Die Dunkelheit hatte sich längst wieder über die Central Coast gelegt, als der Bus mit seinen deprimierten Fahrgästen das letzte Mal um die Ecke in das unscheinbare Örtchen Wyong bog. Niemand aus der deutschen WM-Reisegruppe möchte wohl jemals wieder in das Golfhotel am Ende dieser Sackgasse fahren. Denn in eben einer solchen sind das Frauen-Nationalteam und der Deutsche Fußball-Bund (DFB) mit dem WM-Vorrundenaus gelandet.
Einige aus der 66-köpfigen Delegation treten nun so schnell wie möglich die Heimreise an, andere wie Zeugwart Stephen Smith machen noch eine Rundreise durch Australien. Viel Vergnügen. Der Mann hat seinen Job am Rande gut gemacht, die Frauen im Rampenlicht hingegen nicht.
Selbstkritische Bundestrainerin
Nun ist der Scherbenhaufen komplett, den der krisengeplagte DFB vor seinem teuren Campus in Frankfurt liegen hat. A-Nationalmannschaft Männer und Frauen - beide in der WM-Vorrunde verabschiedet. U 21 Männer - in der EM-Gruppenphase gescheitert. U 19 Frauen - immerhin EM-Finale gespielt, aber hat das einer mitbekommen? Das Versagen der DFB-Frauen gegen Südkorea sahen sich zur Mittagszeit immerhin 8,06 Millionen Menschen im ZDF an. Eine Traumquote für die Blamage.
Bei der Frage nach der Verantwortung zeigte Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg sehr rasch auf sich selbst. Zusammen mit der WM 2019 hätte sie schließlich nun bei zwei Turnieren nicht ihre Leistung gebracht. Ein sehr selbstkritischer Ansatz. Die Fußballlehrerin hat aber große Rückendeckung - vor allem bei DFB-Präsident Bernd Neuendorf, der auf den erst kürzlich bis 2025 verlängerten Vertrag mit der 55-Jährigen verwies. „Wir haben ihr das Vertrauen ausgesprochen, das sie nach vor genießt.“
Mögen Doppelpässe auf dem Platz nicht mehr klappen, außerhalb funktionieren sie noch. Den vom Chef aus der Heimat gespielten Ball nahm Joti Chatzialexiou, der Sportliche Leiter Nationalmannschaften, am Brisbane River auf, als er vor dem Teamhotel festhielt: „Ich bin dankbar, dass der Präsident diese Entscheidung getroffen hat. Wir haben Martina letztes Jahr für eine tolle EM gefeiert.“ Jetzt müsse man gemeinsam wieder aus der Talsohle rauskommen.
Hoffnung auf die Nations League
Der 47-Jährige will an diesem Samstag mit der Trainerin bei einer Pressekonferenz Rede und Antwort stehen. Gut möglich, dass die Kardinalfrage rasch beantwortet ist und Voss-Tecklenburg die Kraft und Überzeugung verspürt, die nächsten Aufgaben anzugehen. Für die Olympia-Teilnahme ist erstmals nicht das WM-Abschneiden ausschlaggebend - in diesem Fall deutsches Glück. Die zwei freien europäischen Startplätze werden über die Nations League vergeben.
Die DFB-Frauen müssten für ein Paris-Ticket ihre Gruppe mit Dänemark, Island und Wales sowie anschließend noch die Play-offs gewinnen. Bereits am 22. September geht es bei den Däninnen los. Vor diesem Zeitplan wäre es eigentlich Aktionismus, Voss-Tecklenburg zu schassen, die auch schon auf die EM 2025 in der Schweiz schielt. Ihre Assistentin Britta Carlson ist zudem keine für die erste Reihe und hängt im Fehlersumpf viel zu tief mit drin. Das Duo muss sich nun neu erfinden - und unbedingt den Spielerinnen mehr abverlangen sowie weniger Rücksicht auf Vereinsbelange nehmen. Da könnte auch DFB-Vizepräsidentin Sabine Mammitzsch mal sagen, was im deutschen Frauenfußball wirklich wichtig ist.
Die Nationalspielerinnen haben mit ihren „blockierten Füßen“ eine riesige Chance weggeworfen. Ein Turnier, das erst ab dem Achtelfinale richtig Spaß macht, tobt sich ohne den zweifachen Weltmeister aus. „Früher gab es gefühlt nur Deutschland“, hat Mittelfeldspielerin Melanie Leupolz kürzlich gesagt. Vergangenheit.
Auch Chatzialexiou muss bangen
In der Gegenwart legen sich die Versäumnisse des Frauen- und Männerteams fast schon erschreckend übereinander. Es gibt keine Konzepte, um sich gegen tiefstehende Gegner spielerisch durchzusetzen, es fehlen Außenverteidiger und -verteidigerinnen von Format und es mangelt an der Mentalität.
Mit Kolumbien und Marokko sind zwei Teams in der deutschen Gruppe weitergekommen, die es mehr wollten. Dabei schöpfen beide Nationen aus einem winzigen Reservoir mit teils amateurhaften Strukturen. Was passiert, wenn solche Länder beim Frauenfußball erst richtig ernst machen?
Hochmut des DFB-Präsidenten
Chatzialexiou beobachtet mit Besorgnis diese Entwicklung, doch ist dessen Position nach fünf Jahren als Verantwortlicher für die Nationalteams nun auch in höchster Gefahr. Vielleicht täte der Verband gut daran, eine resolute Frau hinzuzuziehen, die sich vor strukturellen Veränderungen nicht scheut. „Sinnvoll wäre das mit Sicherheit“, sagte Kapitänin Alexandra Popp. „Ich weiß, dass der DFB auf der Suche ist.“ Voss-Tecklenburg kann anstelle des blassen Michael Urbansky zudem einen meinungsstarken Co-Trainer gebrauchen.
Verbandschef Neuendorf hätte wohl nie gedacht, dass ihm die Frauen solche grundsätzlichen Sorgen bereiten. Dass der Ex-Politiker erst zum WM-Achtelfinale nach Australien reisen wollte, sagt viel über den Hochmut einer einst großen Fußballnation aus.
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