Oftersheim. Frau Mihambo, der WM - Triumph liegt noch gar nicht lange zurück, nun steht schon wieder die EM in München an. Dazwischen haben Sie ein paar Tage in der Heimat. Was verbinden Sie mit der Rhein-Neckar-Region und wie nutzen Sie die Zeit?
Malaika Mihambo: Ich entspanne, lege die Füße hoch, möchte ein bisschen regenerieren, Zeit mit der Familie und den Freunden verbringen und versuchen, mich schnellstmöglich wieder an die neue Zeitzone zu gewöhnen. Seit meiner Rückkehr aus den USA hatte ich noch gar nicht richtig Zeit für mich. Eigentlich fühlt es sich sogar gerade ein bisschen so an, als hätte nicht ich, sondern jemand anderes diesen WM-Titel gewonnen (lacht). Ich habe das noch gar nicht richtig realisiert.
Und trotzdem frage ich Sie: Was ist einfacher: Zum ersten Mal Weltmeisterin zu werden oder diesen Titel zu verteidigen?
Mihambo: Eine schwierige Frage. Denn ein Wettkampf ist erst einmal ein Wettkampf. Da gibt es keinen Unterschied. Es geht für mich immer darum, meine beste Leistung zu zeigen. Und zwar unabhängig davon, was ich schon erreicht habe. Dieser Ehrgeiz steckt stets in mir. Viele Athleten haben es in der Vergangenheit geschafft, einmal Weltmeister zu sein. Seinen WM-Titel zu verteidigen oder auch gleichzeitig Europameisterin und Olympiasiegerin zu sein, ist aber meiner Meinung nach nicht ganz so einfach. Es zeugt von einer gewissen Dominanz über Jahre. Und das ist sicherlich komplizierter als etwas einmal zu gewinnen.
Hat sich die WM-Titelverteidigung entsprechend anders angefühlt?
Mihambo: Nach dem WM-Sieg 2019 in Doha überwog nach all der Anspannung einfach die pure Freude, da ist sehr viel von mir abgefallen. Es war mein erster WM-Titel. Diesmal bin ich gelassener gewesen. Ich kannte diese Drucksituation und wusste, dass ich sie meistern kann, weil ich das schon einmal erfolgreich gemacht habe.
Malaika Mihambo
- Malaika Mihambo wurde am 3. Februar 1994 in Heidelberg geboren und startet für den TSV Oftersheim in der LG Kurpfalz.
- Bei der EM 2018 in Berlin gewann die Weltklasse-Weitspringerin die Goldmedaille. 2019 kam in Katar der WM-Titel dazu, den sie 2022 verteidigte. 2021 gelang ihr der Olympiasieg.
- In den Jahren 2019, 2020 und 2021 wurde sie zu Deutschlands Sportlerin des Jahres gewählt.
- Ihre persönliche Bestleistung stellte Mihambo 2019 bei ihrem Sprung zum WM-Titel auf: 7,30 Meter.
- Ein Studium der Politikwissenschaft an der Uni Mannheim hat Mihambo 2016 abgeschlossen, nun studiert sie Umweltwissenschaften.
Europameisterin, Olympiasiegerin, Doppel-Weltmeisterin. Sie haben alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Wie wichtig sind Ihnen noch Siege?
Mihambo: Wenn ich starte, will ich grundsätzlich meine beste Leistung abrufen. Erst danach schaue ich, was diese Leistung im Vergleich zu den anderen Starterinnen bedeutet. Das war schon immer so. Natürlich will ich am liebsten jeden Wettkampf als Siegerin beenden, sonst wäre ich keine Leistungssportlerin. Aber ich spüre keine Verpflichtung, irgendetwas noch einmal gewinnen zu müssen. Und ich habe auch keine Angst davor, mal nicht zu gewinnen. Ich sehe lieber das große Ganze und das, was ich bereits erreicht habe. Vor allen Dingen meine persönliche Entwicklung. Dafür bin ich sehr dankbar.
Ihre Worte klingen nach einer Sportlerin, die sehr mit sich im Reinen ist.
Mihambo: Ich muss niemandem mehr etwas beweisen. Das macht es einfacher. Jetzt gerade bei der WM in Eugene hatte ich mehr Spaß als bei allen vorangegangenen Wettkämpfen, weil ich mir selbst keinen Druck gemacht, sondern mir gesagt habe: Du hast diesen Titel schon einmal gewonnen, du musst ihn kein zweites Mal holen. Somit konnte ich mich auf das Springen selbst konzentrieren. Also auf das, was mir Freude bereitet.
Sie sind jung, haben sich Ihre größten sportlichen Träume erfüllt und viele andere Interessen. Einige prominente Sportlerinnen wie etwa die Biathletinnen Magdalena Neuner oder Laura Dahlmeier haben ihre Karrieren früh beendet, weil sie keine Herausforderungen mehr sahen, die es noch zu meistern gab. Wie weit gehen Ihre Pläne?
Mihambo: Bislang habe ich keinen Gedanken an ein Karriereende verschwendet. Mir macht der Sport momentan sehr viel Spaß und ich bin extrem neugierig, was ich noch erreichen und wie sehr ich mich entwickeln kann. Für mich gilt: Wenn ich etwas mache, dann mit totaler Überzeugung und Hingabe, damit es einen Sinn und einen Mehrwert hat. Das Leben eines Leistungssportlers ist kein einfaches, man muss das wirklich wollen und dieses Leben mit ganzem Herzen führen. Die Bereitschaft dafür habe ich nach wie vor. Sollte das irgendwann nicht mehr der Fall sein, höre ich auf. Oder wenn mir der Spaß fehlt. Denn dann macht es auch keinen Sinn mehr.
Bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris sehen wir Sie aber, oder?
Mihambo: Ja, davon gehe ich aus.
Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) hat bei der WM wie schon zuvor bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio schlechter als erwartet abgeschnitten. Warum ist die deutsche Leichtathletik in der Breite nicht mehr konkurrenzfähig?
Mihambo: Man muss das differenziert betrachten und einige Dinge relativieren. Es ist nicht unbedingt so, dass die deutschen Athleten enttäuscht haben. Viele haben ihr Leistungsvermögen abgerufen, also ihre 100 Prozent erreicht. Man kann ihnen diesbezüglich keinen Vorwurf machen.
Nur reicht eben dieses Leistungsvermögen im internationalen Vergleich nicht.
Mihambo: Das stimmt. Wir haben zu wenig Athleten in der absoluten Weltspitze. Nur kann man das den Sportlern kaum vorwerfen, sondern muss der Frage nachgehen, warum das so ist.
Ich frage Sie: Warum ist das so?
Mihambo: Das kann ich nicht komplett beantworten. Ein Problem ist sicherlich die Sportförderung in Deutschland. Dieses System belohnt die Athleten, die bereits oben sind. Sprich: Wenn man schon gut ist, wird man auch gut gefördert. Aber solange man sich auf dem Weg dorthin befindet, ist es schwierig. Besser wäre es, vor allem den Sportlern zu helfen, die noch nicht zur internationalen Spitze gehören. Gerade diesen Athleten muss man zur Seite stehen und sie mit finanzieller Unterstützung ermutigen, alles für die Karriere als Leistungssportler zu tun. Momentan müssen aber zu viele Athleten darauf schauen, ob sie überhaupt über die Runden kommen.
Mit welchen Konsequenzen?
Mihambo: In solch einer Konstellation ist es unmöglich, sich total auf den Leistungssport einzulassen. Die logische Folge davon sieht man dann bei internationalen Meisterschaften.
Dass die Erfolge ausbleiben, ist allerdings kein Alleinstellungsmerkmal des DLV. Auch das zeigten die Olympischen Spiele 2021 in Tokio. Ist Deutschland kein Sportland mehr?
Mihambo: So weit würde ich nicht gehen. Aber in Deutschland konzentriert sich in jeglicher Hinsicht schon extrem viel Aufmerksamkeit auf den Fußball. Darum dreht sich fast alles. Und wenn wir ehrlich sind, eigentlich auch nur auf den Männer-Fußball. Ich wünsche mir, dass wir uns da andere Länder zum Vorbild nehmen, in denen die ganze Vielfalt und Breite des Sports in der Öffentlichkeit viel besser abgebildet wird und eine breitere Akzeptanz erfährt. Nur wenn alle Sportarten sichtbarer werden, können sich die Menschen dafür auch begeistern. Und nur mit einer breiten Basis kann dann eine breite Spitze erwachsen.
Der Sport als großes Ganzes steht für gewisse Werte wie Gleichheit oder die Einhaltung der Menschenrechte. Unabhängig von der Leichtathletik werden aber immer wieder undemokratische oder autokratische Staaten wie China, Russland oder Katar mit großen Sportevents bedacht. Wie denken Sie als mündige Athletin und studierte Politikwissenschaftlerin über diesen Widerspruch?
Mihambo: Ich sehe das gar nicht im Kontext mit meinem Politikstudium, sondern für mich ganz persönlich. Mir als Mensch sind diese Werte sehr wichtig. Und wenn Wettkämpfe an Länder vergeben werden, in denen genau diese Werte und Rechte missachtet werden, ist das nach meinem Verständnis immer gleichbedeutend mit einer Unterstützung dieser autokratischen Systeme. Der Tragweite dieser Entscheidungen muss man sich bewusst sein. Aber wir sollten das nicht nur auf den Sport beziehen.
Sondern?
Mihambo: Es geht um ganz grundsätzliche Dinge. Wenn wir also über Werte reden, geht es zum Beispiel auch um die Frage, wo wir unser Gas kaufen. Da müssen wir alle als Gesellschaft uns fragen: Welche Staaten und Systeme wollen wir mit unseren Handlungen stützen und welche nicht? Und wollen wir wirklich mit den Konsequenzen leben, wenn wir sehr autokratische Regime stützen? Ich kann nur für mich sprechen. Ich möchte das nicht. Mir ist es wichtig, dass meine Handlungen auch meinen Werten entsprechen. Denn ich bin davon überzeugt, dass dieser Weg langfristig gesehen der bessere ist und zu guten Entscheidungen führt.
Immer wieder ist vor umstrittenen Meisterschaften, jetzt zum Beispiel vor der Fußball-WM in Katar, von Boykott der Rede. Warum ist das aus Sicht einer Spitzensportlerin Quatsch?
Mihambo: Ein Boykott ist für einen Athleten sehr schwierig. Ein Sportlerleben ist sehr kurz und jede Meisterschaft, die man nicht mitnimmt, ist eine Meisterschaft, die man verliert. Der Profisport ist unser Beruf, wir leben davon.
Man kann sich ja auch auf den Standpunkt des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) zurückziehen und im Zweifel behaupten, der Sport sei unpolitisch. Oder macht man es sich da ein bisschen zu einfach?
Mihambo: Ich wünsche mir eine klarere Positionierung des IOC, weil man nur durch eine eindeutige Haltung und im Einzelfall eben auch durch Konsequenzen etwas bewirken, verändern oder zumindest diese autokratischen Regime zum Nachdenken zwingen kann. So lange es für diese Länder keine spürbaren Konsequenzen gibt, wird sich auch nichts ändern.
Die politische Ebene ist die eine, die andere der Gigantismus. Sie studieren Umweltwissenschaften, da können diese ständigen Superlative nicht in Ihrem Sinne sein.
Mihambo: Ich finde es ganz wichtig, dass sportliche Großereignisse nachhaltig sind. Warum tragen wir Olympische Winterspiele in Städten aus, in denen kein Schnee liegt und ständig künstlich Nachschub geleistet werden muss? Das finde ich schwierig. Oder: Muss dieser immense Aufwand bei Olympischen Spielen wirklich immer sein? Denken wir an Rio. Da wurden Menschen umgesiedelt und nur für die Spiele mitten in die Stadt irgendwelche Sportstätten gebaut, die nun niemand mehr benötigt. Diese Einschnitte für einzelne Menschen oder die Natur kann doch eigentlich niemand ernsthaft wollen. Bevor man also einfach drauflos baut, sollte man sich vielleicht erst einmal Gedanken machen, welchen Mehrwert etwas für die Gesellschaft haben kann und welcher Bewerber genau das berücksichtigt. Damit wäre vielen Menschen und auch der Umwelt geholfen.
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