Fußball

Warum bei der Frauen-WM doch Männer das Sagen haben

Von den acht Viertelfinalisten der WM in Australien und Neuseeland werden sieben von Männern trainiert. Doch die einzige verbliebene Trainerin setzt Maßstäbe

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Frank Hellmann
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Sarina Wiegman (Mitte) behielt auch beim knappen englischen Achtelfinalerfolg gegen Nigeria die Ruhe. © Tertius Pickard/dpa

Als Chloe Kelly zum finalen Elfmeter anlief, kratzte sich Sarina Wiegman kurz an der Nase. Sekunden später reckte auch Englands Nationaltrainerin beide Arme in den Himmel. Vor einem Jahr hatte sie nach dem siegreichen EM-Viertelfinale gegen Spanien ihre kernige Abwehrchefin Millie Bright in die Luft gehoben, nach dem Elfmeterschießen im WM-Achtelfinale gegen Nigeria hing die Niederländerin bloß entkräftet am Hals ihrer Nummer sechs - erleichtert und erlöst. „Ich bin heute um zehn Jahre gealtert“, so die 53-Jährige.

Wenigstens der Europameister schrieb somit nicht den Exodus der Favoriten fort. Stattdessen fügte eine Fußballlehrerin ihrer Erfolgsstory das nächste Kapitel hinzu, indem sie selbst für das Elfmeterschießen einen Plan hatte. Wiegman ist bereits Europameisterin 2017 und Vizeweltmeisterin 2019 mit den Niederlanden sowie Europameisterin 2022 mit England geworden. Sie scheint instinktiv zu wissen, was sie tun muss. Sie hat den Durchblick. Anders als Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg spürt sie, was es für diese WM braucht. So ungefähr das Kontrastprogramm zu den heimgereisten Deutschen.

Social-Media-Verbot für Engländerinnen

Beim Quartier entschied sich auch Englands Fußballverband für die Central Coast. Doch anstatt in ein Kaff wie Wyong, wo sich vielleicht trinkfeste Autoliebhaber wohlfühlen, aber sicher nicht junge Sportlerinnen, ging es nach Terrigal. Ein auch im Winter angenehmer Badeort mit etwas Abwechslung. In der Nähe ist der australische Überraschungsmeister Central Coast Mariners beheimatet. In dessen Heimstadion gibt Wiegman beim Training ihre Anweisungen.

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Eine Ansage lautete vor Wochen, dass ihre Spielerinnen alle Social-Media-Aktivitäten einzustellen haben. Während deutsche Spielerinnen stets um Klicks und Likes wetteifern, zählen bei englischen Akteuren nur Pass- und Zweikampfquoten.

Gleichgewicht soll besser werden

Wiegman hat bei ihrem Amtsantritt 2021 den Leistungsanspruch der „Lionesses“ ganz nach oben geschraubt, aber sie bringt das inzwischen ohne Verbissenheit rüber. Die in Den Haag aufgewachsene und von ihrer Zeit an der Universität North Carolina in den USA geprägte Trainerin setzt gerade die Benchmark im Frauenfußball. Nur: Sie ist jetzt bei dieser WM die einzige Frau. Ein Umstand, der die zweifache Mutter ziemlich stört.

„Ich hoffe, dass es in Zukunft mehr Trainerinnen geben wird“, sagte sie, als sich mit dem Ausscheiden der südafrikanischen Nationaltrainerin Desiree Ellis ihre Sonderrolle ankündigte.

Fehlgriff bei den USA, Glücksgriff bei Australien

In die WM starteten 20 männliche und zwölf weibliche Coaches. „Wir hoffen, dass das Gleichgewicht in Zukunft besser wird, und arbeiten daran - zumindest in England“, versprach Wiegman. Bei der EM in ihrer Wahlheimat vor einem Jahr standen den zehn Männern sechs Frauen gegenüber. Sie und Bundestrainerin Voss-Tecklenburg duellierten sich im Finale von Wembley.

Pauschale Urteile verbieten sich beim Geschlechtervergleich. Einerseits war Vlatko Andonovski bei den USA ein Fehlgriff, weil er nicht jenes Händchen hatte wie Vorgängerin Jill Ellis, deren besonnene Art inmitten der Stars und Sternchen beruhigend wirkte. Andererseits scheint der Schwede Tony Gustafsson gerade genau der richtige Typ zu sein, um mit einer gewissen Stringenz Gastgeber Australien auf Titelkurs zu bringen.

Selbst Schweden und Dänemark setzen auf Männer

Wie schnell es sich drehen kann, illustriert mit Pia Sundhage eine der prominentesten Figuren. Niemand zweifelt an den fachlichen und menschlichen Fähigkeiten der schwedischen Globetrotterin, doch so erfolgreich sie in den USA arbeitete, so sehr fällt ihr das Vorrundenaus mit Brasilien auf die Füße. Nun wird die Französin Corinne Diacre als Nachfolgerin gehandelt, die es sich mit ihrer unnahbaren Art bei „Les Bleues“ mit allen verscherzte.

Hege Riise half jedoch nicht mal ihre große Beliebtheit: Als Spielerin mit Norwegen noch Weltmeisterin, Europameisterin und Olympiasiegerin konnte sie das Aus im Achtelfinale gegen Japan nicht verhindern. Andere skandinavische Ländern, in denen traditionell Frauen in Führungsrollen anerkannt sind, vertrauen lieber Männern: Lars Söndergaard wird als Vaterfigur der Däninnen gelobt, Peter Gehardsson nach seinem Coup gegen die USA von den Schwedinnen gefeiert. Laut UEFA sind bislang nur sechs Prozent aller qualifizierten Trainer Frauen.

Hegering „bringt alles mit“

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat bis auf Pionier Gero Bisanz und Übergangslösung Horst Hrubesch stets auf Frauen gesetzt. Heraus kamen unter Tina Theune (2003) und Silvia Neid (2007) zwei Weltmeistertitel. Voss-Tecklenburg hat die Mission zum dritten Stern vermasselt, aber ihre Vita als Fußballlehrerin ist beispielhaft. Nur ist ihr Werdegang die Ausnahme.

Der DFB will seit längerem mehr Trainerinnen fördern. Einige aktuelle Nationalspielerinnen haben den ersten Lehrgang absolviert, aber bis eine Alexandra Popp auch hier vorangeht, könnte es noch dauern. Anders sieht es da wohl bald bei Abwehrchefin Marina Hegering aus, die wohl aus dem DFB-Team zurücktreten wird und ab 2024 bereits einen Anschlussvertrag beim VfL Wolfsburg hat. „Sie bringt alle fachlichen und persönlichen Voraussetzungen mit, um als Trainerin erfolgreich zu arbeiten“, sagt VfL-Direktor Ralf Kellermann.

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