Viernheim. „Wir sind an einem Punkt, an dem wir ratlos sind“, gibt Pfarrer Ronald A. Givens zu. Die katholische Kirche muss ihren Gebäudebestand reduzieren, die künftige Nutzung von Kirchen ist ungewiss. Für die notwendigen anstehenden Veränderungen hat die Gemeinde nun die Stadt um Rat gefragt – das Ergebnis ist eine Zusammenarbeit von Kirche und Kommune und die Einbindung der Bürger in den Entscheidungsprozess.
Bürgermeister Matthias Baaß, Erster Stadtrat Jörg Scheidel, Pfarrer Ronald A. Givens, Verwaltungsleiterin Christina Arnold, Koordinatorin Angela Eckart und die Pfarreiratsvorsitzende Ursula Scheidel präsentieren die gemeinsamen Überlegungen, wie man zu einer Lösung für die Frage nach dem Umgang mit den Kirchengebäuden kommt.
Die Situation der katholischen Kirche hat sich nicht nur in Viernheim, sondern ebenso im Bistum Mainz und in ganz Deutschland verändert. Sinkende Katholikenzahlen und weniger Gottesdienstbesucher führen zu einer Zusammenlegung von Gemeinden – und übrig bleiben Kirchen und Gebäude, die nicht mehr genutzt werden. „Wo es früher vier Gemeinden gab, gibt es heute nur eine Großpfarrei. Wir haben immer noch vier Kirchorte, aber nur die Apostelkirche wird für Gottesdienste genutzt. Wenn drei Kirchen nun für ihren ursprünglichen Zweck nicht mehr benötigt werden, stellt sich die Frage nach ihrer zukünftigen Nutzung“, führt Stadtrat Scheidel ein.
Bürger sollen an Entscheidungen beteiligt werden
Kirchen hatten und haben eine prägende Wirkung auf das Leben im Stadtgebiet, im Stadtviertel, im Stadtteil. „Jede Entscheidung der Pfarrei hat Einfluss auf die Stadt“, begründet Bürgermeister Baaß, warum Stadt und Kirche die weitere Entwicklung der betreffenden Standorte gemeinsam betrachten wollen. Zudem sollen Bürger eingeladen werden, sich an dem Prozess zu beteiligen – ähnlich wie es die Stadt bei der Entwicklung des Baugebiets Nordwest II zuletzt durchgeführt hat.
Statt vier Priestern – wie noch in nicht allzu ferner Vergangenheit – sitzt beim Gespräch nur noch ein Pfarrer für eine Viernheimer Gemeinde am Tisch. Mit dabei sind aber auch drei Frauen: „Das tut uns gut, das bringt auch andere Blickwinkel“, erhofft sich Givens das Gleiche von der Unterstützung der Stadt und von dem Beteiligungsprozess.
Wichtig ist beiden Partnern, dass die Bevölkerung eingebunden wird und nicht nur kirchliche Gremien beratschlagen. „Viele Viernheimer, die heute nicht mehr zu den Gottesdienstbesuchern und aktiven Gemeindemitgliedern zählen, haben einen emotionalen Bezug zu den Kirchen“, weiß der Stadtrat und der Bürgermeister ergänzt: „Wir laden Menschen ein, die bereit für offene Lösungen sind und bereit sind, Entscheidungen zu akzeptieren.“
Die Bürger müssten verstehen, in welcher Not die Kirchen sind, sagt Pfarrer Givens: „Keinem Gebäude tut es gut, wenn es leer steht und nicht genutzt wird. Gebäude aber verfallen lassen, weil sich nichts verändern darf, ist aber eine tödliche Lösung.“
Konkret wird in den nächsten Monaten über die Zukunft von drei Kirchen und der dazugehörigen Pfarrhäuser und Pfarrheime beraten. Im Zuge des pastoralen Wegs wurden Gebäude nach vorgegebenem Bistumssystem bewertet. „Anhand der Kategorisierung erfolgt die Unterhaltsbezuschussung durch das Bistum, alle anderen Kosten muss die Gemeinde selbst aufbringen“, erinnert Ursula Scheidel.
Die Apostelkirche wird in Kategorie 1 einsortiert, eine Kirche, die beibehalten wird. „Sie ist prägend und dominant, bindet unsere gesamten Ressourcen“, führt Givens aus.
Die Kirche St. Michael und die Marienkirche gehören in die dritte Kategorie – eine Aufgabe oder Umnutzung in den nächsten Jahren wird unumgänglich sein. „Das ist für viele schmerzhaft, weil sich Lebensgeschichten mit Gebäuden verbinden“, so der Pfarrer.
Kirchen der Kategorie 4 werden ganz aufgegeben. Dazu zählt die Hildegardkirche, seit Jahren baufällig und geschlossen. „Es gab bereits einen Plan, der sich aber zerschlagen hat“, berichtet Givens, „deshalb starten wir da bei Null und beziehen diese Kirche und das Gelände in die Überlegungen mit ein.“
Stadtrat Scheidel erklärt, dass man Lösungen brauche, die dem Denkmalschutz entsprechen und die die Rahmenbedingungen jeder Kirche beachten. „Man kann nicht alles in den Kirchen machen“, erläutert der Dezernent und betont: „Wir wollen das kulturelle Erbe behalten, aber gleichzeitig die Kirchorte durch andere Konzepte wieder beleben.“
Eine Absichtserklärung („Letter of Intent“) bildet die Grundlage für den Beteiligungsprozess zur zukünftigen Nutzung von Kirchengebäuden. „Die Kirche führt den Prozess und wird dabei von der Stadt unterstützt“, macht Scheidel klar. Die Absichtserklärung hat keine rechtliche Bindungswirkung.
Bauausschuss diskutiert erstmals am 12. November
Für die Bürgerbeteiligung wird ein externes Büro beauftragt, „mit internen Kräften ist das nicht zu leisten“, sagt der Stadtrat. Die Kosten werden von der Kirchengemeinde (60 Prozent) und der Stadt (40 Prozent, maximal 16 000 Euro) gemeinsam getragen.
Der Bürgerbeteiligungsprozess soll mit einer Bürgerinformationsveranstaltung starten und etwa ein Jahr lang dauern. Diesem gemeinsamen Weg von Stadt und Kirche muss das Stadtparlament noch zustimmen. „Es ist wichtig, dass sich auch die Stadtverordneten dafür aussprechen“, bekräftigt Baaß. Erstmals wird der Bauausschuss am 12. November das Thema diskutieren, drei Tage später entscheiden die Stadtverordneten über die Unterzeichnung des „Letter of Intent“, der Absichtserklärung.
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