Interview

„Wollen ein Votum der Bevölkerung einholen“

Der 61-jährige DOSB-Präsident Thomas Weikert spricht im Gespräch mit dieser Redaktion über die Nöte und Sorgen der Sportvereine in Krisenzeiten sowie über die Pläne einer möglichen deutschen Olympia-Bewerbung 2032 oder 2036

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Macht sich für eine deutsche Olympia-Bewerbung stark: DOSB-Präsident Thomas Weikert. © Uli Deck/dpa

Herr Weikert, der DOSB hat sich bekanntlich gegen die Empfehlung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), russische und belarussische Athleten wieder schrittweise bei großen Wettkämpfen zuzulassen, ausgesprochen. Warum?

Thomas Weikert: Angesichts der unvermindert anhaltenden Kriegshandlungen sind wir der Auffassung, dass der Ausschluss weiterhin gerechtfertigt wäre. Russland und Belarus sollen gar nicht erst die Möglichkeit erhalten, die Teilnahme der Sportlerinnen und Sportler zu kriegspropagandistischen Mitteln zu missbrauchen. Wir nehmen aber zur Kenntnis, dass wir mit unserer Haltung derzeit einer Minderheit im internationalen Sport angehören und eine Entscheidung des IOC immer auch das weltweit gespaltene Meinungsbild berücksichtigen muss. Die vom IOC ausgesprochenen Bedingungen sind durchaus strikt – beispielsweise dass keine Militärangehörigen teilnehmen sollen. Aber jetzt kommt es auf die konsequente Umsetzung dieser Kriterien an.

Sie sind auch Jurist. Wie sieht es da juristisch aus? Darf man Sportlerinnen und Sportler wegen der Verbrechen ihres Staates oder Staatsoberhauptes mit in die Verantwortung nehmen?

Weikert: Das ist eine wichtige und gute Frage. Gerade deshalb haben wir uns auch juristischen Rat geholt, indem wir ein Gutachten von Patricia Wiater, die sich als Professorin mit Menschenrechts- und Völkerrechtsfragen beschäftigt, eingeholt haben. Frau Wiater kam zu dem Ergebnis, dass ein Ausschluss auch juristisch gerechtfertigt sein kann. Wir haben uns aber nicht nur die juristische Meinung eingeholt, sondern auch die Mitgliedsorganisationen des DOSB sowie Athletinnen und Athleten befragt und die haben sich nahezu einstimmig gegen eine Wiederzulassung zum jetzigen Zeitpunkt ausgesprochen.

Wie sehr sind die Olympischen Spiele 2024 in Paris eine Chance für die Olympische Bewegung? Mit Blick auf die kommenden Austragungsorte wie Paris, Los Angeles oder Cortina scheint das IOC ja erst mal weg von den Vergaben an totalitäre Staaten zu gehen.

Weikert: Für die Olympische Bewegung ist diese Entwicklung enorm wichtig. Wie Sie richtig sagen, finden die bis 2032 vergebenen Spiele allesamt in demokratischen Staaten statt. Das ist der richtige Weg. Das IOC hat schon vor vielen Jahren seine Vergabekriterien substanziell verändert, beispielsweise die Themen Nachhaltigkeit, Kosteneffizienz und Menschenrechte stärker in den Fokus genommen. Die Folgen dieser gravierenden Veränderungen werden bei den nächsten Spielen dann endlich auch sichtbar. Ich bin zuversichtlich, dass das IOC diesen Weg auch bei der Vergabe zukünftiger Olympischer wie Paralympische Spiele beibehält. Dann wären auch die deutschen Chancen bei einer möglichen Bewerbung besser.

Bewerbung ist ein gutes Stichwort: In den vergangenen Monaten wurde der Weg von den Mitgliedern freigemacht, um die Ausrichtung von Olympischen und Paralympischen Spielen in Deutschland in Angriff nehmen zu können. Wie sehen da derzeit konkret die Pläne mit Blick Richtung 2032 oder 2036 aus?

Weikert: Wir werden nach der Sommerpause in sogenannten Debattencamps allen gesellschaftlichen Bereichen die Möglichkeit bieten, mit uns über das gemeinsame Warum einer deutschen Bewerbung zu sprechen. Wir wollen gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern, aber auch mit Sportlerinnen und Sportlern, der Wirtschaft, Kultur und Politik definieren, was der Mehrwert für die gesamte Gesellschaft ist, warum eine Bewerbung Sinn macht und wie wir Vorbehalte entkräften können. Ich gehe nach vielen Gesprächen davon aus, dass es eine Mehrheit gibt, die unter bestimmten Voraussetzungen Olympische und Paralympische Spiele in Deutschland unterstützen würde. Klar ist für uns auch, dass wir in den Regionen, mit denen wir uns bewerben wollen, vor der Bewerbung beim IOC ein Votum der Bevölkerung einholen wollen. Denn ohne die Zustimmung der Bevölkerung macht eine Bewerbung natürlich keinen Sinn.

Der Freiburger Kreis e.V., also die Arbeitsgemeinschaft größerer deutscher Sportvereine, ist momentan mit dem TSV Mannheim als Gastgeber in Mannheim. Warum haben Sie sich entschlossen, auch dazuzukommen?

Weikert: Gerade jetzt, wo die Vereine unter den Folgen der Pandemie und der Energiekrise zu leiden haben, ist es, glaube ich, besonders wichtig, dass der DOSB auf so einer Veranstaltung hochrangig vertreten ist. Zum einen, um darüber zu berichten, wie wir die aktuellen Herausforderungen angehen und welche Lösungen wir auch für die Vereine entwickeln. Zum anderen aber auch, um einfach zuzuhören, wie die Vereine die Krisen bewältigen, welche Lösungen sie für die Problemstellungen unserer Zeit finden.

Und was haben Sie gehört? Wie geht es den Sportvereinen zurzeit?

Weikert: Das ist durchaus unterschiedlich. Ich bin ja, sozusagen nebenbei, auch in einem kleinen Verein – ich komme vom Tischtennis – tätig. Wir sind ganz gut durch die vergangenen Jahre gekommen. Allerdings sind wir auch in einer Halle des Kreises, sodass wir die Energiepreissteigerungen nicht unmittelbar gespürt haben. Aber bei allen Vereinen, die eine eigene Sportstätte, ein eigenes Lokal betreiben, sieht es anders aus. Da waren die Sorgen, Nöte und Verunsicherung gerade im vergangenen Herbst wesentlich größer. Die Energiepreisbremsen haben auch bei den Vereinen für eine spürbare Entlastung gesorgt, allerdings sind wir weiterhin auf einem höheren Preisniveau als vor Ausbruch des Krieges. Das müssen Vereine erstmal stemmen.

Wie versucht man da vonseiten des DOSB gegenzusteuern und die Vereine zu unterstützen?

Weikert: Wir haben zusammen mit dem Innenministerium ein sogenanntes Restart-Programm aufgelegt, das immerhin 25 Million Euro umfasst. Übergreifendes Ziel des Programms ist es, die Menschen nach der Corona-Pandemie wieder in Bewegung zu bringen und die Sportvereine zu stärken. Wir haben zum Beispiel 150.000 sogenannte Sportvereinsschecks zur Verfügung gestellt, die nach wenigen Wochen vergriffen waren. Aber keine Sorge, mittlerweile stehen wieder Schecks zur Verfügung. Sie sollen dafür sorgen, dass ausgetretene Mitglieder, egal ob alt oder jung, wieder in den Verein zurückkehren. Wir sprechen gerade mit der Politik über eine Verlängerung des Programms über das Jahresende hinaus.

Erfolg im Verein geht, egal in welcher Art, auch immer mit Ehrenamtlichkeit einher. Wie sieht aktuell die Tendenz beim Thema Ehrenamt aus?

Weikert: Wir sehen mit Sorge, dass die Zahl der ehrenamtlich Engagierten weiter zurückgeht. Hier müssen wir gemeinsam mit der Politik darüber sprechen, wie Ehrenamt wieder attraktiver gemacht werden kann. Man könnte zum Beispiel über Steuererleichterungen nachdenken. Ein Papier mit Möglichkeiten der finanziellen Entlastung des Ehrenamts hat der DOSB erst vor wenigen Wochen veröffentlicht. Es geht immer auch darum, dass man sich als Ehrenamtlicher gesehen und wertgeschätzt fühlt. Sie stecken viel Herzblut hinein und da lohnt es sich, zu kämpfen, damit hier Verbesserungen sichtbar werden.

Was auffällt: König Fußball hat durch die Krisen nichts an seiner Dominanz verloren – im Gegenteil. Muss der Breitensport deshalb wieder mehr mit den Sportgeräten zu den Leuten, also niedrigschwellige Sportangebote machen, und nicht darauf warten, dass die Leute zu den Sportgeräten kommen?

Weikert: Genau da setzt das Restart-Programm an. Beispielsweise werden dort Sportboxen im öffentlichen Raum, also zum Beispiel in Parks, aufgestellt. Dort können sich Menschen per App Sportgeräte leihen, um direkt vor Ort Sport zu treiben. Das ist dann eine Kooperation zwischen der Kommune und dem Sportverein und der Verein kann so auch seine Angebote sichtbarer machen. Wichtig ist auch, mit den Leuten vor Ort zu sprechen. Ich predige immer, wenn ich vor DOSB-Gremien spreche, dass man die Leute direkt ansprechen muss, sie quasi zum Mitmachen und Wiederkommen anstupsen muss. Das mache ich auch und weiß daher, dass sich das lohnt.

Thomas Weikert

Thomas Josef Weikert wurde am 15. November 1961 in Hadamar (Hessen) geboren.

Seit Dezember 2021 ist der verheiratete Familienvater (ein Sohn) Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes.

Von 2005 bis 2015 war der ehemalige Tischtennis-Bundesligaspieler Präsident des Deutschen Tischtennis-Bundes – später auch des Tischtennis-Weltverbandes ITTF.

Als Jurist (Schwerpunkt Familien- und Sportrecht) ist er in seiner Kanzlei in Limburg an der Lahn tätig.

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