hinreichenden Verdacht in Bezug auf Verbrechenstatbestände mit hohen Rechtsfolgen (wie z.B. der bandenmäßige Drogenhandel, Mindestfreiheitsstrafe von 5 Jahren, Höchstfreiheitsstrafe von 15 Jahren) liefern.

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Es bleibt lediglich der Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Mit Blick auf die hohen Kosten, die durch weitere Ermittlungsmaßnahmen hervorgerufen werden würden und die geringe Rechtsfolge des § 129 StGB werden die Ermittlungen jedoch als nicht lohnenswert im Keim erstickt.

Hintermänner werden in Deutschland kaum verfolgt

Die aktuell geltende Rechtslage führt somit dazu, dass in Deutschland Strukturermittlungen gegen die italienische organisierte Kriminalität kaum vorkommen. Um es ähnlich wie die ehemalige Staatsanwältin Anne Brorhilker auszudrücken: Man begnügt sich damit, nur die „kleinen Fische“ zu fangen, statt die wahren Hintermänner zu verfolgen. So verwundert es einen nicht, dass der Vorsitzende von mafianeindanke e.V., Sandro Mattioli, konstatiert: „Der Mafia geht es in Deutschland sehr gut“. 

Um aber das Leben der Mafiosi in Deutschland zu erschweren und der einer Pandemie ähnelnden Ausbreitung entgegenzuwirken, muss der Gesetzgeber den Straftatbestand des § 129 StGB deutlich verschärfen. Italien hat diesen Schritt bereits 1982 vollzogen. Auf der Grundlage eines Gesetzesentwurfs des italienischen Abgeordneten Pio La Torre, der schon als junger Aktivist in Sizilien der Mafia die Stirn bot, trat im September 1982 der Straftatbestand der Bildung einer mafiösen Vereinigung in Kraft. Höchstfreiheitsstrafe 20 Jahre.

Zentralisierung der Ermittlungsbehörden 

Zugleich wurde die Möglichkeit geschaffen, das Vermögen der Mafiosi zu konfiszieren. Wobei nicht der Staat, sondern der Mafiosi nachzuweisen hat, dass das Vermögen legal erworben wurde. Dass Pio La Torre im April 1982 ermordet wurde, zeigt, dass diese Maßnahmen der Mafia nicht nur ein Dorn im Auge waren, sondern als regelrechte Bedrohung empfunden wurden. Hätte der italienische Gesetzgeber den Entwurf von Pio La Torre nicht umgesetzt, wäre der durch Giovanni Falcone und Paolo Borsellino initiierte Maxiprozess mit 415 Angeklagten niemals möglich gewesen.  

Gastautor Alessandro Bellardita

  • Dr. Alessandro Bellardita ist Strafrichter und Autor. Er schreibt seit Jahren über das Thema "Mafia in Deutschland" und hält deutschlandweit Vorträge.
  • Er ist Lehrbeauftragter für Staats- und Europarecht an der Hochschule für Rechtspflege Schwetzingen und ist Mitglied von mafianeindanke.
  • Sein vorerst letzter Roman, ein Krimi, heißt "Die sizilianische Akte" (AKRES, 2024).
  • In Mannheim wird er am 15. November 2024 an der Lindenhofer Kriminacht mit einer Lesung aus seinem Buch teilnehmen.
  • Am 20. November 2024 findet eine Podiumsdiskussion in der Abendakademie Mannheim statt, an welcher er als Referent teilnehmen wird.

Die Verschärfung des § 129 StGB ist eine notwendige, aber nicht allein ausreichende Maßnahme zur Bekämpfung der italienischen organisierten Kriminalität. Es bedarf zudem einer kopernikanischen Wende in der Aufstellung unserer Ermittlungsbehörden: Einer der wichtigsten Beiträge von Giovanni Falcone im Kampf gegen die Mafia bestand darin, bereits in den 1980er Jahren erkannt zu haben, dass nur eine auf nationaler Ebene angesiedelte Schwerpunktstaatsanwaltschaft, die Wissen und Ermittlungsorganisation konzentriert, erfolgreiche Ermittlungen durchführen kann. Diese Idee wurde in Italien 1993 durch die Gründung der nationalen Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft umgesetzt. In Deutschland existiert im Bereich der organisierten Kriminalität nichts Vergleichbares.

Exemplarisch sei hier angemerkt, dass die Verhaftungen im Mai 2023 im Rahmen der Ermittlungen gegen die international agierende 'Ndrangetha (Operation „Eureka“) in Deutschland den Einsatz von 9 Ermittlungsbehörden erforderte. Hier greift das allseits bekannte Sprichwort „zu viele Köche verderben den Brei“. Die Konsequenz ist folgenreich: Einmal entstandenes Know-how geht schnell verloren und führt nicht immer zu anschließenden Ermittlungen. Vielmehr begnügt man sich meist mit der Umsetzung internationaler Rechtshilfeersuchen – meistens aus Italien kommend – die in der deutschen Öffentlichkeit als eigene Ermittlungserfolge dargestellt werden.  

Antimafia-Forschung müsste ausgebaut werden

Ein weiteres großes Manko betrifft die Forschung. Obwohl wir wissen, dass das organisierte Verbrechen seit den 1980er Jahren in Deutschland wütet, gibt es in diesem Bereich kaum wissenschaftliche Untersuchungen. Strafrechtslehrstühle mit einem Forschungsschwerpunkt Organisierte Kriminalität sind in Deutschland Mangelware. Nur äußerst selten gibt es interdisziplinäre Forschungsprojekte zu den Folgen der organisierten Kriminalität auf die Gesellschaft.

Die Konsequenz liegt auf der Hand: Der öffentliche Diskurs – der zu diesem Thema ohnehin nur äußerst selten stattfindet – kann sich zumeist nur auf Spekulationen und gewagte Hochrechnungen weniger Experten stützen. Die meisten validen Informationen stammen aus Italien, wo dieses Thema in der Wissenschaftswelt fest verankert ist. Wir wissen beispielsweise aus Ermittlungsergebnissen italienischer Behörden, dass vor allem die 'Ndrangheta seit den 1990er Jahren in vielen deutschen Großstädten Unmengen an Bargeld in Immobilien investiert hat, doch konkrete Zahlen gibt es mangels Forschung hierzu nicht.

Diese Vernachlässigung führt dazu, dass kein öffentliches Bewusstsein für die Gefahren, die von der organisierten Kriminalität ausgehen, besteht. Es bedürfte nicht nur einer Sensibilisierung im gemeingesellschaftlichen Diskurs, sondern auch der öffentlichen Verwaltung, um nicht unbewusst Werkzeug der organisierten Kriminalität zu werden. Diese bittere Pille musste auch Norditalien schlucken, als Anfang der 2000er Jahre deutlich wurde, dass die Mafia sich inzwischen auch in Norditalien eingenistet hatte. 2015 standen in Reggio Emilia 115 Mitglieder der 'Ndrangetha vor Gericht. Das heißt in einer norditalienischen Region, in der einige Jahre zuvor noch niemand wahrhaben wollte, dass die Mafia auch dort ihr Unwesen treibt.  

Unterstützung des investigativen Journalismus 

Die Verschärfung des § 129 StGB hätte nicht nur direkte Folgen auf die Ermittlungsarbeit, sondern auch beispielsweise auf die äußerst wichtige Tätigkeit von Investigativ-Journalisten und Journalistinnen. Allzu oft wurden in der Vergangenheit Journalisten und Journalistinnen, die in Deutschland über das Thema Mafia berichtet haben, durch Einschüchterungsversuche der Mafia beeinträchtigt. Wohl wissend, dass in Deutschland durch die von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze zur Verdachtsberichterstattung den Journalisten und Journalistinnen hohe Hürden auferlegt werden.

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Sie konnten daher durch zivilrechtliche Verfahren mundtot gemacht werden oder zumindest dazu gebracht werden, keine konkreten Personenangaben mehr in ihren Berichten aufzunehmen. Wäre § 129 StGB ein Verbrechenstatbestand (Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr), würde – ähnlich wie bei Berichten über terroristische Aktivitäten – nach den Grundsätzen der Verdachtsberichtbestattung die Abwägung zwischen öffentlichem Interesse und Persönlichkeitsschutz zugunsten des öffentlichen Interesses ausfallen.  

Nach der Ermordung des leitenden Oberstaatsanwaltes Rocco Chinnici wurde Giovanni Falcone von einem Journalisten gefragt, ob es noch Hoffnung im Kampf gegen Mafia gebe. Falcone antwortete: „Die Mafia ist ein menschliches Phänomen. Und als solches hat sie einen Anfang, eine Entwicklung und wird irgendwann ein Ende haben. Doch damit uns dies gelingt, bedarf es eines entsprechenden politischen Willens und des Einsatzes der besten Kräfte des italienischen Staates.“  

Obwohl wir uns in Deutschland derzeit in einer dramatischen Entwicklungsphase der italienischen organisierten Kriminalität befinden, sind wir bei der Implementierung effektiver Gegenmaßnahmen weit abgehängt. Daher sollte der Gesetzgeber endlich die Initiative ergreifen. 

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