Andy, die Schweiz war für die WM 2019 in Deutschland nicht qualifiziert. Damals haben Sie gesagt: „Um ein Turnier in Deutschland zu spielen, würde ich mir meinen kleinen Zeh abschneiden.“
Andy Schmid (lacht einfach nur)
Sie spielen jetzt ein Turnier in Deutschland. Ist der Zeh noch dran?
Schmid (lacht immer noch): Damals war ich jung und dumm.
Sie waren schon 36 Jahre alt.
Schmid: Ich war erst 36 Jahre alt. Damals herrschte eine krasse Handball-Euphorie in Deutschland, die ich hautnah miterlebt habe. Und dann sagt man in jungen Jahren manchmal Dinge, die man später nicht mehr so sagen würde.
Dann lassen wir das mal so stehen. Aber die Handball-Euphorie ist diesmal wieder krass.
Schmid: Durch meinen Wechsel nach Luzern habe ich allerdings einen gewissen Abstand zu diesem großen deutschen Handball-Zirkus gewonnen. Ich bin da nicht mehr unmittelbar involviert.
Zur Person: Andy Schmid
- Andy Schmid wurde am 30. August 1983 in Horgen/Schweiz geboren. Er ist mit Therese verheiratet, das Paar hat zwei gemeinsame Söhne.
- Der Weltklasse-Mittelmann spielte von 2010 bis 2022 für die Rhein-Neckar Löwen in der Handball-Bundesliga und wechselte danach in seine Heimat zum HC Kriens-Luzern.
- In den Jahren 2014 bis 2018 wurde Schmid von den Trainern und Managern der Bundesliga zum besten Spieler der Saison gewählt.
- Der Schweizer hat mit den Löwen zweimal die deutsche Meisterschaft (2016, 2017), je einmal den EHF-Pokal (2013) und den DHB-Pokal (2018) sowie dreimal den Supercup (2016, 2017, 2018) gewonnen.
- Mit dem HC Kriens-Luzern holte er 2023 den Pokalsieg in der Schweiz.
- In diesem Jahr beendet der Spielmacher seine aktive Karriere und wird Schweizer Handball-Nationaltrainer.
- Seit dieser Bundesliga-Saison ist Schmid außerdem TV-Experte bei Dyn.
Sie hören sich jetzt wie ein kontrollierter Schweizer an. Freuen Sie sich gar nicht auf das Turnier?
Schmid: Doch, doch. Ich spüre eine große Vorfreude. Aber es ist jetzt auch nicht so, dass ich an nichts anderes denken kann. In den zurückliegenden Monaten - so ehrlich muss ich sein - hatte ich schon ein wenig mit mir zu kämpfen.
Sie sprechen mit dem Achillessehnenanriss die erste große Verletzung ihrer Karriere an.
Schmid: Ja, damit musste ich drei Monate aussetzen. Kurz vor dem Comeback kam eine Operation an der Leiste dazu. Die Probleme hatte ich schon längere Zeit. Aber es war wichtig und richtig, den Eingriff machen zu lassen. Sonst wäre die EM gefährdet gewesen. Insgesamt war ich etwa vier Monate raus. Diese beiden Verletzungen gepaart mit meinem Alter haben dazu geführt, dass ich noch ein paar Extrameilen machen musste, um auf ein vernünftiges physisches Level zu kommen.
Deutschland ist das Handball-Mekka. Jeder schaut dorthin, alle blicken auf die Bundesliga.
Die Aussicht auf das EM-Eröffnungsspiel im Düsseldorfer Fußballstadion vor rund 50 000 Zuschauern dürfte bei der Motivation geholfen haben, oder?
Schmid: Ja, die ganze Europameisterschaft ist ein großer Reiz. Sie war schon ein Thema, als ich 2022 zurück in die Schweiz gegangen bin. Damals stand ich vor der Frage: Beende ich meine Karriere oder versuche ich, mich mit meinem Heimatland für dieses Turnier zu qualifizieren und diese EM dann auch zu spielen. Dieses Turnier habe ich über alles andere gestellt. Ohne die Aussicht auf die Europameisterschaft hätte ich vermutlich im Sommer 2022 aufgehört.
Was alles aussagt über die Bedeutung eines Turniers in Deutschland.
Schmid: Deutschland ist das Handball-Mekka. Jeder schaut dorthin, alle blicken auf die Bundesliga. Die Hallen sind voll - völlig unabhängig davon, ob da jetzt Deutschland gegen Frankreich oder Schweiz gegen Nordmazedonien spielt. Dieses Turnier wird Grenzen versetzen.
Eröffnungsspiel, Fußballstadion, in Deutschland gegen Deutschland, also genau jenem Land, wo Sie die beste Zeit Ihrer Karriere verbrachten. Und jetzt schließt sich der Kreis kurz vorm Ende Ihrer Laufbahn. Das klingt kitschig.
Schmid: Wenn ich mir das alles zu Gemüte führe, muss ich sagen: Das ist zu viel des Guten. Wenn ich es mir hätte aussuchen können, dann wäre mir der 2. Spieltag gegen Deutschland in Berlin lieber gewesen. Das hätte mir gereicht. Denn jetzt…puh…was soll ich sagen? Fußballstadion, Eröffnungsspiel, Zuschauerweltrekord. Ich kann mich nur wiederholen: Es ist zu viel des Guten.
Für den Handball in der Schweiz aber vermutlich nicht?
Schmid: Für den Schweizer Handball ist diese Bühne fantastisch und das Beste, was passieren konnte. Es werden 3000 bis 4000 Handballfans aus der Schweiz in Deutschland sein. Das zeigt die Bedeutung des Handballs. Wir werden eine Beachtung über unseren Sport hinaus bekommen. Und diese Aufmerksamkeit ist nur möglich, weil wir in einem Fußballstadion bei einem Zuschauerweltrekord das Eröffnungsspiel gegen den EM-Gastgeber Deutschland bestreiten.
Was ist sportlich für Ihr Team möglich?
Schmid: Alles und nichts.
Also wie für die Deutschen.
Schmid (lacht und macht eine Pause): Wenn ich darüber nachdenke: Ja, wir sind eine ähnliche Mannschaft wie Deutschland. Aber auf einem niedrigeren Grundniveau. Ich glaube, dass sowohl unsere als auch die deutsche Nationalmannschaft nicht so richtig berechenbar ist. Wir haben in den vergangenen Jahren starke Gegner ärgern können, waren aber zum Teil auch einfach chancenlos. Da sehe ich Parallelen zwischen den Teams. Deutschland kann in einem Spiel gegen Dänemark gewinnen. Das ist immer möglich. Aber die Deutschen können auch gegen andere Nationen unerwartet verlieren.
Also gegen die Schweiz.
Schmid (lacht): Damit das passiert, müssten schon viele Dinge zusammenkommen.
Wer hat also die größeren Chancen: Die Schweizer Fußballer im Sommer bei der EM gegen Deutschland oder jetzt die Handballer?
Schmid: Die Fußballer. Die stellen sich hinten rein, fahren einen Konter und treffen zum 1:0-Sieg. Das wird am 10. Januar vermutlich nicht funktionieren.
Die Nationalmannschaft ist etwas ganz anderes als die Löwen. Und die Europameisterschaft ist etwas ganz anderes als die Bundesliga.
Der Hype um Juri Knorr ist in Deutschland riesig und wird noch größer. Er ist erst 23 Jahre alt und trägt die Hoffnungen einer ganzen Handballnation auf seinen Schultern. Wird das nicht ein bisschen schwierig für solch einen jungen Mann?
Schmid: Es ist ja schon schwierig. Ich verfolge Juri sehr, sehr genau, weil ich mit ihm bei den Rhein-Neckar Löwen zusammengespielt habe und ihn auch persönlich sehr schätze. Und ich will jetzt nicht sagen, dass er gerade eine kleine Leistungsdelle erlebt. Aber Juri hat einen sehr hohen Anspruch an sich selbst und wird nicht mit dem zufrieden sein, was er gerade in der Bundesliga zeigt. Juri ist nicht so prägend wie in der vergangenen Saison bei den Löwen. Er hat vielleicht sogar ein wenig seine Leichtigkeit verloren. Man sieht ihm an, dass er den Druck spürt.
Das macht wenig Hoffnung.
Schmid: Die Nationalmannschaft ist etwas ganz anderes als die Löwen. Und die Europameisterschaft ist etwas ganz anderes als die Bundesliga. Ich bin davon überzeugt, dass Juri sich in einem internationalen Wettbewerb schneller und einfacher freispielen kann als in der Bundesliga, wo ihn jeder kennt und sich jeder akribisch auf ihn vorbereitet. Ich habe das selbst erlebt und Juris Leistungen zeigen das übrigens auch: Er hat seine besten Spiele in dieser Saison in der European League oder in der Nationalmannschaft gezeigt.
2022 haben Sie die Löwen verlassen, im Sommer 2024 ist Ihre Spielerkarriere komplett vorbei. Haben Sie sich damit angefreundet?
Schmid: Ja. Und ich freue mich darauf, dass es vorbei ist. Ein Großteil meiner Handballseele hat sich bereits 2022 verabschiedet, als ich nach zwölf Jahren die Löwen verlassen habe. Für mich war der Abschied aus Deutschland zwar nicht der Abschied vom Spitzensport, aber von der großen Bühne. Und jetzt ist es dann auch mal gut gewesen. Ich bin mit mir im Reinen und glücklich, behaupten zu können, nicht viele Fehlentscheidungen in meiner Karriere getroffen zu haben.
Ich werde als Trainer sicher emotionaler sein als jetzt als Spieler.
Es steht schon fest, dass Sie anschließend Schweizer Nationaltrainer werden. Sie wurden bei den Löwen vor allem vom zweifachen Meistercoach Nikolaj Jacobsen geprägt, zu dem sie ein enges Verhältnis pflegen. Wird man Sie an der Seitenlinie so erleben wie ihn?
Schmid: Optisch hoffentlich nicht (lacht). Denn mit 30 Kilo zu viel auf den Rippen möchte ich da nicht an der Linie stehen.
Ich meinte eher den Erregungsgrad.
Schmid: Das glaube ich nicht. Zumindest nicht in diesem Ausmaß. Das ist mir fremd, es passt nicht zu meiner Persönlichkeit. Aber ich werde als Trainer sicher emotionaler sein als jetzt als Spieler. Denn als Spieler probiere ich immer, in meiner eigenen Blase zu bleiben. Und diese Blase soll möglichst ruhig sein und mir Freiräume für meine Gedanken lassen. Ich will keine unnötigen Emotionen zulassen, weil mich diese nur ablenken, und mich lieber ausschließlich auf Dinge konzentrieren, die ich beeinflussen kann. Das Problem ist: Als Trainer werde ich viele Dinge nicht direkt beeinflussen können. Deswegen wird es wohl auch dazu führen, dass ich emotionaler werde.
Sie sind zurück in die Schweiz und wollten dort den Handball voranbringen. Inwieweit ist das bislang gelungen?
Schmid: Besser hätte ich es mir nicht vorstellen können. Das erste Jahr hat all meine Erwartungen übertroffen. Es waren viele Zuschauer in den Hallen, es wurde ausführlich berichtet, wir haben in Luzern mit dem Schweizer Pokal den ersten Titel der Vereinsgeschichte gewonnen. Die Rückkehr hat sich gelohnt. Aber das eine Jahr jetzt, das ist vielleicht das eine Jahr zu viel. Das spüre ich auch. Für mich wäre es besser gewesen, wenn die EM im Sommer 2023 ausgetragen worden wäre. Aber das bekomme ich jetzt auch noch hin. Und was nach der EM ist, das sehen wir dann.
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